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Hans Wösendorfer

Donaustrom und Auwälder in Niederösterreich

2. Teil: Donaulandschaft und Kraftwerksbau

Au ist Wasserwald, ist Überschwemmungswald, nicht einfach eine unstrukturierte, monotone Waldwildnis. Sumpfschwertlilie, Heimorchidee oder Schneeglöcken findest Du nur an ganz bestimmten Stellen.

In Abhängigkeit von der relativen Höhenlage der Standorte zu gewissen Bezugswasserständen (etwa mittlerer Wasserstand des Sommerhalbjahres) (= Zonation) und von der Zeitfolge (= Sukzession) bilden sich unterscheidbare natürliche Auwaldgesellschaften, räumlich als Muster unterschiedlicher Biotope (z.B. in forstlichen Standortskarten) abbildbar, die zeitlich in Form einer Entwicklungsreihe dem Klimaxwald (= klimaentsprechender Dauerzustand der Vegetation ohne menschliche Beeinflussung) zustreben. Die Pflanzensoziologie und Vegetationskunde — die all das sehr differenziert behandeln — unterscheiden Anfangs-, Folge- und Endgesellschaften in der Au. Das frisch abgelagerte Sediment des Stromes bedecken als Anfangsgesellschaften: die Purpurweidenau (Sträucher auf Schotter), die (Silber)Weidenau auf Sand und Aulehm („Letten“), die Schwarzpappelau auf hoch aufgeschütteten Sandwällen am Ufer. Nach etwa 100 Jahren brechen diese Bestände zusammen: Weißpappeln, Grauerlen und Traubenkirschen — allmählich eingewandert — dominieren die nächste Baumgeneration, und je nach Höhenlage bilden sich feuchte, frische oder trockene Pappelauen, die eine reichhaltige Strauchschichte und vielfältige Krautschicht ausbilden. Allmählich verebnet sich das wellige Bodenprofil durch die Ablagerungen der Hochwässer, es reifen die Böden und es erhöht sich die Zahl der Tier- und Pflanzenarten. Mit dem Eindringen von Stieleiche, Feldulme, Edelesche und Feldahorn gehen die Weichen (Weichholz)Auen — und zwar gemäß den Forschungen von H. Margl auf allen Höhenlagen — in die Harte Au (Hartholzau) über, in denen Tier- und Pflanzenvielfalt ihr Maximum erreichen. Das Vorkommen von Graupappel, Hainbuche und Winterlinde (Lindenau als entwickeltste Stufe) schließlich weist auf den Übergang zum Klimaxwald hin, der nach dreihundert bis tausend Jahren ausgbildet wird — soferne ungestörte Entwicklungsbedingungen herrschen.

Bis zum 19. Jahrhundert erwies sich der Donaustrom als eine in seinem Einflußbereich (Hochwassergebiet) unbezähmbare Naturgewalt, Siedlungen zerstörend, Brücken demolierend, seine Hauptarme zufolge von (Eisstau)Hochwässern neu durch den Auwald reißend. Ein Gewirr von Haupt-, Neben- und Totarmen grenzte hunderte Inseln („Haufen“, „Werd") ab, ausgedehnte Schotter- und Sandflächen sowie lettige „Sümpfe“ bei Niederwasser bloßlegend, andererseits eine bis zu 10 Kilometer breite Wasserfläche in den Niederungen bei Hochwasser ausbildend.

Weite Bereiche der Harten Au sind (auch im Tullnerfeld und Marchfeld) der landwirtschaftlichen Expansion der vergangenen Jahrhunderte gewichen. Die Forstwirtschaft vereinheitlichte in den letzten 150 Jahren große Auflächen. Die erste Donauregulierung veränderte den Wasserhaushalt (und damit die wichtigsten ökologischen Einflußfaktoren). Eine „ökologische Retdynamik“ hat uns jedoch bis heute abschnittsweise urwaldähnliche Auwälder bewahrt — sie gilt es gezielt zu bewahren.

