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Robert Zöchling

Der Realität ins Auge blicken!

Öffentlichkeiten existieren gegenwärtig nur noch residual, als eigensinnig aufrechterhaltene Gebilde in einer Gesellschaft, die irgendwann mit dem Glauben an ihren humanistischen Fortschritt (oder wenigstens dem Wunsch danach) auch ihren Glauben an Öffentlichkeit als Verständigungsmodus über gesellschaftliche Wünschbarkeiten verloren hat. Als partikulare Betätigungsfelder im Plural aus der singulären Allgemeinverbindlichkeit des herrschenden Vergesellschaftungsverlaufs entlassen, organisieren sie sich weiterhin mittels der hergebrachten Mittel in den hergebrachten Formen. Ihre weitere gesellschaftliche Aufgabe interessiert indes nicht länger die Gesellschaft als halbwegs ganze oder den Staat (die nicht mehr wissen, was außer dem ohnehin bereits Stattfindenden sie wollen könnten). Die Restöffentlichkeiten werden zusehends dem Eigensinn ihrer AgentInnen und sonstigen TeilnehmerInnen überantwortet, die sich ihre Aufgaben selber suchen müssen.

Die Gesellschaft erschöpft sich heute — in diesem Aspekt am Höhepunkt ihrer Entwicklung statisch geworden — bereits weitestgehend in den Selbverständlichkeiten der Warenwelt, deren vorrangiges Medium die unmittelbare Ungezwungenheit der Zwangslagen der Arbeit und des Konsums ist, sodaß es separater Medien zur Selbstverständigung, zur Repräsentation und Integration, recht eigentlich nicht mehr bedarf. Das Funktionieren von und in Arbeit und Konsum reicht zur Integration in die „integrierte Herrschaft des Spektakels“ (Debord) weitgehend aus, das Andauern des mehr oder weniger Funktionierenden ist als ausreichender Fortschritt allgemein akzeptiert, sodaß besondere, Fortschritt als humanistische Veranstaltung verheißende Funktionsbereiche der gesellschaftlichen Integration (Bildung etwa als Aufklärungsveranstaltung, Kultur etwa als Form- und Stilgebungsveranstaltung selbstbewußter bürgerlicher Individuen, mithin Öffentlichkeit als Begegnungsveranstaltung aufgeklärter, kultivierter Citoyens und Citoyennes) in wachsendem Maße verzichtbar werden.

Betrachtet man den Staat, den bisher wohl wichtigsten Bezugspunkt von Öffentlichkeit und Öffentlichkeiten, so zeigt er sich in einem Zustand, der vielfach als Verwahrlosung beschrieben und der Verkommenheit, intellektuellen Schmalspurigkeit und Einfallslosigkeit der Politiker oder der Bürokraten zur Last gelegt wird. Wir müssen wohl der Tatsache ins Auge blicken, daß es sich umgekehrt verhält. Die Politik ist unleugbar verkommen, von intellektueller Schmalspurigkeit gekennzeichnet und der Einfallslosigkeit preisgegeben — allerdings eher nicht deshalb, weil sich unterdurchschnittlich begabte oder böse Menschen ihrer bemächtigt hätten, sondern eher deshalb, weil sie sich ihre Funktionäre gerade so formatiert, wie sie sie brauchen kann. Offenbar werden in Staat und Politik Ambitionen und Befähigungen, die über die Funktionserhaltung im Dienste dessen, was am Markt gerade noch läuft, hinausgingen, nicht gebraucht — ja sie wären für die Stimmenmaximierung von Parteien, die in diesem Unterfangen ebenso dem totalitären Sachzwang der Ware ausgeliefert sind, sogar schädlich: Wahlwerbung funktioniert heute — das wurde ja auch schon hundertmal beschrieben und beklagt — nur noch so, wie Werbung für Waschpulver, Schokoriegel oder alkoholfreies Bier. Intellektuelle Ambitiosität, fachliche Seriosität und gesellschaftspolitische Kreativität können da — je nach Zielgruppe — gerade noch als Pose eine Rolle spielen und die gewohnheitsmäßigen Wahlversprechen (ob höhere Pensionen, Kinderbetreuungsschecks, viele neue Arbeitsplätze, Hubschrauber oder Polizisten) kann jeder Schauspieler glaubwürdiger aufsagen als jeder, der wirklich weiß, wovon er redet und deswegen unweigerlich von Bedenken und Skrupeln gezeichnet wird, die einem perfekten Produktstyling nicht zuträglich sind.

