FŒHN » Heft 12
Markus Wilhelm

Der Griff nach Österreich

Die „EG“, das sind in Wahrheit die „EG“-Konzerne. Und die wollen, das haben wir gesehen, dieses Österreich mit Putz und Stingel. Der Handel mit Österreich brachte ihnen schon im Jahre 1987 83 Milliarden Schilling Über­schuß. Österreich ist das drittwichtigste Exportland für die „EG“. Österreich ist ein Niedriglohnland, ein Facharbeiterland, ein Land ohne emstzunehmende Gewerkschaften. Die „EG“ will es. „Die niederländische Wirtschaft“, wird der Präsident des niederländischen Untemehmerverbandes VNO, A. van Lede zitiert, „sei zu dem einzig richtigen Schluß gekommen, daß Österreich in der Europäischen Gemeinschaft sehr willkommen sei.“ (Industrie, 14.12.1988) Österreich hat immer noch interessante Exportmärkte z.B. in Osteuropa und im Nahen Osten, die die „EG“-Konzerne an sich reißen möchten. Österreich müßte in die „EG“-Kassa zig Milliarden Schilling jährlich hineinzahlen. Österreich müßte die Forschung der Hochtechnologie-Industrie mitfinanzie­ren. Die „EG“ will Österreich. Die „EG“-Konzerne, die Betriebe in Österreich haben, wollen, daß diese auch in der „EG“ sind. Österreich ist heute schon für rund 500 Firmen der beste Standort für die sich überschlagsartig entwickeln­den Ostgeschäfte. Die „EG“ will Österreich. Österreich wird von der „EG“ unter allen Umständen als Verkehrsfläche gebraucht. Usw. Kurz: Die Einglie­derung Österreichs in die „EG“ wird von den die „EG“ beherrschenden Wirt­schaftsgiganten betrieben. Freilich soll es nach Möglichkeit nicht so aussehen. Die in Österreich in Bewegung gesetzten Hampelmänner sollen uns, die wir nicht in die „EG“ wollen, einreden, wir seien es, die in die „EG“ wollten.

Das große Kapital in der „EG“, dessen Werkzeug auch die Brüsseler Bürokra­tie ist, arbeitet auf den Anschluß hin. Die hohen „EG“-Beamten, die Kommis­sions-Politiker, die den Interessen der großen Konzerne verpflichtet sind, lassen ihre Bemühungen um den Anschluß durchblicken. „Ich habe allgemein den Eindruck“, sagt Wolfgang Wolte, der Österreichische Botschafter bei der „EG“ in Brüssel, „daß man jetzt von EG-Seite eine Entscheidung erwartet und damit rechnet, daß diese Entscheidung zugunsten eines Beitrittes ausfallen wird. Das ist allgemeine Erwartungshaltung.“ (Kurier, 30.11.1988) „Auch aus dem Ausland, von den EG-Stellen selbst, sei es vom ehemaligen EG-Präsiden­ten Gaston Thorn oder dem jetzigen (Vize) Narjes“, heißt es in einem internen Papier der Tiroler Industriellenvereinigung, „wird uns eindeutig signalisiert, daß ein Vollbeitritt Österreichs zur EG erwünscht wäre und entsprechende Un­terstützung fände.“ (Jänner 1988) „Ihr habt eine bestimmte Aufgabe auch Richtung Osten“, sagt der „EG“-Vizepräsident Manuel Marin, „spielt sie in der EG!“ (Kurier, 9.4.1987) Und der „EG“-Kommissär für Außenpolitik, Willy de Clerq: „Ich freue mich auf den Tag, an dem Österreich der Europäi­schen Gemeinschaft sagen kann: ‚Wir kommen!‘“ Jedermann in der „EG“ weiß, sagt er, „daß ein Land wie Österreich viel in die Gemeinschaft einbrin­gen kann. Ihr gehört zu meiner Vision von einem gemeinsamen Europa!“ (Kurier, 20.10.1987)

Die hohen „EG“-Beamten haben die Visionen der westeuropäischen Groß­konzerne zu ihren eigenen gemacht.

Es muß jedem auffallen, daß im Gegensatz dazu von den Spitzenpolitikern der „EG“-Staaten, sofern es nicht solche aus der BRD sind, in zwei Jahren Gebittel und Gebettel noch keiner auch nur mit einem Satz den Anschluß Österreichs an die „EG“ befürwortet hat. Im Gegenteil. Hier nur so viel: Die Mitte Jänner erfolgte klare Ablehnung eines „Beitrittes“ Österreichs durch den „EG“-Präsidenten Jacques Delors, und hier spricht er als Franzose und als ehemaliger Minister Frankreichs, drückt die Haltung der italienischen, der französischen, der belgischen, der britischen Regierung usw. zum Anschluß aus.

Die BRD will Österreich

Das Interesse der „EG“ an Österreich kommt, abgesehen von den multinatio­nalen Konzernen, vor allem aus einem „EG“-Land, aus der Bundesrepublik Deutschland. Aus einem Deutschland, das die wirtschaftlich dominierende Macht in Europa ist. Dessen Industrieproduktion fast so groß ist wie die Frankreichs und die Großbritanniens zusammen. Aus einer BRD, die die stärkste konventionelle Militärmacht Westeuropas ist. Deren D-Mark die Leitwährung Europas ist. Aus einer BRD, die allein über 40% der Währungs­reserven aller „EG“-Länder verfügt. Die das exportstärkste Land der Welt ist. Das größte „EG“-Unternehmen der Elektrobranche steht in der BRD, die zwei größten Automobilfirmen der „EG“ stehen in der BRD, die drei größten Chemie-Konzerne der „EG“ stehen in der BRD, und auch die vier größten Maschinenbauuntemehmen stehen in der BRD (Salzburger Nachrichten, 16.2.1989).

Die Bundesrepublik Deutschland treibt Österreich vehement zum Anschluß. Sie hat im April 1988 in Wien in den Räumen der deutschen Botschaft eine „EG“-Botschaft in Österreich untergebracht, und der deutsche Botschafter in Wien ist in einer Person auch der Botschafter der „EG“ in Wien. (Der österreichische Außenminister mußte sich dafür noch loben, daß er diese „EG“-Delegation nach Österreich hat bringen können.) Sie gibt sogar eine Zeitschrift namens „euro echo — Informationsbrief der Europäischen Gemein­schaften für Österreich“ heraus, die das Anschlußinteresse unter der Bevölke­rung fördern soll.

