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Stephan Eibel

Der totalitäre Charakter

Die Lehrerschaft pfeift in jedem System das Lied der Herrschaft. In Österreich ist die Lehrerschaft der Vorsinger der Nazis gewesen. Die Brüller.

Und die Intellektuellen?

Es stört sie was. Sie verspüren einen Mangel. Diesen Mangel artikulieren sie. Sie protestieren. Es kommt zu einem Gespräch mit dem zuständigen Gemeinde-Land-Staatsfunktionär. Nicht alle Protestler können an dem Gespräch teilnehmen. Delegierte werden ernannt. Nach dem Gespräch mit dem Funktionär kommt es zu einer Vereinsgründung. Die Delegierten werden Vorstandsmitglieder des Vereins. Vorschriftsgemäß wird ein Obmann. oder ein Präsident gewählt. Der Verein erhält eine Subvention von der öffentlichen Hand. Die Vereinsintellektuellen sind mit der Vergabe des Geldes beschäftigt. Sind mit dem Auslegen des Vereinszweckes beschäftigt. Sind mit der Uneinigkeit der weiteren Vorgangsweise beschäftigt. Die Vereinsintellektuellen, kurz Einis genannt, sind mit der Einrichtung des Vereinsbüros beschäftigt. Sehr beschäftigt. Der Präsident der Einis wird offizieller Vertretungsintellektueller, kurz Treti genannt. Der Treti wird zu Konferenzen, Meetings, Besprechungen eingeladen. Dafür erhält er Geld. Die Einis wollen Tretis werden und kommen dadurch zu keiner wesentlich Kreativen Arbeit.

Die Tretis führen meist die Vereine wie kleine Fürstentümer. Ist so ein Verein ein Theaterverein, werden die Tretis Intendant oder Direktor genannt. Die geistige Argumentationsbasis, damit nichts wesentliches geschieht, liefert der Dramaturg. Er hat viel gelesen und bekommt weniger als der Intendant bezahlt.

Einerseits hat er den Informationsfluß durch Detaildiskussionen zu stören, damit den Mutigen Selbstzweifel kommen und andererseits muß er formbare Mutige zum Intendanten bringen. Die Mutigen, die es wagen einen eigenständigen Gedanken zu formulieren sind stets das Problem.

Der Eini, Dramaturg, will etwas Radikales, kann aber nicht so wie er will, denn er hat den Treti über sich. Der Treti will etwas außergewöhnlich Radikales, kann aber nicht so wie er will weil er mit dem Subventionsgeber zu kämpfen hat und die Einis auch nicht immer die richtige Meinung haben.

Trifft ein Treti auf einen Institutionsintellektuellen — Insi — so sprechen sie über ihr Leid. In dem Gespräch spielt der weitverbreitete Verachtungsfaktor in Österreich eine bedeutende Rolle.

Die Insis wissen wie Standardwissen für die Macht einzusetzen ist. Sie wissen auch wo dieses Wissen zu holen ist, die Zulis-Zulieferintellektuelle liefern fundierte Arbeit. Die Arbeitsergebnisse müssen oft von den Insis korrigiert werden, damit der Insi weiter Insi bleibt. Der Insi begründet diese Korrektur der zulieferarbeit auf Intellektuellenniveau und ist der Zuli nicht zu überzeugen, so verwendet der Insi das Gefühlsargument: „Bedenken Sie doch die gegenwärtig politische Lage.“ Jede politische Lage ist für die Zulis schrecklich und somit überzeugen die Insis die . Zulis.

Hin und wieder organisieren die Zulis Plattformen. Sie greifen zum Telephon und informieren den zuständigen Insi. Der Insi informiert den zuständigen Minister, Landesrat, Bürgermeister. Der Insi ruft den Zuli an: Ich habe den Minister überzeugen können.

Nun geht es los: „Sogar der Minister ist dafür, sagt der Zuli zum Eini. Der Eini sagt es den Einis und der Treti fragt“Warum habe ich das nicht früher erfahren?„Demonstrationen werden abgehalten. Veranstaltungen organiert. An den Tischen in In-Lokalen wird darüber gesprochen. Über Sinn und Zweck dieser Handlungen. Die Tretis sprechen radikale Sätze, die sie schon immer sagen wollten. Prominent werden diese Sätze in verschiedenen Zeitungen postiert und der Treti wird zum Prominenten. Er telephoniert mit Prominenten aus Wirtschaft, Politik und so werden die Prominenten aus Wirtschaft und Politik zu Zufallsintellektuellen. Die Zufallsintellektuellen — stets der Dummheit verpflichtet — sind dankbar und verstehen plötzlich den Treti besser. Der hat so lange für etwas gekämpft, bis keine Massen zu den Veranstaltungen gekommen sind. Die Massen spüren gemeinerweise die Unglaubwürdigkeit der Prominenz und bleiben somit aus. Manche Zulis durchschauen das Spiel und werden Einis. Enige bleiben in der Hierarchie stecken. Einige andere werden Prozentintellektuelle --- Proz. Der Insi, Institutionsintellektuelle, erkennt zuerst, daß der Zuli nun ein Proz ist und etwas zu reden hat. Der Insi sagt das seinem Herrn — vertraulich — und diesem wird sofort klar: das sind 3 oder 5% der Wähler. Den Herrn beschäftigt nicht die Frage“Was sie wollen„, sondern“Wieviel sie wollen?"