Medien sind als Ergebnis dieser Entwicklungen auch keine hervorgehobenen Waren mehr, von denen etwas anderes zu erwarten wäre als betriebswirtschaftlich zu funktionieren, also Profit zu bringen: Für den Markt geschaffene Medien sind zunächst nicht anders zu sehen und haben keine „bedeutendere“ gesellschaftliche Funktion als Waschpulver, Schokoriegel oder alkoholfreies Bier. Natürlich unterscheiden sie sich von denen noch dadurch, daß sie nicht Wäsche waschen, süß schmecken oder ihrem Käufer Scherereien bei Verkehrskontrollen ersparen, sondern Texte, Bilder und Töne verbreiten, denen Bedeutung beizumessen man so lange Zeit gewohnt war. Daß der Teil der Texte, Bilder und Töne, auf den es ankommt und für den diese Medien produziert werden, nicht der im sogenannten redaktionellen Teil, sondern der im Anzeigenteil ist, kann ja bereits als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Daß der redaktionelle Teil nicht etwa im Unterschied dazu derjenige ist, in dem sich ein inhaltliches Bestreben abseits der angepriesenen Waren realisiert, sondern der in Ergänzung dazu die Warenananpreisung fortzusetzen und (so hoch kann die „Verallgemeinerungsleistung“ dieser Medien veranschlagt werden) die Gesellschaft wie sie ist zu stützen und gegen theoretische und praktische „Fundamentalkritik“ zu beschirmen hat, sodaß Waren unangefochten Waren bleiben können, Arbeit unangefochten Arbeit bleiben kann, Konsum unangefochten Konsum bleiben kann und politische Herrschaft unangefochten politische Herrschaft bleiben kann, ist zwar auch schon längst aber noch längst nicht allgemein bekannt. Die wirksamste Form der Abschirmung ist in diesem Funktionszusammenhang aber nicht mehr die ideologische Rechtfertigung dessen, was ist, sondern dessen bloße und spielerische Reproduktion: die Zerhäckselung allen Sinns und aller Bedeutung zu belanglosen, bunten Schnipseln, die sich, nach vornehmlich werbeästhetischen Kriterien zu Magazinseiten (oder Videoclips) montiert, von vornherein jeder Beurteilung zu entziehen trachten. Kritisiert können diese Zeichengewimmel nicht mehr daran werden, was sie zu enthalten vorgeben, sonder nur noch daran, was sie nicht enthalten. Was in solchen Medien nicht gedruckt (oder gesendet) werden kann, weil zu kritisch, zu schwierig oder sonstwie nicht markttauglich, wird in alternativen Medien gedruckt und gesendet — daran erkennt man sie.

Parteien werden zu Stimmenmaximierungsbetrieben und Magazine werden zu Katalogen, ob man sie nun von vorne oder von hinten durchblättert. Von oberflächlichen spektakulären Gegnerschaften und Simulationen der Kritik abgesehen tun beide im Großen und Ganzen nichts, was von der höchst destruktiven und bedrohlichen Dynamik des Marktes abwiche, denn das Große und Ganze, in dem sie alle so gut wie restlos aufgehen, ist der Markt.

Eine positive Auseinandersetzung mit Politik und Politikern ist dort noch möglich, wo sich der eine oder die andere (aus Eigensinn) dazu entschließt, dieser destruktiven Dynamik entgegenzutreten und etwas zu ermöglichen, was nicht ohnehin bereits am Markt stattfindet oder Markttauglichkeit erlangen zu können glaubhaft macht oder wenigstens irgendwie als für Standortpolitik oder Fremdenverkehrswerbung nützlich dargestellt werden kann. Eine positive Auseinandersetzung ist dort noch möglich, wo PolitikerInnen die Wiederherstellung unspektakulärer, öffentlicher Diskussionsmöglichkeiten als erforderlich und nützlich für die Ausübung ihres eigenen Berufes auffassen, weil sie sich mit der um sich greifenden Schmalspurigkeit und leztendlichen Belanglosigkeit ihres Metiers nicht abfinden wollen. Das erfordert erst recht ein hohes Maß an Eigensinn und Standfestigkeit — es wäre eine positive Überraschung, von solchem Eigensinn Kunde zu erhalten.

Davon abgesehen — und wir sollten uns zumindest vorsichtshalber an den Gedanken gewöhnen, davon abzusehen — lautet die Aufgabe für die nächsten Jahre: Öffentlichkeit gegen ihre Unmöglichkeit am Markt und nötigenfalls abseits politischer Beachtung aufrechtzuerhalten, uns für alles zu interessieren und alles für die Wiedererlangung gesellschaftlicher Auseinandersetzungs- und Handlungsmöglichkeiten mit der Perspektive menschlicher Fortschritte geeignet erscheinende zu unterstützen, das abseits von Politik und Staat sattfinden oder Wege dorthin eröffnen wird. Die Realität wird möglicherweise fürchterlich sein — blicken wir ihr ins Auge! Unsere theoretische und praktische Kritik wird dann freilich noch vielfältiger und radikaler ausfallen müssen. Ich sehe allerdings keinen Grund vorauszusagen, daß wir dafür nicht genügend LeserInnen, HörerInnen und UserInnen finden werden.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1999
Autor/inn/en:

Robert Zöchling:

1989-1996 Mitgründer, Redakteur und Geschäftsführer der Zeitschrift Juridikum. Mitgründung der Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften 1990, deren Obmann 1996-2001. Seit 1997 Redakteur der Zeitschrift ZOOM. Ab 1999 als geschäftsführender Redakteur: Erweiterung von ZOOM durch Fusion mit Alexander Emanuely’s Webmedium CONTEXTXXI zum Multimedium Context XXI.

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