Context XXI » Print » Jahrgang 1999 » Heft 1-2/1999
Alexander Emanuely
Bogdan Bogdanovic — Erinnerungen

Der verdammte Baumeister

Die Stadt und einer der sie liebt, der sie träumt, der für sie kämpft, stehen im Zentrum des „Verdammten Baumeisters“. Bogdan Bogdanovic ist poète maudit der urbanen Welt, er ist ein maudit — ein Verdammter, der als Exilant aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Belgrad, seit 1993 in Wien lebt, wo er nicht aufgehört hat, zuerst im Wieser [1] und dann im Paul Zsolnay Verlag, die Gefahr, die eine Auflösung der Stadt, durch Entmenschlichung und durch direkte Zerstörung, mit sich bringt, aufzuzeigen.

Doch was genau ist nun die Stadt? Für Bogdan Bogdanovic kann die Stadt nur nach Maß des Menschen sein, symbolisch gesprochen, nach dem Maß der menschlichen Stimme. Die Stadt ist eine Metapher, ein Abbild des Menschen, sie hat wie er ein Selbstbewußtsein, ein Gedächtnis und eine Kontinuität, die man lesen kann, in der Architektur, der Geschichte, in einem System aus Artefakten, in der Stimmung, die man in ihr verspürt. Der globale Stadtmensch, so wie Bogdanovic ihn sieht, ist der, der das urbane Manuskript entziffern kann.

Diese Stadt, die schon in den diversen „heiligen“ Schriften oft als unheimlicher und auszulöschender Feind galt, weil ihr eine eigene Magie zugeschrieben wurde, fand lange bei den meisten Nichtstädtern kein Verständnis, hingegen aber Verachtung, Feinde und Zerstörer. Doch genauso wie in der Antike die Urbanophobie die Städte bedroht hatte, vernichtet sie heute, wo fast der Großteil der Menschheit in Städten wohnt, eine eigenartige Urbanophilie, die immer mehr Leute in die Ballungszentren lockt und diese zu einem „architektonischen Magma in ständigem Zerfall“ [2] der Hoffnungen heranwachsen läßt, was nicht selten unfähigen Planern zu verdanken ist. Aber nicht nur Wucherung oder Verplanung sind heute Gründe für Städte- und Zivilisationsbedrohung und -zerstörung, auch der antike Städtehaß kennt, und zwar in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, wieder seine Renaissance.

Als 1982 Bogdan Bogdanovic der Posten des Belgrader Bürgermeisters angeboten wurde, schien ihm dieser „Vorschlag [...] zunächst sinnlos, ja lächerlich“, doch geschah dies zu einem Zeitpunkt, da in Jugoslawien die auflebende Aufklärung und der ebenfalls auflebende Nationalismus beiderseits versuchten, die bisherige Staatsideologie abzulösen. Bogdanovic, der vehementer Gegner von jedem Nationalismus ist und deshalb einige Zeit vor seiner Ernennung zum Bürgermeister aus der Serbischen Akademie der Wissenschaft und Künste wegen deren immer krasserem Abrutschen ins nationale Lager ausgetreten war, sah jedoch bald ein, daß dieses von ihm verlangte politische Engagement unumgänglich war, um seiner Gegnerschaft zur Barbarei effektiv Ausdruck zu verleihen.

Viele Jugoslawen und Belgrader stimmten den Reformen, die unter anderen auch Bogdanovic mittrug, zu. Doch für den Großteil der politischen Eliten, für das Establishment war einfacher Nationalismus besser zu handhaben als eine komplexe, pluralistische Gesellschaft. Der aufgeklärte serbische Präsident Stambulic wurde gestürzt, die meisten Reformer mit ihm. Als Mitglied des ZK der serbischen kommunistischen Partei attackierte Bogdanovic noch einmal in einem offenen Brief, dem Lamento über Serbien, das neue Regime unter Milosevic, die Folge war das Exil des Kritikers.

NOTO KOSOWAR 4.17

Doch neben diesem politischen Engagement versuchte Bogdan Bogdanovic, der ab den sechziger Jahren rund 20 Jahre Professor für Architektur an der technischen Fakultät der Belgrader Universität war, schon lange sein Stadtbild zu vermitteln, und zwar nicht nur an der Universität selbst, sondern für einen ausgewählten Kreis interessierter Studenten in der in Eigeninitiative gegründeten „Dorfschule für Architektur“ in Mali Popovic, womit er ganze Generationen jugoslawischer ArchitektInnen beeinflußt haben dürfte, ArchitektInnen, die ihre Tätigkeit spätestens aber nach der Machtübernahme der nationalen Lager in die australische oder Pariser Emigration verlagert haben. Er lehrte das Stadtlesen, denn nur wer stadtlesen kann, kann schlußendlich auch stadtschreiben. Bogdanovics Erzählung folgend, fühlt man sich nicht selten in diese Dorfschule von Mali Popovic versetzt.

Doch die autobiographische Collage „Der verdammte Baumeister“ initiiert nicht nur in das Leben, Lesen, Lernen der Stadt, sie ist nicht nur Zeitdokument der jugoslawischen Gesellschaft und ihrer Herrschaftsstrukturen, sie schenkt auch den Einblick in die Arbeitsweise eines Architekten, der in erster Linie Gedenkstätten errichtet hat, Orte der Erinnerung an Krieg und Faschismus. Bogdan Bogdanovics Kenotaphe für die Opfer des Faschismus haben nichts mit stalinistischer Monumentalität oder banaler Symbolik zu tun, sie sind Steine, die in einer surrealistischen, mythischen Inszenierung den Betrachter bannen, mit ihren phantastischen Symbolen tief in sein allgemeines Unterbewußtsein eindringen, ihn erschaudern, erfreuen, kindisch neugierig betrachten lassen. Der verdammte Baumeister hat mit seiner Arbeit von Anfang an, seit seinem ersten gehauenen Werk 1952, verstanden, der Architektur der Erinnerung eine poetische, grenzüberschreitende Kraft zurückzugeben.

Und wenn sich Bogdan Bogdanovic schlußendlich auch als „Verdammter“ sieht, weil hilflos in Anbetracht des inhumanen Wandels der Gesellschaften, entdeckt man beim Durchwühlen seiner Erinnerungen, seiner „Rumpelkammer der Vergangenheit“ keinen Fatalismus, sondern viel eher Poesie, viel eher den Widerstand eines Phantasten und Formeln, die jedem anderen Verdammten irgendwie weiterhelfen können.

Bogdan Bogdanovic: Der verdammte Baumeister — Erinnerungen. Paul Zsolnay Verlag,
Wien 1997, 298 S

[1Bei Wieser erschienen: Die Stadt und der Tod (1993), Architektur und Erinnerung (1994), Die Stadt und die Zukunft (1997).

[2Die Stadt und der Tod. Klagenfurt-Salzburg: Wieser Verlag, 1993. S. 17

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1999
, Seite 12
Autor/inn/en:

Alexander Emanuely:

Seit Juni 1999 Redakteur und von September 2001 bis 2006 geschäftsführender Redakteur, seither Vorstandsmitglied von Context XXI. Vorstandsmitglied des Republikanischen Clubs — Neues Österreich, Sprecher der LICRA-Österreich. Freier Autor in Wien.

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