Schotterbänke und Hundsheimer Insel bei Mautern: „Alte“ Stromlandschaft

Die erste Donauregulierung

Im Verlaufe der forçierten Industrialisierung im vergangenen Jahrhundert kam es zur ersten Donauregulierung, die vor allem durch wirtschaftliche Interessen und Sicherheitsüberlegungen begründet ist: Garantie der Dampfschiffahrt, Verbesserung der Verkehrswege (Eisenbahn- und Landstraßenbrücken), Siedlungserweiterung (bes. in Wien), Schutz der Güter, der landwirtschaftlichen Flächen, der Menschen vor Hochwässern. So wurde in Wien 1868 bis 1873, im Marchfeld 1883 bis 1902, ebenso im Tullnerfeld um diese Zeit, die Hoch- und Mittelwasserregulierung durchgeführt; die Niederwasserregulierung erforderte Arbeiten noch bis in die Siebziger Jahre unseres Jahrhunderis.

Durch Schüttung von Uferleit- und Deckwerken, von Buhnen und Spornen wurde die Donau in ein einziges, parallel begrenztes Bett von 280 bis 350 Meter Breite gezwungen, aus dem sie seither nur mehr kurzzeitig „ausbrechen“ kann (im Schnitt etwa mehrere Tage bis zwei Wochen im Jahr). Gegen Hochwässer wurden weiter landseitig, am Aurand oder in den höheren Aubereichen — und zwar ab Krems bis zum Kamp bereichsweise und ab Wien bis zur March, und diese hinauf, durchgehend — Hochwasserschutzdämme von rund fünf Meter Höhe gebaut. Die Beseitigung von Laufverzweigungen, Durchstiche von Stromschlingen, „Abbau“ (Abschneiden) von Nebenarmen und Abtreppung von Altarmen veränderten den Landschaftscharakter und Wasserhaushalt für den Großteil der Auen.

Ökologisch relevante Auswirkungen der ersten Regulierung:

  • Verkürzung der Verweilzeit von Hochwässern im Auwald;
  • verstärkte Verlandung aller Augewässer außerhalb des Strombettes;
  • Eintiefung des Strombettes aufgrund erhöhter Fließgeschwindigkeit durch die Begradigung (vor allem im Tullnerfeld);
  • Absenkung des Grundwasserspiegels in den Auen durch die Eintiefung des Stromes;
  • Entzug des Hochwassereinflusses für alle außerhalb der Schutzdämme gelegenen Auteile.

Verblieben ist dagegen prinzipiell das Auftreten von Hochwässern im Auwald, auch wenn Überflutungen seltener wurden. Ebenso verblieben ist der Zusammenhang von Donaustrom und begleitendem Grundwasserkörper. In Abhängigkeit von den zwischen zwei und acht Meter Höhe schwankenden Wasserständen im Strom, unterliegen die Grundwasser- und Altwasserspiegel im Aubereich — zeitlich verzögert und mit gedämpfter Amplitude — ebensolchen Schwankungen. Auch ist die Uferlandschaft am Strom aufgrund dieser Verhältnisse eine vielgestaltige und ökologisch wertvolle Randzone geblieben, die noch in vielem ursprüngliche Verhältnisse aufweist („Alte“ Stromlandschaft; siehe Abbildung). Und gerade die schönsten dieser Abschnitte werden oder sind bereits durch den Kraftwerksbau grundlegend verändert und werden, ergreift man nicht aktive Gegenmaßnahmen im Sinne eines Naturschutzmanagements, im ökologischen Sinn an Wert verlieren.

Der Kraftwerksbau an der Donau

Der Ausbau des österreichischen Donauabschnitts zu einer (zumindest geplant) geschlossenen Stufenkette kann als zweite Donauregulierung bezeichnet werden, mit der die Wirtschaft auf Kosten der Natursubstanz weiter vordringt: Energiegewinnung und Verbesserung der Schiffahrtsverhältnisse sind ihre Hauptzwecke. Ist sie „Endlösung der Donaulandschaft“ und ökologisch grundsätzlich zu verwerfen? Müssen wir einen Aufstand gegen die Staustufe Hainburg (geplant 1984-86) aus ökologischen, gegen das Kraftwerk Dürnstein aus kulturellen Gründen organisieren? Sind wir ganz dagegen oder sollen wir für eine Naßbauweise anstelle der Trockenbauweise eintreten?