Deutschland will aus wirtschaftlichen und politischen Gründen, daß Öster­reich wieder vollends in seinen Einflußbereich kommt. Jede Woche tritt irgendwo ein deutscher Banker oder Industriemanager auf und verlangt, auch wenn ers anders ausdrückt, daß sich Österreich anschließt. „Aus wirtschaftli­cher Sicht sei ein EG-Beitritt Österreichs notwendig“, sagt laut Presse (31.5.1988) der langjährige Präsident des Deutschen Industrie- und Handels­tages, der Großindustrielle Otto Wolff von Amerongen, Träger des Österrei­chischen Verdienstkreuzes. „Österreich gehört dazu!“, sagt der Bundesge­schäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Mann (Kurier, 16.4.1988). „Deutschland betrachte Österreich als den ‚engsten Ver­bündeten‘, gibt die Presse (24.9.1988) den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, den Großindustriellen Hans Peter Stihl wieder, „BRD-Wirtschaftschef für EG-Beitritt Österreichs“ titelt der Kurier am selben Tag über denselben Herrn. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, eilt auf Einladung der CA nach Wien, um dort unmißver­ständlich mitzuteilen: „EG kann noch weitere Mitglieder verkraften“ (Titel in der Presse vom 17.10.1988). Hans-Peter Martin, ein Spitzenvertreter der In­dustrie- und Handelskammer Duisburg, ermuntert: „Ich möchte Sie darin be­stärken, daß Sie in Verhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft zum Konzept einer Stufenlösung kommen, an deren Ende in absehbarer Zeit eine Vollmitgliedschaft Österreichs in der EG stehen Sollte.“ (Verkehr, 43/1987) Franz Schoser, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handels­tages in Bonn meint zu Österreichs „EG“-Anschluß: „Aus Sicht der deutschen Wirtschaft gibt es nur Argumente pro.“ (Kurier, 15.2.1989) Der hochrangige BRD-Wirtschaftsexperte Gerhard Schmidt läßt wissen, „es lohne sich, in Österreich zu investieren“ und für ihn sei „ein EG-Beitritt Österreichs selbst­verständlich“. (Kurier, 15.10.1988) Horst Münzner, einer der mächtigsten Männer der deutschen Wirtschaft, der massiv die Hände in der österreichi­schen hat, verlautbart als Präsident der Deutschen Handelskammer in Öster­reich: „Wir halten die Einbeziehung Österreichs in den gemeinsamen EG- Binnenmarkt für eine wirtschaftliche Notwendigkeit.“ (Prospekt des Alpba­cher Finanzsymposiums vom 6./7.10.1988) Und als Vize-General-Direktor von VW verkündet er über die Presse (23.1.1988): „Österreich ist europareif. Österreich muß nur einmal die Mitgliedschaft bei der EG beantragen, dann wird sich alles weitere ergeben.“

Was sagt die Geschichte?

Sicher, das Großkapital der BRD wirft sich energischer als das anderer „EG“- Länder auf den Happen Österreich. Das Besondere aber ist, wie schon erwähnt, daß in Deutschland (und nur in Deutschland) auch von der politischen Ebene her mit hohem Aufwand auf den Anschluß abgezielt wird. Die Politik der Annexion Österreichs wurde nicht vom seinerzeitigen Kanzler Adolf Hitler erfunden, und sie ist nicht mit ihm gestorben.

Freilich war seit jeher der oberste Grundsatz bei der Verfolgung dieses Ziels, daß nach außen hin alles darauf hinzudeuten habe, die Initiative für den Anschluß ginge von Österreich aus. Ein Blick in die Geschichte zeigt uns, daß wir uns über die Lärmquelle des in Österreich tosenden Geschreis nicht täuschen lassen sollten. Für die Verschleierung des deutschen Machtwillens mußte dabei immer schon die Europa-Idee herhalten.

1914: Der deutsche Reichskanzler Bethmann Hollweg: „Der wirtschaftspoli­tische Zusammenschluß Deutschlands und Österreich-Ungams ist eine poli­tische Notwendigkeit.“ (Fritz Fischer, »Griff nach der Weltmacht«)

1915: Kurt Riezler, persönlicher Referent des deutschen Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg: „Gestern lange mit dem Kanzler zusam­mengesessen, um ihm mein neues Europa, d.h. die europäische Verbrämung unseres Machtwillens auseinanderzusetzen. Das mitteleuropäische Reich deutscher Nation. (...) Dann Österreich so behandeln, daß es von selbst hinein­wächst. Das wird es und muß es. (...) Man braucht gar nicht von Anschluß an die Centralmacht zu reden. Der europäische Gedanke, wenn er sich weiter denkt, führt ganz alleine zu solcher Konsequenz.“ (Norbert Schausberger, »Der Griff nach Österreich«, S. 19)

1916: Exreichskanzler Fürst von Bülow: „Selbst wenn wir diesen Krieg (den Ersten Weltkrieg) verlieren sollten, werden wir die Partie doch gewinnen, denn wir werden Österreich annektieren.“ (Broschüre der Österr. Wider­standsbewegung 1988)

1918: Der deutsche Botschafter in Wien, Botho Wedel, an Berlin: „Allerdings wäre es besser, wenn die Österreicher in dieser Frage die Initiative ergriffen, denn die Entente begänne bereits die Möglichkeit eines vergrößerten Deutsch­lands zu fürchten; auch solle man nicht den Anschein erwecken, imperialisti­sche Politik zu betreibend“ (Schausberger, S. 32)

1918: Gustav Stresemann, Führer des Bundes der Industriellen „sagte dem Außenamt in einer Reichstagsrede vom 22. Oktober 1918 die volle Unterstüt­zung des deutschen Großkapitals im Falle einer Annexion Deutschösterreichs zu und bestätigte damit erneut die politischen Ambitionen der deutschen Wirtschaft.“ (Schausberger, S. 44)

1919: „Der deutsche Gesandte Graf Wedel, dessen Sorgen über die permanent abnehmende Anschlußbewegung der Österreicher immer größer wurde, for­derte vom Außenamt den Ankauf einflußreicher Wiener Zeitungen, denn es müsse eine ‚dem Anschlußgedanken rückhaltlos ergebene Presse geschaffen werden‘. Der Erfolg der Anschlußbestrebungen sei derzeit mangels Unter­stützung in der bürgerlichen Presse bedroht; ‚eine der Reichspolitik ergebene Wiener Presse‘ werde sich während der bald beginnenden Anschlußverhand­lungen als wertvoll erweisen, da sie den deutschen Standpunkt in bezug auf Währung, Zoll und wirtschaftliche Fragen unterstützen könne.“ (Schausberger, S. 61)

1919: Anweisung an den deutschen Botschafter in Wien: „Wedel möge der österreichischen Regierung stets versichern, welch großen Wert Deutschland auf die Vereinigung lege — aber in die Öffentlichkeit dürfe davon nichts dringen“. (Schausberger, S. 69)

1919: Der deutsche Sonderbeauftragte Berger meldet aus Innsbruck nach Berlin: „Welches aber auch der wirklich gewollte politische Kurs in Österreich zur Zeit sein mag, in jedem Falle ist eine geschickte Aufklärungsarbeit im Sinne des deutschen Anschlusses notwendig. Betrügt die Wiener Regierung uns, so müssen wir eben selbst unsere Interessen wahmehmen und den deutschen Einheitsgedanken in der deutsch-österreichischen Bevölkerung beleben und wachhalten, bis eine geeignetere Zeit und eine fähigere Regierung den Anschlußgedanken verwirklicht.“ (Schausberger, S. 88)

