Context XXI » Print » Jahrgang 2004 » Heft 8/2004
Thomas Schmidinger

Der erste deutsche Völkermord

Ein Jahrhundert nach dem Genozid in „Deutsch-Südwestafrika“

Vor 100 Jahren endete der antiko­loniale Widerstand der Herero und Nama in „Deutsch-Südwestafrika“ im ersten deutschen Völkermord. Noch immer wird jedoch die deut­sche Kolonialherrschaft verharm­lost. Die deutsche Bundesregierung wehrte sich bis heute erfolgreich gegen finanzielle Entschädigun­gen.

Mit nur zwei Kollegen war der deutsche Reichskommissar Heinrich Göring 1885 nach Südwestafrika gekommen um den inter­national formulierten Anspruch des Deutschen Kaiserreichs auf das heutige Namibia abzusichern. Um ein Scheitern der deutschen Koloni­alpolitik in Südwestafrika zu verhindern, wurde die Kolonie jedoch bald zur Siedlungskolonie ausgebaut und die einheimische Bevölkerung durch deutsche Großgrundbesitzer an den Rand gedrängt. „Verlust von Land und Vieh, Ver­schuldung bei Händlern, Diskriminierung und zunehmende Abhängigkeit von den Europäern führten die Herero in eine Krise, die 1904 in ei­nem verzweifelten Aufstand ihren Höhepunkt Ifand.“ [1] Die Rebellion begann im Jänner 1904 mit einem großen Überfall, bei dem über hun­dert Deutsche ums Leben kamen und die Ei­senbahnlinie zwischen Windhoek und Swakopmund zerstört wurde. Obwohl die Herero bei ihren ersten erfolgreichen Überfällen auf deut­sche Militärs und Großgrundbesitzer bewusst Frauen und Kinder schonten, wurden binnen weniger Wochen Gräuelmärchen von wütenden Afrikanern verbreitet, die Frauen vergewaltigen und grausam massakrieren würden.

Fest steht, dass die Herero anfangs durchaus militärische Erfolge verzeichnen und große Tei­le ihres Landes von der Kolonialherrschaft be­freien konnten. Dem Aufstand der Herero unter ihrem Paramount-Chief Samuel Maharero schlossen sich bald die Nama unter Kapitän Hen­drik Witbooi an. Die Deutschen sahen sich genötigt Verstärkung anzufordern. Dabei ging es jedoch bald nicht mehr nur um die Rückeroberung der Kolonie, sondern um Rache und Bestrafung der Aufständischen. Kapitän Gudewill vom Kano­nenboot „Habicht“, das als erste Verstärkung aus Deutschland in Südwestafrika eintraf, er­klärte: „Die härteste Bestrafung des Feindes ist notwendig als Sühne für die zahllosen, grausa­men Morde und als Garantie für eine friedliche Zukunft. Um Ruhe und Vertrauen der Weißen herzustellen ist völlige Entwaffnung und Ein­ziehung von sämtlichen Ländereien und Vieh einzigstes Mittel.“ [2]

„mit Strömen von Blut“

Schließlich wurde Generalleutnant Lothar von Trotha, der sich bereits in den Kolonialkriegen in Ostafrika (1894-1897) und China den Ruf eines besonders rücksichtslosen Militärs er­worben hatte, zum Oberbefehlshaber der deut­schen Truppen in Südwestafrika ernannt. Tro­tha brachte klare Vorstellungen von einem „Ras­senkrieg“ gegen die afrikanische Bevölkerung mit und erklärte „die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut“ [3] vernichten zu wollen. Tatsächlich ordnete Trotha bereits auf dem Schiff, das ihn nach Südwestafrika bringen sollte, den Vemichtungsfeldzug gegen die Aufständischen an:

a) Jeder kommandierende Offizier ist be­fugt, farbige Landeseinwohner, die bei verräter­ischen Handlungen gegen deutsche Truppen auf frischer Tat getroffen werden, z.B. alle Rebellen, die unter den Waffen mit kriegerischer Absicht betroffen werden, ohne vorrangiges gerichtliches Verfahren nach dem bisherigen Kriegsbrauch er­schießen zu lassen.
b) Alle anderen farbigen Landeseinwohner, die von deutschen Militärpersonen wegen des Verdachts strafbarer Handlungen festgenommen sind, werden durch besondere Feldgerichte ab­geurteilt. [4]