Naßbauweise: Das Hauptbauwerk, also die beiden Schleusenkammern, die Wehrfelder und die Kraftanlage, wird in das bestehende Strombett gebaut, abschnittsweise in umspundeten Baugruben im Strom errichtet (siehe Abbildung). Diese Bauweise wurde in Ybbs-Persenbeug (1954-58) und in Aschach (1958-63) — und vor diesen beiden gemeinsam mit der BRD in Jochenstein (OÖ) — angewendet, jeweils in Durchbruchstellen der Donau durch die Böhmische Masse, wodurch auch die in den Niederungen notwendigen Begleitdämme entlang der Stauräume entfielen.

Trockenbauweise: In den Beckenlagen wird in der Sehne einer Stromkrümmung oder seitlich der Donau landseitig (also meist in den schönsten Auen, da landwirtschaftliche Gründe in größerem Umfang nicht beansprucht werden können) eine einheitlich große Baugrube von einem mal drei bis vier Kilometer Fläche (inclusive Anschüttung oft größer) hochwassersicher eingedämmt. Alle Bauvorgänge sind in ihr konzentriert; die Baustelleneinrichtungen: Mischanlage, Werkstätten, Fahrzeugpark, Bauleitung, usw. und die Arbeitersiedlung (bis zu 2000 Personen) befinden sich auf der durch den Aushub entstehenden Anschüttung. Wer sich so etwas derzeit ansehen will, der mache einen Ausblick von der Burg Greifenstein, oder fahre von hier mit der Fähre (auch im Winter in Funktion) zum Gasthaus Jarosch direkt an die Baustelle; Fertigprodukte dieser Art sind in Melk seit 1981, in Altenwörth seit 1976 zu bewundern. Zuvor wurde diese sogenannte „österreichische Bauweise“ in allen anderen Beckenlagen in Oberösterreich, 1965-68 in Wallsee (siehe Abbildung), 1970-73 in Ottensheim Wilhering und 1976-78 in Asten bei Linz angewandt, und von dort erreichten uns auch die ersten Schreckensrufe der Auökologen.

Trockenbauweise: Kraftwerk Wallsee nach Fertigstellung 1968
Bild: DOKW, Donaustrom

Die Donaukraftwerke-AG (DoKW; Teil der Verstaatlichten) führt folgende technisch wirtschaftlichen Vorteile der Trockenbauweise an:

  • Verkürzung der Bauzeit von 4-5 auf 3 Jahre;
  • die einheitliche, hochwassersichere Baugrube erlaubt baubetriebliche Rationalisierungen und reibungslose Baudurchführung;
  • keine gegenseitige Behinderung von Baugeschehen und Schiffahrt;
  • eventuelle Hochwassersituationen sind weniger kritisch; und weiter:

Da die Produktionskosten elektrischer Energie (im speziellen Fall von Laufkraftwerken) hauptsächlich von den Investitionen abhängen (weil wenig Betriebskosten anfallen: das Wasser liefert die Natur „umsonst“), wirken sich alle Bauverbilligungen und Bauzeitverkürzungen — in weiterer Folge — dämpfend auf die Stromtarife aus. Diesen Argumenten kann unsererseits nicht hauptsächlich ökonomisch begründend entgegengetreten werden (das führte für diese Zeilen zu weit), sondern hauptsächlich mit dem Hinweis auf unersetzbare ökologische Werte: und wie sieht der Ökologische Sachverhalt im Vergleich von Trocken- und Naßbauweise aus?