1921: „Reichsaußenminister Simon wies deutsche Diplomaten an: ‚Bitte, sorgfältig Anschein vermeiden, als ob wir Anschluß betrieben. (...) Anschluß­wunsch aber muß aus innen- und außenpolitischen Gründen von Österreich ausgehen‘.“ (Schausberger, S. 99)

1927: In einer Denkschrift des Deutschen Schutzbundes für das Grenz- und Auslandsdeutschtum, der u.a. von der deutschen Industrie finanziert wurde, geht es darum, „deutsche Expansionsziele mit europäischer Phraseologie zu lancieren“ (Schausberger), d.h., „in internationalem Gewände an die Öffent­lichkeit zu treten, dabei aber einen Weg zur Verwirklichung des großdeut­schen Gedankens“ zu verfolgen. (Schausberger, S. 144)

1927: Georg Gothein von der Demokratischen Partei, früher kurz Reichsmi­nister, vor sächsischen Wirtschaftskreisen: „Dieses Mitteleuropa, wie wir es uns vorstellen, kann aber nur in Etappen erreicht werden. Die erste Stufe dürfte die wirtschaftspolitische Angliederung Österreichs an Deutschland sein unter allmählichem Abbau der Zollschranken zwischen beiden Ländern.“ (Schausberger, S. 168)

1928: „In seinem von der (österr.-deutschen) Arbeitsgemeinschaft und dem (österr.-deutschen) Volksbund (beide finanziell kräftig aus dem Deutschen Reich unterstützt) geförderten Werk »Österreichs Weg zum Anschluß - Die Frage der Wirtschaftsangleichung Deutschlands und Österreichs als Vorberei­tung des politischen Anschlusses« konnte Gerhard Höper bereits feststellen: >‚Man kann getrost sagen, daß die österreichische Schwerindustrie, die Elek­troindustrie und die Papierindustrie bereits angeschlossen sind.‘“ (Schausberger, S. 163)

1930: Reichsaußenminister Curtius: „Das Nächstliegende sei die Schaffung eines Blocks zwischen Deutschland und Österreich. Für die Verwirklichung dieses Gedankens soll man nach seiner Auffassung die notwendigen Voraus­setzungen auf der ganzen Linie umso mehr schaffen, als dieses Ziel vor allem auch unter den Wirtschaftskreisen verfolgt werde.“ (Schausberger, S. 171) 1930: Deutscher Industrie- und Handelstag: „Das regere Interesse deutschen Kapitals an Österreich bringt eine Verflechtung des Wirtschaftslebens beider Länder mit sich, die nur zu begrüßen ist. Die Folge wird eine wachsende Gemeinsamkeit der beiden Volkswirtschaften gesteckten Ziele sein, die den Boden für die Lösung späterer Fragen günstig vorbereitet.“ (Schausberger, S. 181)

1931: In einer Aufzeichnung Bülows vom 17.1.1931 heißt es nach einem Treffen des Reichsaußenministers Curtius mit dem österr. Außenminister Schober: „Herr Curtius hat bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam ge­macht, daß nicht Deutschland die anderen Mächte, etwa Frankreich, zuerst unterrichten könne, um nicht den Anschein zu erwecken, daß die Anschlußfra­ge aufgeworfen werden solle. Die Initiative müsse daher von Österreich ausgehen. Es würde sich empfehlen, die Aktion in den Rahmen Paneuropas zu stellen.“ (Schausberger, S. 186)

1931: Zu Gesprächen in Wien hatte der Reichsaußenminister „Bemerkungen zur Anschlußfrage und ihrer Behandlung in Gesprächen mit österreichischen Politikern“ vorbereitet, in denen es u.a. heißt: „Der Anschluß ist ein selbstver­ständliches Ziel der deutschen Politik.“ (Schausberger, S. 186)

(Heute noch will man, wir sollten allen diesen Dokumenten zum Trotz glauben, die Österreicherinnen und Österreicher hätten den Anschluß ge­wollt. Das ist notwendig, weil auch heute wieder mit dem Mittel, wir seien es, die zur „EG“ wollten, gearbeitet werden muß.)

Über den Krieg Deutschlands gegen Österreich unter Hitler, der sagte, „Öster­reich muß vom Reich aus neu kolonisiert werden. Es ist höchste Zeit, daß es geschieht.“, erübrigt sich jeder Satz.

Bezeichnenderweise wurde die Überfallspolitik des Nationalsozialistischen Deutschlands auch wieder „europäisch“ getarnt. Goebbels gab die Losung von der „Neuordnung Europas“ aus. 1943 erschien in Berlin bereits in 2. Auflage ein Buch mit dem Titel „Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft“ (!), das zehn Vorträge von Reichsministem, Industriemanagem und Bankdirektoren zur künftigen europäischen Wirtschaftspolitik enthält. Ein Ministerialdirektor Beisiegel schreibt da: „Europa ist erwacht, der Gedanke eines geeinten Europa marschiert und ist nicht mehr aufzuhalten. Immer mehr zeichnet sich der Großwirtschaftsraum ab, innerhalb dessen die Völker Europas ihr Schicksal in die Hand nehmen und meistem wollen.“ Da ist kein Gebiet — von der „Europäischen Landwirtschaft“ bis zur „Europäischen Industriewirtschaft“, vom „Arbeitseinsatz in Europa“ bis zu den „Europäischen Währungsfragen“, von den „Europäischen Handels- und Wirtschaftsverträgen“ bis zu den „Europäischen Verkehrsffagen“ — ausgelassen, das heute in Brüssel von Bedeutung ist. Die Methoden mögen sich zeitweilig unterscheiden. Die Ziele sind immer die gleichen. 1944 verfaßt Richard Riedl, Beamter im Reichswirtschaftsministerium, die Denkschrift „Weg zu Europa. Gedanken über ein Wirtschaftsbündnis europäischer Staaten.“ Deutschland, heißt es da, müsse „Fahnenträger eines neuen Europa“, einer „Europäischen Wirtschaftsgemein­schaft“ sein.