Terror und willkürliche Erschießungen wur­den somit zum Instrument deutscher Kolonial­krieger. Die Entscheidungsschlacht fand schließ­lich am 11. August 1904 am Waterberg statt, wo sich ein Großteil der Herero mit Frauen, Kin­dern und Viehherden in Erwartung eines Frie­densangebotes versammelt hatte. Die Deutschen dachten jedoch nicht an ein Friedensangebot, sondern schlugen die militärisch unterlegenen Herero in die Flucht. Der Großteil der Bevöl­kerung entkam in das weitgehend wasserlose Sandfeld in Richtung Osten. Die deutschen Trup­pen gaben sich damit jedoch nicht zufrieden, sondern trieben die Hereros immer weiter in die Wüste hinein, wo der Großteil an Krankheiten, Hunger und Durst zugrunde ging. Spätestens hier kann davon ausgegangen werden, dass die Hereros nicht mehr besiegt, sondern vernichtet werden sollten.

„Die Hereros sind nicht mehr deutsche Un­tertanen“

Die Wüste sollte vollenden, was die deutschen Truppen begonnen hatten. Um dies auch si­cherzustellen, ordnete Trotha, der heute noch in der ehemaligen Lettow-Vorheck-Kaserne in Ham­burg mit einem Denkmal geehrt wird, an, alle aus der Omaheke-Wüste zurückkehrenden Her­ero zu erschießen: „Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero: Die Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet, ge­stohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnit­ten und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder, der einen der Kapitäne an einer meiner Stationen als Ge­fangenen abliefert, erhält 1000 Mark, wer Sa­muel Maharero bringt, erhält 5000 Mark. Das Volk der Herero muss jedoch das Land verlas­sen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot-Rohr [Geschütze] dazu zwin­gen. Innerhalb der deutschen Grenzen wird je­der Herero mit und ohne Gewehr, mit oder oh­ne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Wor­te an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen Kaisers, von Trotha.“ [5]

Diese Anordnung Trothas kann nur als An­ordnung zum vorsätzlichen Genozid verstanden werden. Und tatsächlich ließen die Deutschen die Hereros zu zehntausenden in der Wüste kre­pieren. Die wenigen Überlebenden wurden unter unmenschlichen Bedingungen in Lager ge­sperrt, wo weitere tausende Herero gemeinsam mit gefangenen Nama den Tod fanden.

Mit dem Kriegseintritt der Nama im Süden des Landes war der Krieg auf neue Landesteile ausgeweitet worden. Auch die Nama wurden, wie zuvor die Herero, in die Wüste getrieben und durch die Zerstörung von Brunnen dem Ver­dursten ausgeliefert. Trotha, der offenbar eine Ausweitung des Aufstandes auf andere Bevölkerungsgruppen verhindern wollte, begleitete im Falle der Nama seine Vernichtungspolitik jedoch mit dem Aufruf zur Kapitulation. Dabei stellte er der Drohung der Vernichtung nach dem Vor­bild des Massenmords an den Herero die Mög­lichkeit gegenüber, im Falle einer Kapitulation Gnade walten zu lassen. Der in diesem Sinne formulierte und später zurückgenommene Auf­ruf führte jedoch genauso wenig zur Beendi­gung des Nama-Aufstandes, wie der Tod des charismatischen Nama-Kapitäns Hendrik Witbooi am 25. Oktober 1905. Vereinzelte Kämp­fe zwischen Deutschen und Nama fanden noch bis 1908 statt.