Der Insi kennt den Preis. Er verhandelt mit dem Proz, damit der Eindruck entsteht, hier geht es um etwas, deshalb:

Jede Hur aus Tschechien kostet mehr als ein Wiener Intellektueller. Gemeinsam ist dem Treti, dem Insi, dem Zuli, dem Proz und den Einis, daß sie die Prostitution ablehnen und stets für eine bessere Welt kämpfen. Der spricht laut: „Eine Hur ist auch ein Mensch!“ Er spricht diesen grammatikalisch richtigen Satz so laut und so oft aus, daß dem Zuli Zweifel kommen. Diese Zweifel berichtet er dem Insi

„Hauptsach“, sagt der Mächtige, „es sind alle beschäftigt, damit etwas weitergeht.“

Schafft ein Treti, Vertretungsintellektueller den Sprung zum Insi, wird er zum totalen Apparatschick. Wird er in jüngeren Jahren zum Insi, lernt er schneller niveauvoll zu verschleiern und ist Macht und Opposition zugleich. Die Spezialdemokraten — offiziell Sozialdemokraten — danken es Ihnen. Es gibt mehr Geld! Mit diesem verteilten Geld kauft sich der bekannte Zuli beispielse ein Haus in Italien. Befragt zu dem Wahlausgang sagt der Zuli „Wenn der Parteiführer der F-Bewegung Bundeskanzler wird, wandert er aus. Nach Italien.“ Der befragte Zuli kann sicher sein, daß ihn ein Nachwuchszuli nicht fragen wird: „Stört Sie Faschismus in Italien weniger als in Österreich?“ Und so weiter.

Der Nachwuchszuli weiß ganz genau, daß er ein Anerkennungsabhängiger ist. Wird er von dem bekannten Zuli anerkannt, der schließlich von der Macht anerkannt wird, so wird er vielleicht auch einmal ein Haus in Italien haben. Vielleicht ein Größeres.

Den meisten Zulis genügt eine Einladung beim Staatsfunktionär, anderen wiederum eine Hundehütte. Der Anerkennungswunsch wurde Ihnen in die Wiege gelegt. Und später die Subvention. Mehr Anerkennung der Mächtigen, mehr Subvention. Je mehr Anerkennung, desto mehr Zuli, Treti oder Proz. Werden sie von den Mächtigen anerkannt nennen sie das Geld, welches sie von diesen bekommen den Anerkennungsschmerz und kämpfen gegen diesen mittels neuen Geldbeschaffungsideen an. Gelernt haben sie: Störe keine Abläufe! Wenn du Abläufe störst, dann nur dosiert. Denn nur wenn du die Abläufe kontrolliert dosierst störst, kannst du ein anerkannter Anerkennungsabhängiger werden. Dem Lebenssinn wurde eine Ordnung gegeben, die Verwaltung. Und dieser Verwaltung entkommen auch die Intellektuellen nicht. Ein wichtiger Punkt in diesem Kreisbeschäftigungsspiel ist die Solidarisierung der Intellektuellen aller Gattungen gegen die dumme Masse. Sie fühlen sich einem Teil der dummen Masse, den Arbeitern, verpflichtet. Allerdings fürchten sie deren faschistoiden Charakter. Dies bestätigt die Spezialdemokraten und legitimiert die Staatsform.

Ein Ausbruch aus dieser Situation ist für Zulis schwer. Die Zeitungen, Zeitschriften, die von Leuten massenhaft gekauft werden, werden zwar von Zulinachfolgern beliefert, sind aber dicht geschlossen. Die Zeitungen schreiben zwar über bekannte Zulis, die dadurch prominent werden, aber inhaltlich kommt nichts ursprüngliches von den Zulis. Das schafft auch der „gutmeinende“ Zulinachkomme nicht. Die Form, die Struktur wird argumentiert, verhindert den Inhalt. Deshalb gibt es sehr bekannte Zulis, die zwar kein Werk vorzuweisen haben, aber immer wieder erwähnt werden.

Die Verlage werden von den Einis kontrolliert und diese wieder um von den Insi — Institutionintellektuellen, die Druckkostenzuschüsse usw. verteilen. Die Literaturzulis werden in Österreich stärker verwaltet und somit mehr kontrolliert als die Wissenschaftszulis.

Durch dieses System ist sichergestellt: Ein Zuli vertraut dem anderen nicht. Das freut die Insis und läßt sie klagen, der Treti stimmt mit dem Insi darüber überein und schließlich sind sie wer und jeder hat den Platz , den er verdient. Obwohl der Insi sich den Mächtigen überlegen fühlt; obwohl der Treti sich dem Insi überlegen fühlt, geht alles solange diesen Gang, bis einer hergeht und einen anderen überzeugt, der nein sagt. Solange die Neinsager nur ein paar wenige sind, bleibt alles so wie es ist. Denn schließlich sagen die Zulis: Miete, Strom, Telephon

Die Oberzulis sagen: Haus ...

Die Totalität dieses Systems bekämpfen sie. Von der Totalität des Systems leben sie. Sie fühlen sich mehr wert als die Masse. Argumentieren gegenüber anderen Intellektuellen mit der brutalen Masse. Halten perfekt Gedanken nieder und leiden wie die Masse auf typisch österreichisch.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1996
Autor/inn/en:

Stephan Eibel:

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