„Der Anschluß ist ein selbstverständliches Ziel der deutschen Politik“

Weder ist mit 1945 die imperialistische Europa-Idee begraben worden, noch ist mit dem verlorenen Krieg der Hunger Deutschlands erloschen. So traf am Tag nach der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages im Jahre 1955 aus Bonn statt eines Glückwunschschreibens ein Protestschreiben ein, wobei die Regelung des sogenannten „Deutschen Eigentums“ den Vorwand lieferte, das Mißfallen an der Unabhängigkeitserklärung Österreichs kundzu­tun. Der deutsche Botschafter war bereits am 14. Mai aus Wien zurückberufen worden! Bruno Kreisky erinnert in seinen Memoiren „Zwischen den Zeiten“ an die Berliner Konferenz im Februar 1954: „Auf deutscher Seite setzte der Leiter der deutschen Delegation, Herr Blankenhorn, alles daran, einen öster­reichischen Staatsvertrag zu verhindern.“

Der Beschluß der Neutralität am 26. Oktober 1955 durch den österreichischen Nationalrat war dann der schwerste Schlag, den Österreich dem deutschen Ausdehnungsdrang versetzen konnte. Der Pressechef der deutschen Bundes­regierung „teilte (bereits) 1954 Außenminister Leopold Figl die Bonner Bedenken gegen eine ‚Neutralisierung‘ Österreichs mit“, schreibt E. Washietl in „Österreich und die Deutschen“ (1988). In einer internen Beurteilung durch den deutschen Legationsrat Knoke vom 7. November 1955 heißt es: „Eine neue Lage in den deutsch-österreichischen Beziehungen ist durch das Inkrafttreten des österreichischen Staatsvertrages eingetreten. Wie ein roter Faden zieht sich durch diesen Vertrag der Niederschlag der alliierten Absicht, einen tiefen Graben zwischen Deutschland und Österreich aufzuwerfen.“ Über den Artikel 4 (Anschlußverbot) liest man: „diese Bestimmung hängt wie ein Damoklesschwert über jeder zukünftigen nennenswerten deutschen Kapi­talbeteiligung in Österreich.“ „Diese Deutschland diskriminierenden Bestim­mungen des Staatsvertrages“, heißt es weiter, „erschweren, nüchtern und objektiv gesehen, auch bei Vorliegen des besten Willens der österreichischen Regierung, in außerordentlichem Maße eine wirklich freundschaftliche Aus­gestaltung der Beziehungen zu Österreich.“ (Washietl, Österreich und die Deutschen)

Zwei Tage später hält derselbe Knoke unter der amtlichen Zahl 304.211-00/94.19/1814/55 die Auffassung, daß eine Anerkennung der österreichischen Neutralität durch die BRD nicht ratsam ist, fest: „Würde es zu einem militä­rischen Konflikt zwischen NATO und den Staaten des Warschauer Vertrages kommen, so würden zwingende militärische Gründe die Besetzung Westö­sterreichs erforderlich machen (Herstellung der direkten Verbindung zwi­schen der Bundesrepublik und Italien). Würde die Bundesrepublik, deren Streitkräfte in einem solchen hypothetischen Fall voraussichtlich als erste westösterreichisches Gebiet besetzen müßten, im Spätherbst 1955 die Erklä­rung abgegeben haben, daß sie die österreichische Neutralität anerkenne oder achte, so würde sich die Bundesrepublik mit Recht den Vorwurf machen lassen müssen, daß sie wie im Falle Belgiens im Jahre 1914 eine völkerrechtliche Verpflichtung gebrochen habe. Die nicht von vornherein auszuschließende Möglichkeit der künftigen historischen Entwicklung im vorstehend skizzier­ten Sinn könnte es nahelegen, sich für die schwächste Form, das heißt die Kenntnisnahme der österreichischen Neutralitätserklärung zu entscheiden.“ (Washietl, Österreich und die Deutschen)

Was hat sich geändert?

Das bricht nicht ab und hört nicht auf in Deutschland. Der Kapitalismus kann dauerhaft nicht anders gesättigt werden als durch Annexion! Das bekommt einen anderen Titel, das wird mit anderen Mitteln zu erreichen versucht.

In einer Nummer des Düsseldorfer Industriekurier konnte man 1958, ein Jahr nach Gründung der „EWG“, lesen: „Der zweite deutsche Staat ist in Wahrheit Österreich; denn hier wohnen deutsche Menschen wie wir. Aber der Anschluß interessiert nicht mehr, seitdem es eine europäische Politik gibt, die darauf hinzielt, die Grenzen im alten Abendland unsichtbar zu machen.“ Und derzeit führt die CDU/CSU einen Europawahlkampf unter dem Slogan „Deutsch­lands Zukunft heißt Europa“! (Inserat in Die Zeit, 27.1.1989)

Es mag manchem noch erinnerlich sein, wie der deutsche Kanzler in die Bundespräsidentenwahl in Österreich eingegriffen hat: „Wenn ich Östreischer wäre, ich wüßte, wen wählen!“ Er bezeichnete Waldheim, der 1938 im aller­ersten Augenblick von der österreichischen auf die anti-österreichische Seite übergewechselt hat, als „großartigen Patrioten“, „der aus einer Generation kommt, die das Auf und Ab dieses Jahrhunderts und der gemeinsamen deutsch-österreichischen Geschichte miterlebt und miterlitten hat“ (Frankfur­ter Rundschau, 28.4.1986). Die gemeinsame deutsch-österreichische Ge­schichte, an die Kohl hier erinnert, das ist die Zeit, in der es Österreich nicht gab. Der alte Anspruch Deutschlands auf Österreich, der neue, der ewige, wird angemeldet.

Die Geschichtsforscher können mit Schriftstücken aus Archiven die wirkli­chen Ziele der Politik, die versteckten, sichtbar machen. So ist die Anschluß­politik Deutschlands alle die Jahrzehnte herauf erdrückend beweisbar. Uns, die wir uns mit der Gegenwart beschäftigen, sind die geheimen Depeschen zwischen Botschaft und Außenamt, die vertraulichen Denkschriften, die Protokolle der Kanzlergespräche nicht zugänglich. Wir sind auf das wenige an die Öffentlichkeit Dringende angewiesen. Aber auch daraus ist die Anschluß­politik der BRD erschreckend ablesbar.

Von Einsagern und Nachsagern

Wieder oder noch immer unternimmt Deutschland, das sich dieses Österreich dazunehmen will, alles, um den Anschein zu erzeugen, Österreich selbst wünsche den Anschluß. Wie wir gesehen haben, wird heute wieder — wie in den 20er und 30er Jahren — mit Geldern der deutschen Industrie, die zumindest über die sogenannte österreichische Industriellenvereinigung an die „Europapar­tei“ ÖVP und die klassische großdeutsche FPÖ gehen, in Österreich fiir den Anschluß, der „EG-Anschluß“ heißt oder noch zynischer „EG“-Beitritt“, Stimmung gemacht. Es ist noch erinnerlich, wie im Zuge des Flick-Skandals bekannt geworden ist, daß Herr Flick auch den Salzburger Landeshauptmann W. Haslauer und dessen Partei mit hübschen Summen unterstützt hat. Um das heiße Verlangen der BRD, die sich hier wieder hinter der „EG“ versteckt, zu verbergen, sagt der deutsche Botschafter in Wien, der gleichzeitig der „EG“- Botschafter in Wien ist, Michael Goppel, auf die scheinheilige Frage, ob denn überhaupt ein Interesse der „EG“-Staaten an Österreich bestehe: „Die Frage ist nicht richtig gestellt: es geht nicht darum, ob die EG ein Interesse an Österreich hat, sondern umgekehrt.“

