FŒHN » Heft 21
Markus Wilhelm

Der Regen kommt mit der Wolke. Die Wolke bringt den Regen

Die Sozialdemokratie hat sich aus einer auf die Überwindung des Kapitalismus gerichteten Kraft schon vor langer Zeit in die Hauptstütze des Kapitalismus verwandelt. Selbstverständlich müssen es ein SP-Kanzler und ein SP-Finanzminister sein, die, wie kürzlich geschehen, die Vermögenssteuer abschaffen. Wenn das ÖVP oder FPÖ machen wollten, ginge das nicht. Nur eine SPÖ kann, wie kürzlich geschehen, ohne Gefahr des sozialen Aufstands, den Spitzensteuersatz von 62% auf 50% drücken. Nur eine SPÖ konnte den Firmen die Gewinnbesteuerung von 70% im Jahre 1970 auf heute 34% heruntersetzen. Und es muß unbedingt ein als SP-Finanzminister auftretender Finanzminister sein, der jährliche Steuerschulden von offiziell genannten 60 Milliarden Schilling von den Unternehmern nicht einzufordern braucht. Die SPÖ ist mit dem Ausbeuterkapital dermaßen intim, daß es obszöner nicht mehr geht. Als im letzten FÖHN die Arbeitsbedingungen im Massentourismus angeprangert wurden, schrie der SPÖ-Klubobmann im Tiroler Landtag, daß unsere Kritik an diesen Zuständen die Arbeitsplätze im Tourismus gefährde. Als die große Wirtschaft mit Milliarden-Aufwand die EU-Volksabstimmung gewonnen hatte, mit fatalen Folgen für die arbeitenden Menschen, konnte der Tiroler ÖGB-Präsident W. Lenzi (SPÖ) nicht mehr an sich halten. Er eilte gleich am Montag „ins Europa-Referat der Wirtschaftskammer Tirol“, wie Tirols Wirtschaft schreibt, „um den Kammermitarbeitern für ihren Einsatz zu danken“ (TW, 17.6.94). Lenzi, ganz hingerissen: „Uns ist klar, daß die Hauptlast der Arbeit niemand anderer als die Wirtschaftskammer Tirol getragen hat, und deshalb überbringe ich die Grüße und den Dank des Österreichischen Gewerkschaftsbundes an die Kammermitarbeiter. Ihr habt euch wirklich hineingeschmissen in die Arbeit.“

Die Vranitzky-Anbeter sagen, Haider strebe eine „soziale Volksgemeinschaft“ an, „ohne Klassenkampf und berufsständische Auseinandersetzungen“ (H.-H. Scharsach, Haiders Kampf). No, und wie ist das mit der praktizierten Sozialpartnerschaft? Sind wir am Ende schon weiter als wir mit Haider zu kommen drohen? In den 30er Jahren warfen die Kommunisten den SP-Führern vor, Sozialfaschisten zu sein, zwar sozial in Worten, aber dem Faschismus den Weg bereitend. Bis heute geht der Streit, ob dieser Vorwurf berechtigt war oder nicht. Die Frage, ob er heute berechtigt wäre, ist vielleicht leichter zu beantworten.

Ihr hervorgekehrter „Anti-Faschismus“ beengt die SPÖ jedenfalls überhaupt nicht in ihrer Politik. Was großspurig als „Anti-Faschismus“ ausgegeben wird, etwa die Nichtwahl Friedrich Peters (SS) zum 3. Nationalratspräsidenten, ist oft nur die Rücksicht auf die Außenhandelsbeziehungen der Großen Wirtschaft. Aber auch anders herum wird ein Schuh draus: Z.B. anläßlich eines Staatsbesuchs in Frankreich, weit weg von seinen Wählern, wirft der SP-Vorsitzende — als Sprecher der Exportwirtschaft — sich zum Verteidiger Haiders auf: „... er habe klargestellt, daß es sich dabei nicht um Rechtsextremismus, sondern um eine ’populistisch-demagogische Politik’ handle“ (Standard, 4.12.91).

Der Anti-Faschismus wird in der SPÖ mit Füßen getreten, die in kniehohen Schaftstiefeln stecken. Der Leykam-Verlag, der im Besitz von Vranitzkys SPÖ steht, druckt die „Aula“, das Zentralorgan des Rechtsextremismus in Österreich. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. Wo besonders groß Anti-Faschismus draufsteht, ist besonders große Vorsicht geboten. Wenn der ÖGB (SPÖ) die Jagd auf „Ausländer“ in seiner Mitgliederzeitschrift mit Sätzen wie „Die Abwehrhaltung, die den Ausländern entgegengebracht wird, beruht zum Teil auf uralten Instinkten“, „ihr Aussehen kann nicht nachvollzogen werden“ und „der Kapazität eines Staates und seiner Menschen sind Grenzen gesetzt“ (Solidarität, Oktober 1992), rechtfertigt, dann ist das faschistisch und nicht antifaschistisch. Noch ein Beispiel: Als 1985 bekannt wurde, daß der Wehrmachtsoffizier Kurt Waldheim für das Amt des Bundes-Präsidenten kandidieren würde, hat der SPÖ-Vorsitzende Sinowatz im Vorstand seiner Partei angekündigt, auf Waldheims „braune Vergangenheit“ aufmerksam machen zu wollen. Ein einziges Mal in seinen drei Jahren Kanzlerschaft schickte sich Sinowatz damit intuitiv an, rechtzuhaben. Aber als sein Vorhaben kurz darauf öffentlich gemacht wird, verleugnet er sich selbst. Nein, dieses einzig Richtige habe er nie gesagt. Statt gegen den Faschismus geht er in der Folge gegen den Antifaschismus in sich selber los, sogar mit jahrelangen Prozessen! Das war das (schon weit über den klinischen Tod hinausgezogene) Ende des Antifaschismus in der SP.