Konzentrations- und Sammellager

Aber auch das Leid der Herero und Nama in den Lagern ging weiter. Dabei war die Si­tuation in den von christlichen Missionaren geführten „Sammellagern“ etwas besser als die in den von der Militäradministration errichte­ten „Konzentrationslagern“. Diese Konzen­trationslager erfüllten dabei neben der Funk­tion der Konzentrierung der Herero und Na­ma, um den aktiven Kämpfern die Unterstüt­zung zu entziehen, auch ihre Funktion als Ar­beitslager. Die Bedingungen in den Lagern wa­ren dabei so katastrophal, dass tausende in­ternierte Herero und Nama zugrunde gingen. Es fehlte an Nahrung und Trinkwasser. Krank­heiten wie Typhus oder Skorbut breiteten sich in den Lagern aus. Nicht einmal der Bedarf an Arbeitskräften führte zu einer Verbesserung der Situation. Lieber wurde die Einstellung der Arbeiten in Kauf genommen. „Obwohl der ‚Schießbefehl‘ widerrufen worden und von Trotha im November 1905 nach Deutsch­land zurückgekehrt war, hielt offensichtlich ein Teil der Offiziere an dessen Vernichtungs­politik fest. Im Lager auf der Haifischinsel kam es zu einer bewussten Ermordung durch Ver­nachlässigung. Die Auswahl der Opfer erfolgte allein aufgrund ihrer tatsächlichen oder ange­nommenen ethnischen Zugehörigkeit; indivi­duell begangene ‚Verbrechen‘ oder Widerstandhandlungen spielten als Motiv für die In­ternierung keine Rolle. Intendiert war die Zer­störung ganzer ‚Stämme‘, aus deutscher Sicht: ‚rassischer‘ Einheiten.“ [6]

Vom Kolonial- zum Rassenstaat

Diese Vernichtungspolitik war jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Das gesamte koloniale Gefüge Deutsch-Südwestafrikas wurde mehr und mehr nach rassistischen Gesichtspunkten geordnet. Auf das Bemühen des deutschen Gouvernements hin erklärte das Bezirksgericht Windhoek im September 1907 standesamtlich geschlossene Ehen von Deutschen mit „Ein­geborenen“ rückwirkend für ungültig. Nach­kommen aus gemischten Ehen wurden zu „Ein­geborenen“ erklärt, „solange sich noch die Ab­stammung von einem Zugehörigen eines Na­turvolks nachweisen läßt.“ [7] Damit hatte die Kolonialverwaltung endgültig den Schritt von einer kulturalistischen zu einer rassistischen Definition der „Eingeborenen“ gesetzt.

In Deutschland wurde mit dem Krieg ge­gen die Herero der Vernichtungskrieg erprobt, der einige Jahrzehnte später im Osten fortge­setzt werden sollte. Zwar lässt die Vernichtung der Herero und Nama noch nicht die Syste­matik und v.a. die industrielle Konsequenz der Vernichtung in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern erken­nen, sehr wohl finden sich aber bereits Aspekte der Vernichtung durch Arbeit in der Be­handlung der gefangenen Nama und Herero. Bereits im Falle der „Konzentrationslager“ in Deutsch-Südwest wurde dabei der Vernich­tung höhere Priorität eingeräumt als der Ver­wendung der Insassen als ArbeitssklavInnen. Mehrfach ist die Einstellung von Arbeiten be­zeugt, da zu wenig arbeitsfähige Personen vor­handen waren. Die Versorgungslage in den La­gern wurde in der Folge jedoch nicht verbes­sert. Der Tod der Gefangenen hatte Priorität vor deren ökonomischer Vernutzung.

Dabei hatte der Kolonialkrieg in Südwest­afrika eine weit über die Kolonie hinausgehende Bedeutung. Der Krieg erhielt im Mut­terland enorme Aufmerksamkeit. Trotha war einer der populärsten deutschen Militärs. Abenteuerromane und Kriegserinnerungen wurden in Deutschland zu Bestsellern und leisteten so ihren Beitrag zur hegemonialen Herausbildung eines rassistischen Bewusstseins.