Das Zentralorgan des deutschen Finanzkapitals bringt es genau umgekehrt an die Öffentlichkeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.5.1987

Es geht darum, an die Stelle der Einverleibungsgelüste der BRD die Gelüste des Einverleibtwerdens Österreichs zu setzen. Daß Deutschland Österreich wieder haben will, ist noch nicht die Tragödie. Die Tragödie ist, daß unser Land von solchen Leuten gelenkt wird, die es Deutschland wieder ausliefem wollen. Der Generaldirektor der „Ersten Österreichischen Sparkasse“, Hans Haumer, setzt das von Goppel Geforderte gleich um, wenn er den Österrei­chern via Profil (4.5.1987) erklärt: „Zum Unterschied davon braucht die EG Österreich nicht. Wir spielen im Außenhandel der Gemeinschaft mit knapp zwei Prozent Anteil nur eine Rolle am Rande.“ Österreich will, das ist die Botschaft, die er mit dreistesten Verdrehungen vermitteln muß. Die Wahrheit: „Österreich ist mit einem Anteil von 5,65% an den EG-Exporten ... der drittstärkste Exportmarkt für die EG im Jahre 1986.“ (Hummer/Schweitzer im Prospekt zur »Nova- West«, Dezember 1987) Auch der Vorstandsvorsitzende der Neusiedler AG, Manfred Leeb, versuchte kürzlich dieser Umkehrung zu dienen, indem er behauptete, „daß für die Österreicher der Beitritt zur europäi­schen Gemeinschaft notwendiger ist, als für die EG die Teilnahme Öster­reichs“. (Presse, 13.2.1989)

Wieder wird wie in den 20er und 30er Jahren die Lügenpropaganda nach Österreich hereingetragen, unser Land sei ohne Anschluß an die „EG“ nicht lebensfähig. Es war immer schon ein Mittel der Kolonialpolitik, die kleinen Länder damit zu erschrecken, sie könnten alleine nicht existieren. Die Parole „Ein kleines Land ist wirtschaftlich und politisch nicht lebensfähig“, die in Österreich ausgegeben ist, ist die einfache Umkehrung der politischen Maxi­me: „Ein großes Land muß andere Länder beherrschen!“

Weil im Grunde in Deutschland noch dasselbe System, wenn auch weiter entwickelt, wie vor vierzig, fünfzig, sechzig, siebzig Jahren besteht, deshalb sind auch die Ziele dieser Politik im Grunde dieselben geblieben und die Mittel, sie zu erreichen. Ein deutscher Abgeordneter im Europäischen Parlament, H. J. Zahorka, der sich gern als Vertreter der österreichischen Interessen bei der „EG“ bezeichnet, warnt Österreich davor, „in eine fatale Isolation zu gelangen“, wenn es sich nicht an die „EG“ hängt: „Dann wird es für Österreich wirtschaftlich und politisch zappenduster.“ (Presse, 17.9.1988) Die solcherart wieder aus dem Ausland hereingetragene Legende von der Lebensunfahigkeit findet — und das ist erst das Verhängnis für Österreich — in unserem Lande genügend Papageien. Die Tiroler Handelskammer ließ im Frühjahr 1988 landesweit ein „EG“-Anschluß-Plakat affichieren, auf dem gedroht wurde: „Als Ausgesperrte wären wir wohl kaum lebensfähig.“ (Ausführlich über die österreichischen Handlanger im nächsten FOEHN.)

Was sie nicht verbergen können

Auch wenn es nach dem Gesagten keiner weiteren Beweise mehr für die Gier Deutschlands nach Österreich bedarf, werden sie uns dennoch laufend gelie­fert. „Österreichs Beitritt wäre eine ‚wertvolle Ergänzung‘ für die EG, erklärte der Fraktionsvorsitzende der europäischen Volkspartei im Europaparlamanent, Egon Klepsch (Bundesrepublik Deutschland), bei der ÖVP-Klubklausur in Villach.“ (TT, 25.10.1988) Ein anderes Mitglied des Europäischen Parlaments, der bereits erwähnte Hans-Jürgen Zahorka, rät Österreich in einem Vortrag vor den steirischen Industriellen, „die österreichische ‚immerwährende Neutralität‘ selbstkritisch zu hinterfragen“ und tut kund: „Öster­reich läuft hier Gefahr, sich in anachronistischer Weise zu isolieren.“ Und: „Es wäre zumindest aus integrationspolitischer Hinsicht wünschenswert, wenn in Österreich Politiker — auch wenn sie zuerst dafür kritisiert werden — sich für einen EG-Beitritt ‚aus dem Fenster hängen‘ würden.“ (Die Steirische, 28.4.1988) Der Presse vom 19.1.1989 entnehmen wir: „Sehr positiv zu einem eventuellen Beitritt Österreichs äußerte sich der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der westdeutschen CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Rudolf Seiters, vor Journalisten in Wien. Ein Beitrittsantrag Österreichs zur EG liege ‚im gesamteuropäischen Interesse‘. Seiters versicherte, dies sei die Position seiner Partei und die der Bonner Regierung.“

Weiter. Nach einem Besuch des bayrischen Staatsministers und Leiters der Bayrischen Staatskanzlei, Edmund Stoiber, in Wien titelt die Neue Tiroler Zeitung (27.9.1988): „Stoiber: ‚Österreich soll zur EG‘“. Aber auch die Politiker der anderen Bundesländer der BRD sind scharf auf Österreich. „Entschieden positiv äußerte sich der Ministerpräsident des westdeutschen Bundeslandes Baden-Würtemberg und CDU-Spitzenpolitiker Lothar Späth über Österreichs Bestrebungen, der Europäischen Gemeinschaft beizutreten.“ (Standard, 8.11.1988) Die ÖVP Steiermark hat sich zu ihrem Europa-Kongreß den hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann kommen lassen, der dann sagt: „Sollte sich Österreich zum EG-Beitritt entschließen, dann werden wir es von Herzen willkommen heißen.“ (Kurier, 23.10.1988) Und der (damalige) Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, läßt wis­sen: „Ich glaube, die BRD hat Interesse daran, Österreich so nahe wie möglich an die EG heranzuführen ynd wenn Österreich das möchte, auch den Beitritt zu befürworten.“ (Oberländer Rundschau, 18.8.1988)