Im Rückblick gesehen war es die historische Aufgabe der regierenden SPÖ seit Kreisky, die Arbeiterschaft um ihr in Jahrzehnten mühsam erworbenes Klassen-Bewußtsein zu bringen. Wenn die Massen orientierungslos sind, wenn sie nicht mehr wohin wissen mit ihrer Wut, wenn die millionenfachen einzelnen Empörungen nicht mehr zusammenfinden zur eigenständigen politischen Macht, dann hat sie ihre Mission erfüllt. Dann ist der Weg frei. Dann ist es denkmöglich, Haider zu wählen. Früher hätten die arbeitenden Menschen hell aufgelacht, wenn ein Marmeladenfabrikant Darbo für die EU geworben hätte, weil sie damit hundertprozentig sicher gewußt hätten, daß es dann ihr eigenes Interesse nur sein könne, dagegen zu stimmen. Aber heute ist die arbeitende Bevölkerung bereits so vergiftet, daß die Parole des Klassengegners ja für ein Argument gehalten wird! Das Schlimmste an der SP-Politik ist, daß sie die Arbeiterschaft ganz gezielt in heillose ideologische Verwirrung geführt hat, womit sie geistig, moralisch, politisch und organisatorisch völlig entwaffnet und damit dem nächstbesten ausgeliefert ist.

Es ist kein Zufall, daß just mit Vranitzky 1986 Haider gekommen und unter ihm großgeworden ist. Ein altes Tiroler Sprichwort sagt: „Wo der Mistwagen nicht hinkommt, kommt der Erntewagen nicht her!“ Heute füllt Haider im „roten“ Simmering Säle mit 600 Leuten, die ihn lt. AZ (30.10.91), vormals „Arbeiter-Zeitung“, „frenetisch bejubeln“, wenn er schreit: „Lauter Nadelstreifsozialisten und feine Pinkel sind das in der SPÖ!“ Und unter Applaus stellt er dort den großen Sozialisten Victor Adler neben den abscheulichen Vranitzky. Ganz gewiß doch verarscht Haider die Arbeiter nach Strich und Faden (dazu später), aber wenn dann ausgerechnet Josef Cap, der eine einzige beispiellose Verhöhnung der Geschichte der Arbeiterbewegung ist, von Haiders „beispielloser Verhöhnung aller Arbeitnehmer“ (Wiener Zeitung, 16.6.93) spricht, schepperts vorn und hinten. Allein bei der Nationalratswahl 1994 sind Haider beim Davonlaufen vor dieser SPÖ (zusätzlich) 250.000 ihrer früheren Wähler (Ifes-Analyse; TT 10.10.94) geradewegs in die Arme gelaufen.
Wär’s nicht so fatal, könnte man sagen, recht geschieht der SPÖ, daß sie jetzt von ihrer Brut aufgefressen wird. Rückblende: Nach dem Krieg wurde die FPÖ als VdU von der SPÖ aufgepäppelt, weil sie glaubte, die ÖVP damit schwächen zu können. In den 60er Jahren wurde dann die Kronenzeitung, heute das Push-Organ der Rechten, mit aus der Kassa des Gewerkschaftsbundes abgezweigten Geldern der Arbeiterinnen und Arbeiter gegründet. Auch direkt unterstützte der ÖGB die FPÖ mit Millionenbeträgen (Trend 12/1980), und zwar aus Mitteln der sozialistischen Fraktion! Kaum war B. Kreisky an der Macht, hatte er nichts Vordringlicheres zu tun als eine sogenannte Wahlrechtsreform zugunsten der FPÖ durchzusetzen. Der Mistwagen ist genau dort hingefahren, wo die Ernte jetzt herkommt.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
1995
, Seite 12
Autor/inn/en:

Markus Wilhelm:

Geboren 1956, von Beruf Zuspitzer in Sölden im Ötztal, Mitbegründer des FŒHN (1978-1981), Wiedergründer und Herausgeber des FŒHN (1984-1998). Seit 2004 Betreiber der Website dietiwag.org (bis 2005 unter dietiwag.at), Landwirt.

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