Der „Landschaftsverbrauch“ an bestehender Au ist im ersten Falle größer, beträgt bei „sparsameren“ Fällen (Melk, Ottensheim) rund 3 km2, bei exzessiven (Wallsee und Al tenwörth) bis zu 7 km2 — und das nur beim Hauptbauwerk. Wenn also Hainburg „exzessiv“ gebaut würde, könnten dadurch mehr als 10 Prozent des Auwaldes im Marchfeld (an der Donau rund 60 km2) vernichtet werden — und das ist auf jeden Fall zu verhindern. Der Flächenbedarf für die Baustelleneinrichtungen usw. beträgt bei der Naßbauweise jedoch ebenfalls 1,5 bis 2 km2; Großbaustelle bleibt Großbaustelle: Beton muß gemischt, Stahl gebogen, Muldenkipper abgestellt, Bauarbeiter müssen verpflegt und beherbergt werden!

In Bezug auf den gesamten Stauraum ergeben sich bei beiden Bauweisen dieselben Ökologischen Auswirkungen einschneidender Art: bis zu 15 m hohe Begleitdämme ziehen — mit abnehmender Höhe — die beiden Donauufer rund 25 Kilometer stromauf; durch diese führen im Untergrund Abdichtungswände bis auf den wasserundurchlässigen Schlier (= tonartiges Sediment) in rund 12 Meter Tiefe; dadurch erfolgt eine hermetische Abriegelung des Staus vom Grundwasserkörper in der Au, dessen Spiegel künstlich auf bestimmte durchschnittliche Niveaus „eingespiegelt“ werden muß: Durch Traverseneinbau oder -abdichtung, durch Dotierung (Zuleitung vom Stauraum her).

Die stark gegliederten Uferbiotope, biologisch wertvolle und ästhetisch ansprechende Ufersäume des Auwaldes am Strom weichen linearisierten Dammbauwerken mit Asphaltwegen und kaum schwankender Wasseranschlagslinie, in erschreckender Perspektive: Kurvenlineal schau oba!

Große Teile der begleitenden Auen werden gänzlich hochwasserfrei, d.h. absolut abgedämmt, denn nur die größeren — zumeist linksufrig liegenden — Augebiete werden weiterhin bei großen und Katastrophen Hochwässern als naturgegebene Retentionsräume (= Ausgleichs-, Rückhaltebecken) genutzt. Dazu gibt es eine „Überströmstrecke“, über die allerdings bei der bisherigen Praxis nur alle 10 bis 15 Jahre Hochwässer in ökologisch ausreichendem Maße in die Au flossen.

Wenn wir annehmen wollen, daß der Bau des KW Hainburg nicht zu verhindern ist, dann sollten die Mindestforderungen von unserer Seite sein:

  • Der „Auverbrauch“ ist beim Hauptbauwerk zu minimieren (auf alle Fälle unter 3 km2), egal ob durch Naß-, Trocken- oder „Halbnasse“ Bauweise;
  • es muß ein Standort gewählt werden, der die — ökologisch zu bewertende — am wenigsten wertvolle Natursubstanz zerstört (also auf keinen Fall naturschutzwürdige Gebiete);
  • alle Aubereiche links und rechts des Stromes sind zumindest alle ein bis zwei Jahre vom Hochwasser „ausreichend“ zu durchströmen: „ausreichend“ müssen die entsprechenden ökologischen Disziplinen definieren;
  • Dotierung und Altarmaktivierung muß das Augewässernetz als hervorragende Feuchtbiotope auch langfristig erhalten.

P.S.: Meine Vorstellung als „hochqualifizierter Donau-Fachmann von der Hochschule für Bodenkultur“ durch die Herausgeber im letzten Heft möchte ich korrigieren: Als Raumplaner bin ich Absolvent der Technischen Hochschule Wien (1975); die Boku hat sich ebenso wie die Technik inzwischen zur Universität gemausert; im übrigen will ich als Fachmann weder hoch- noch abqualifiziert werden ― mir ist die Expertokratie jedenfalls suspekt; die Wahrheit ist: ich steh’ auf die Au, die für mich ein Natur- und Erholungsgebiet ersten Ranges ist, Hans.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1982
, Seite 4
Autor/inn/en:

Hans Wösendorfer:

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