Immer wieder, so heiß der Anschluß Österreichs auch begehrt wird, muß in einem Nebensatz die Initiative, die eindeutig auf deutscher Seite ist, Österreich zugeschoben werden. So meint der außenpolitische Chefberater des deutschen Bundeskanzlers, Horst Teltschik, betont unterkühlt: „Österreich weiß, daß ein solcher Antrag, wenn es ihn stellt, nicht an der Bundesrepublik scheitern wird. Aber wir sind der Auffassung, daß dies zunächst eine österreichische Angele­genheit ist, in die wir uns nicht einzumischen haben.“ (Profil, 4.7.1988) Fast aufs Wort decken sich diese Äußerungen mit den öffentlich abgegebenen Beteuerungen deutscher Staatsmänner in den 20er und 30er Jahren. Auf die Spitze zu treiben versteht dieses Spiel der deutsche Bundeskanzler Kohl. Bei einem Treffen mit Vranitzky soll er laut Kurier vom 21.8.1986 Österreich „quasi im Gegenzug für ein Stillhalten im Fall Wackersdorf“ angeboten haben, daß die BRD „die stärkere Integration Österreichs in die EG stark unterstützen will“. (Diese Taktik erinnert an die jener schlauen Bäuerin, die ihrer Nachbarin das folgende Angebot gemacht hat: „Du laßt mir meine Krapfen in dein Schmalz außerbacken und i laß dir dafür dein Speck bei mein Kraut sieden.“)

Noch ein Hinweis auf das Falschspiel des deutschen Bundeskanzlers mit Östereich. Während er gegenüber allen möglichen Staaten, so z.B. sogar gegenüber Kanada, erklärt hat, „daß die Europäische Gemeinschaft auch nach Verwirklichung des Binnnmarktes uneingeschränkt für Kanadas Exportwirt­schaft offenbleiben werde“ (Süddeutsche Zeitung, 18.6.1988), hat er ein solches Wort in Richtung Österreich tunlichst vermieden, um die Dreckarbeit jener nicht zu gefährden, die hier mit der Lüge von der Einigelung der „EG“ („Festung Europa“) Angst und Schrecken verbreiten und so den Anschluß vorbereiten sollen.

Für die BRD ist Österreich immer noch kein Land wie jedes andere, sondern (genauso wie die DDR) immer noch eines, das ihr weggenommen worden ist. Daraus erklärt sich der hohe Einsatz um den Anschluß Österreichs.

In der wirtschaftlichen Beherrschung der „EG“ durch Deutschland sehen die anderen „EG“-Staaten ohnehin eine große Gefahr, und so verfolgen sie den Expansionsdrang der BRD mit Argwohn. Natürlich ist ihnen das massive versteckte Werben um Österreich nicht verborgen geblieben. Gemeinsam haben sie Ende 1988 einen deutschen „EG“-Präsidenten Bangemann verhin­dert und dann ihren alten Präsidenten, den Franzosen Delors, dazu gebracht, einem Anschluß Österreichs eine klare Abfuhr zu erteilen. Trotzdem, und ihre wirtschaftliche Macht gibt ihr politisch Chancen, läßt die BRD nicht ab von Österreich. Der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestagsausschusses, Hans Stercken (CDU), räumt ein, daß „der Erweiterungsgedanke nicht nur mit positiven Erinnerungen befrachtet“ sei. „Da könnte natürlich sein, daß bei den Franzosen noch andere Gründe eine Rolle spielen, Vorbehalte, Ressentiments. Dann müssen wir Deutschen mit unserem Gewicht sagen, es ist ein politisches Interesse, daß die Außengrenze der Gemeinschaft an der österreichisch­-ungarischen und nicht an der deutsch-österreichischen Grenze liegt.“ (Presse, 8.5.1988) Gaston Thorn, z.B., der vormalige „EG“-Kommissions-Präsident,
findet es durchaus „verständlich, daß es in der Gemeinschaft Stimmen gibt, die sagen, Österreich sei eine Verlängerung des deutschen Wirtschaftsraumes.“ (Standard, 28.11.1988)

Je mehr sie sich buckn, desto mehr sieht man ’n Hintern!

Als sich im Sommer 1988 ein führender westeuropäischer Politiker um den anderen — meist mit dem Vorwand der Neutralität — ablehnend zu einem Anschluß Österreichs äußerte, sah sich das Bundeskanzleramt in Bonn ge­zwungen, eine Erklärung zu veröffentlichen mit dem Titel: „Österreich ist uns willkommen!“ Der Staatsminister im deutschen Bundeskanzleramt, Lutz Stavenhagen, dazu: „Es ist der offizielle Standpunkt der deutschen Regierung, daß Österreich in die EG können soll, wenn es das will.“ (Neue Volkszeitung, 3.9.1988) Diese mit dem offiziellen Briefkopf des Presse- und Informationsam­tes der Bundesregierung verbreitete Erklärung führte in den „EG“-Staaten zu beträchtlicher Aufregung. Während der eher diplomatische Regierungsflügel dieses Vorpreschen noch als Privatmeinung eines Staatsministers abzutun versuchte, legte der Regierungssprecher Friedhelm Ost im Bewußtsein der Macht der BRD noch ein Schäufelchen nach: „Stavenhagen ist Mitglied der Bundesregierung. Ich denke, er hat in dem Beitrag auch wiedergegeben, wie die Bundesregierung bezüglich der Diskussion in Österreich über den EG-Beitritt denkt.“ (Presse, 9.9.1988)

Deutschland will Österreich wiederhaben, erstens. Zweitens haben wir gese­hen, daß die Konzerne, die die „EG“ beherrschen, und zwar alle, englische wie französische, belgische wie italienische, deutsche wie holländische, Öster­reich in der „EG“ haben wollen. Drittens arbeiten die westeuropäischen Militärs auf die Eingliederung Österreichs hin, wie im nächsten Heft vorge­zeigt wird.

Aber die westeuropäischen Politiker wollen ihn nicht, ausgenommen die deutschen und einige der von diesen abhängigen, weil er das schon wieder dominierene Deutschland weiter stärken würde. Als der österreichische Fi­nanzminister vor einigen Monaten zur Koordinierung der österreichischen Finanzpolitik mit der deutschen Gespräche mit dem Bonner Finanzminister führte, waren diese „von der Befürchtung beider Seiten geprägt, nur die Bundesrepublik könnte einen österreichischen EG-Beitritt begrüßen, während die anderen Mitglieder neutral bis skeptisch blieben. (..) ‚Wir müssen den Eindruck vermeiden, als käme Österreich nur im Schlepptau der Deutschen hinein‘, hieß es. Deshalb dürfe sich die Bundesrepublik auf keinen Fall in die Diskussion einschalten.“ (Presse, 12.9.1988)

Ist Österreich ein Satellitenstaat der „EG“?

Zu sagen, Östereich sei mit den „EG“-Ländern wirtschaftlich „verflochten“, heißt lügen. Das Wort, das das Verhältnis bezeichnet, ist: Abhängigkeit. Österreich ist, der Begriff ist häßlich, der Zustand noch viel mehr, eine Halb-­Kolonie.

