Wurzelwerk » Jahrgang 1985 » Wurzelwerk 39
Eduard Gugenberger

Der Mythos vom Quantensprung

Bericht vom Halleiner Schamanentreffen

In Hallein, einem vom österreichischen Erz-Druiden R. beanspruchten altkeltischen Kult-Zentrum, fand Ende April 1985 ein vor allem seitens des einheimischen Fremdenverkehrsgewerbes vielbeachtetes Treffen inkarnierter Schamanen statt.

Wohl schon zu Beginn scheinen bei der Beschwörung der Wettergeister einige Fehler passiert zu sein — statt der Sonne gab’s nämlich Schneefall und klirrende Kälte. Immerhin konnten sich die Teilnehmer solcherart einmal mehr der Errungenschaften unserer Zivilisation in Form eines supermodernen Konferenzzentrums (der Salzberghalle) erfreuen.

Den Veranstaltungsrahmen, das heißt an sich fielen sie eher aus dem Rahmen, bildeten die trommelnden „Wetterleute“, deren Botschaft-Kernaussage: „New Age ist Scheiße!“ von den meisten Teilnehmern leider nicht verstanden wurde. Der (ins New Age) führende neoschamanistische Ideologe Arnoldo Villoldo sprach in seinem Eröffnungsvortrag nicht nur vom neuen Schamanismus, der — glaubt man New Age Propheten wie Marilyn Ferguson — aus dem Westen, dem indianisch inkarnierten weißen Amerika, kommt, sondern auch von der Notwendigkeit des Quantensprunges. Mit dieser Botschaft erntete er tosenden Beifall, meinte er damit doch einen Intelligenzsprung nach vorn, in ein gänzlich krisen- und konfliktloses Neues Zeitalter. Daß die Halleiner Bevölkerung, mit diesem Begriff konfrontiert, dessen Bedeutung nicht so recht verstand, liegt vermutlich an ihrer fehlenden Bereitschaft, „das Neue zu wagen“.

Neben Villoldo tat sich sein Schamanenkollege, der Trancetänzer Otto Richter, als Quantenspringer hervor.

Im Rahmen seiner Meditation ließ er die Teilnehmer ihre Wurzeln — durch den schweren Beton der Salzberghalle! — in die gepeinigte Erde strecken. Ilse Korte, friedensbewegte Geistheilerin, ließ als Pedant dazu die meditierenden Teilnehmer in die Gegenrichtung schweben — zu Jesus Christus nämlich.

Einen absoluten Kontrast dazu bildete Frater V.D., der durch seine schonungslosen, spritzig-humoristischen Ausführungen so manche New Age-Schönwelt erschütterte. Einige Quantenspringer schafften es trotz veränderten Bewußtseins nicht, seinen Vortrag bis zu Ende durchzustehen.

Den Höhepunkt des Schamanentreffens bildete ein nach Inka-Vorbild arrangiertes Feuer Ritual mit einem Zentral- und vier Himmelsrichtungsfeuern, die alle zusammen mit mehr als zehn Liter Benzin präpariert wurden. Villoldo, selbsternannter „Stammessprecher“, geriet beim Entzünden des Zentralfeuers auch gleich selbst in Brand, konnte aber — dank zu Hilfe eilender Quantenspringer — gerettet werden. Während das Zentralfeuer dem Großen Geist unterstand, waren die vier kleineren Feuer jeweils einem „Krafttiere“ zugeordnet — meines (Hauskatze) war leider nicht vertreten — und wurde von je zwei Schamanen bewacht, die vor Beginn der Zeremonie den Teilnehmern ebendiese erklärten. Daß ich durch diese Erklärungen eher verwirrt wurde, lag wohl daran, daß „mein“ Schamane die Himmelsrichtungen ständig verwechselte.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war mir klar, daß ich für die Realität des Quantensprunges (noch) nicht geeignet bin und wohl zu den laut Villoldo 99% der Menschen gehöre, die durch „Nichtsprung“ zugrunde gehen werden.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Mai
1985
, Seite 23
Autor/inn/en:

Eduard Gugenberger:

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