Sag’s nur ich? Nein, es sagen dies politische Vertreter der herrschenden Klasse in Österreich. Solche, die, nebenbei gesagt, von höchsten Positionen aus, von höchstdotierten, tatkräftig mitgeholfen haben, Österreich auszuliefem. Es sagt der frühere Parteiobmann der ÖVP, Josef Taus: „Wir müssen uns langsam überlegen, ob nicht Teile der österreichischen Wirtschaft Österreich gehören sollen.“ Er weist darauf hin, „daß rund 45 Prozent der heimischen Industrie in ausländischem Besitz sind“ und warnt Österreich davor, „in die Eigentums­struktur eines Schwellenlandes gedrängt zu werden“. (Standard, 16.11.1988) Es sagt der Generaldirektor der Österreichischen Nationalbank, Heinz Kienzl: „Österreich ist die Heimat von verlängerten Werkbänken der Konzerne der Europäischen Gemeinschaft.“ (Arbeit & Wirtschaft 4/1988) Es sagt der Wirt­schaftsbundfunktionär und Wiener ÖVP-Obmann Erhard Busek: „Wir laufen ja schon heute Gefahr, daß unsere Industrie zur verlängerten Werkbank anderer wird.“ (Salzburger Nachrichten, 24.12.1988) Es sagte sogar der Parteiobmann der ÖVP, Alois Mock: „Wenn sich 29,7 Prozent der österreichi­schen Wirtschaft heute in ausländischen Händen befinden, sollte uns dies alarmieren.“ (Presse, 28.10.1985; Inzwischen ist ein weit höherer Anteil in ausländischen Händen, aber er alarmiert den Außenminister nicht mehr.) Und es sagt der frühere Außenminister Erwin Lanc: „Das ist eine Frage einer halbkolonialen Ausbeutung des Hauptlieferlandes Bundesrepublik Deutsch­land gegenüber dem Großabnehmerland Österreich.“ Und weiter: „Wir wer­den ausgenommen nach Strich und Faden, ich könnte dafür Beispiele anfüh­ren.“ (ORF, Journal-Panorama, 22.6.1988)

Die „Exportorientierung“ der österreichischen Wirtschaft ist ein besonderer Ausdruck des Status Österreichs als westliche Halb-Kolonie. Ganz im Gegen­satz zur herumerzählten Lüge von der Exportstärke Österreichs „liegt die Exportquote im Vergleich zu anderen Ländern nur im unteren Mittelfeld“. Wie es einem halb-kolonialen Land geziemt, haben wir „eine unterentwickelte Exportquote von 25 Prozent unserer gesamten Wirtschaftsleistung“ (Tirols Wirtschaft, 3.9.1988). Diese Exporte aber sind, wie es zur starken Abhängig­keit gehört, „sehr einseitig auf den westeuropäischen Raum konzentriert“ (Tirols Wirtschaft). Von 100 Importen kommen 68 aus der „EG“, von 100 Exporten gehen 63 in die „EG“. Wobei zudem von 100 Importen aus der „EG“ nur 73 durch Exporte gedeckt sind. Österreich wird als Käufer ausgenutzt. Daraus entsteht ein riesiges Handelsbilanzdefizit Österreichs mit der „EG“ in der Höhe von jährlich zuletzt 83 Milliarden Schilling. 83 Milliarden Schilling, mit denen Österreich die „EG“-Wirtschaft unterstützt. Österreichischerseits „die besten Aussichten hätten laut Analyseergebnis die Handelsbeziehungen zu den skandinavischen Ländern: In Norwegen, Schweden und Dänemark würden die österreichischen Erzeugnisse den größten Anklang finden“ (TT, 6.5.1988). Aber der österreichische Außenhandel ist mehrheitlich in den Händen der „EG“-Länder. Warum? Während 64.000 österreichische Gewerbebetriebe 1987 ganze 4,5 Prozent ihrer Waren exportiert haben (in die EG gar nur 2,5 Prozent), stehen hier Tochterbetriebe ausländischer Konzerne, deren Produk­tion zu durchschnittlich 85 Prozent in den Export geht. Zum Beispiel General Motors führt die 348.000 in Aspern erzeugten Motoren und die 487.000 dort erzeugten Getriebe beinahe zur Gänze nach Spanien aus. Und von den Ausfuhren wieder gehen vielfach, wie bei Philips in Österreich, 85 Prozent des Exports in die „EG“. An die „EG“ gekettet werden wir also von den nach Österreich geholten Multis.

Alles, was wir gnädigst in die „EG“ exportieren dürfen, wird uns mit noch mehr Importen heimgezahlt. Dafür daß wir für 100 Schilling in die „EG“ exportieren dürfen, müssen wir für 128 Schilling Waren aus der „EG“ kaufen. Österreich ist eine Halb-Kolonie.

Was sie „Zusammenarbeit“ heißen

Einen großen Teil der Im- und Exporte in Westeuropa machen heute Lieferun­gen von Konzernmüttern an Konzerntöchter, von Konzerntöchtern an Konzerntöchter und von Konzerntöchtern an Konzernmütter aus. Die Lieferungen der 100 größten Konzerne in der „EG“ von einem Standort einer Firma zu einem anderen Standort derselben Firma machen heute bereits ein Drittel der Exporte der „EG“-Länder untereinander aus. (Industrie, 16.5.1984) Belgiens Außenhandel wird zu einem Viertel von den Lieferungen zwischen Ford in Köln und den Ford-Werken in Belgien bestritten. Und so führt auch die ausländische Industrie in Österreich drei Viertel der Vorprodukte ein (Infor­mationen über multinationale Konzerne, 3/1988). Laut einer Untersuchung der Deutschen Handelskammer in Österreich importierten gar von 107 befrag­ten deutschen Unternehmen in Österreich 99 Vorprodukte aus der BRD.

Unser Außenhandel ist wie der einer Kolonie gekennzeichnet dadurch, daß Österreich in hohem Maße Rohstoffe ausführt, ist wie der einer Kolonie gekennzeichnet dadurch, daß wir von Importen überflutet werden und ist wie der einer Kolonie gekennzeichnet dadurch, daß ausländisches Kapital herein­strömt und die Industrie an sich reißt.

Heute wird die „hohe Auslandsverflechtung“ als Argument für den totalen Anschluß an die „EG“ verwendet, logischerweise ausgerechnet von denen, die alles dazu getan haben, daß Österreichs Wirtschaft wieder in den Klauen des ausländischen Kapitals gelandet ist. Damit wird vor allem der ausländischen Industrie in Österreich, die tatsächlich auf den Export angewiesen ist, sowie ausgesprochenen Zulieferbetrieben ausländischer Konzerne das Wort gere­det. Dabei wird gelogen, daß sich der Giebel der Tiroler Handelskammer biegt: „Fakten zählen für viele nicht. Daß nämlich Österreich zu rund zwei Drittel seiner Wirtschaft schon jetzt völlig mit der EG verflochten ist.“ (Wirtschafts­magazin, Zeitschrift des Tiroler Wirtschaftsbundes, 12/1988) Wahr ist: Zwei Drittel des Exports von Österreich gehen in die „EG“, das ist ca. ein Sechstel „seiner Wirtschaft“. Die Vertreter der zigtausend kleinen Unternehmer schrecken vor keiner Täuschung zurück, wenn es darum geht, die Interessen der großen in- und ausländischen Wirtschaft und der ihnen ausgelieferten Zulie­ferbetriebe durchzusetzen.

„Exportorientierte Wirtschaft“ heißt da so pompös, was in totale Abhängigkeit getriebene Zulieferindustrie ist. Statt an Exportstärke sollten wir da mehr an kolonialen Status denken, an zigtausend österreichische Gastarbeiter im eige­nen Land. Daß der österreichische Zulieferindustrie-Präsident Peter Mitter­bauer einer der allerlautesten Anschluß-Polterer ist, erklärt sich aus seinem Sklavengewerbe.

Die Exportkonkurrenz, die heute beschworen wird, ist hauptsächlich die anderer europäischer Halb-Kolonien. Ist es die Montageindustrie Belgiens oder die Bauteile-Produktion Portugals oder die Lohnfertigung in Irland oder doch die Zulieferindustrie Österreichs, die den Multis willigere Arbeitskräfte und billigere Halbfertigprodukte, fettere Subventionen und nettere Steuerge­schenke verschafft, darum geht es. In Irland arbeiten bereits 40 Prozent aller gewerblich-industriellen Arbeitskräfte in ausländischen Unternehmen und stellen 80 Prozent der irischen Exportgüter her. Das ist die Konkurrenz, in die die „EG“-Schreier die Menschen in diesem Land hineinhetzen wollen.

Einer Kolonialmacht steht es zu, ihre Kolonien zur Abnahme ihrer Produkte zu zwingen. Die „EG“-Wirtschaft hat seit dem „Freihandelsvertrag“ mit Österreich 1972 dieses Land mit Importen derart überschwemmt, daß viele österreichische Betriebe in den Export getrieben wurden. Zum Beispiel wurde die einstmals starke österreichische Textilindustrie durch Billigstimporte gezwungen, ihre Ware zum größten Teil im Ausland abzusetzen bzw. ihre Betriebe zu schließen oder herzugeben. Auch hier ist die „Ausfuhrstärke“ ein Merkmal der Beherrschung Österreichs durch das ausländische Kapital.

Beispiel Energie: Wer verfügt über die Tiroler Wasserkraft?
(Ein Blick auf den TIWAG-Parkplatz in Innsbruck)

Damit die Privat-Industrie in Österreich, oft genug die ausländische, ihre Exporte in die „EG“ aus weiten konnte, mußten die Exporte der Verstaatlichten Industrie und der Landwirtschaft, beides direkte Opfer der „EG“-Verträge von 1972, stark eingeschränkt werden. Die Vernichtung der Verstaatlichten Indu­strie und die Auszehrung der österreichischen Landwirtschaft kommen nicht von ungefähr, sondern sind der Preis für die Exportgeschäfte der großen Exporteure. Die gigantischen Überschüsse von Agrarimporten aus der „EG“, die hundertausende österreichische Bauern in den Ruin getrieben haben, haben andererseits der großen privaten in- und ausländischen Industrie stetige Zuwächse bei den Exporten in die „EG“ ermöglicht.

Auch der Hinauswurf der Verstaatlichten Industrie aus den internationalen Märkten war das gemeinsame Werk der großen Industrie der „EG“ und der großen in- und ausländischen Industrie Österreichs. Den „EG“-Konzernen wurde ein großer Konkurrent auf den Märkten aus dem Wege geräumt und der Exportindustrie in Österreich wurde Platz für eigene Exporte geschaffen. Die völlige Beherrschung der Aufsichtsräte der Verstaatlichten Industrie heute durch Vertreter deutscher Konzerne, westeuropäischer Industrie-Töchter in Österreich und solcher der österreichischen Privatindustrie erklärt alles.

Aber auch, daß die österreichische Wirtschaft von der „EG“ abhängig ist, ist erst die halbe Wahrheit. Die ganze ist: Österreich ist vor allem zu einem Anhängsel der deutschen Wirtschaft gemacht worden. Von 100 österreichi­schen Exporten in die „EG“ gehen 55 in die BRD und von 100 Importen aus der „EG“ kommen 68 allein aus der BRD. Mehr als 44 Prozent von dem, was Österreich insgesamt importieren muß, muß es aus der BRD importieren, und 34,8 Prozent von dem, was aus Österreich ausgeführt wird, wird in ein einziges Land ausgeführt, nämlich in die BRD. Jeder Österreicher und jede Österrei­cherin nimmt heute im Durchschnitt der BRD jährlich Waren um 24.029 Schilling ab. Dazu kommen natürlich noch die Direktkäufe der Österreicherin­nen und Österreicher von den vielen deutschen Firmen in Österreich. In der BRD allein sind 350.000 Menschen mit der Herstellung von Waren beschäf­tigt, die wir von dort importieren. Österreich ist eine Halb-Kolonie der Bundesrepublik Deutschland. Die sklavische Bindung des Schillings an die DM bedeutet, daß die österreichische Währungspolitik in Frankfurt gemacht wird. Die Folge ist eine Verteuerung der österreichischen Exporte in alle jene Länder, die eine schwächere Währung als die BRD haben, also in alle übrigen Länder, und somit eine verstärkte Auslieferung Österreichs an die BRD. Österreich ist eine Halb-Kolonie der BRD. Deutschland nimmt aus dem Handel mit Österreich mehr ein als aus dem Handel mit allen Ostblockländem zusammen. Während Österreich der BRD etwas um 100 Schilling verkauft, hat Österreich von ihr bereits um 170 Schilling eiugekauft. Das nennen sie „Verflechtung“. Allein der Gewinn der BRD aus dem Handel mit Österreich deckt ihr gigantisches Defizit im Handel mit Japan zu drei Viertel ab! Der Differenzbetrag, den Österreich mehr für die Importe aus der BRD bezahlt als die österreichischen Exporteure (darunter viele viele Ausländer) von der BRD einnehmen, erreicht inzwischen jedes Jahr siebzig Milliarden Schillinge.

Jedes Jahr siebzig Milliarden Schillinge. Welche Verschleuderung des österreichischen Volksvermögens im Laufe der Jahre!

Österreich ist eine halbe Kolonie der BRD.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
April
1989
, Seite 29
Autor/inn/en:

Markus Wilhelm:

Geboren 1956, von Beruf Zuspitzer in Sölden im Ötztal, Mitbegründer des FŒHN (1978-1981), Wiedergründer und Herausgeber des FŒHN (1984-1998). Seit 2004 Betreiber der Website dietiwag.org (bis 2005 unter dietiwag.at), Landwirt.

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Geographie