Auch wenn von den Konzentrationslagern in Deutsch-Südwestafrika keine einfache Linie nach Auschwitz zu ziehen ist und die Un­terschiede zwischen Rassismus und Antisemi­tismus nicht vernachlässigt werden können, so gälte es doch auch den Beitrag des (kolonialen) Rassismus zur deutschen Vernichtungspolitik der 1940er Jahre genauer herauszuarbeiten. Trotz direkter, auch personeller Verbindun­gen zwischen den Mördern der Herero und Nama und den späteren Nationalsozialisten, für die etwa die Biographie von General Wil­helm Faupel [8] steht, spielte die deutsche Ko­lonialpolitik, der damit verbundene Rassismus und der Genozid in Deutsch-Südwestafrika in der Auseinandersetzung mit dem Nationalso­zialismus bisher kaum eine Rolle.

Auch die deutsche Öffentlichkeit stellte sich bisher keiner Auseinandersetzung mit dem Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Selbst im „Jubiläumsjahr“ 2004 beschränkte sich die deutsche Bundesregierung auf spärliche und unverbindliche Gedenkrituale. Die Ausein­andersetzung mit dem deutschen Kolonialis­mus in Afrika blieb weitgehend privaten In­itiativen wie der „Anti-colonial Africa Confer­ence“ in Berlin vorbehalten. Über die von Ver­treterInnen der Herero geforderte finanzielle Entschädigung wollen deutsche PolitikerIn­nen nicht einmal diskutieren.

Rechtzeitig zum Gedenkjahr 2004 erschien ein umfassender Sammelband zum Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Jür­gen Zimmerer und Joachim Zeller sammeln dabei nicht nur historische Beiträge zum Ablauf der Kolonialkriege und dem fol­genden Genozid, sondern auch Artikel zur Erinnerungskultur in Afrika und Deutsch­land, sowie zur Debatte über Verbindun­gen zwischen Kolonialkrieg und Nationalsozialismus.

Jürgen Zimmerer / Joachim Zeller (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Na­mibia und seine Folgen. Ch. Links-Verlag: Berlin 2003,280 Seiten, Euro 23,60.

[1Walter Schicho: Handbuch Afrika. Band 1. Frankfurt am Main/Wien, 1999, S. 172.

[2Zit. nach Jürgen Zimmerer: Krieg, KZ und Völkermord in Südwestafrika. Der erste deut­sche Genozid. In: Jürgen Zimmerer/Joachim Zeller: Völkermord in Deutsch-Südwestafri­ka. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Na­mibia und seine Folgen. Berlin, 2003, S. 48.

[3Trotha an Leutwein, 3.11.1904, zit. nach Drechsler, Horst: Südwestafrika unter deut­scher Kolonialherrschaft. Der Kampf der Her­ero und Nama gegen den deutschen Imperia­lismus 1884-1913. Berlin, 1966 S. 136.

[4Zit. nach Zimmerer 2003, S. 30.

[6Zimmerer 2003, S. 38.

[7Jürgen Zimmerer: Der koloniale Musterstaat? Rassentrennung, Arbeitszwang und totale Kon­trolle in Deutsch-Südwestafrika. In: Zimmerer/Zeller (Hg.) 2003, S. 28.

[8Faupel war bereits 1900 an der Niederschla­gung des Boxeraufstands in China beteiligt. 1904 meldete er sich freiwillig in der Deut­schen „Schutztruppe“ in Südwestafrika und war dort direkt am Genozid an den Herero beteiligt. 1934 übernahm der die Präsident­schaft des Ibero-Amerikanischen Instituts und wurde einer der wichtigsten NS-Kontaktmänner zu Lateinamerika. Oliver Gliech: Wilhelm Faupel. Generalstabsoffizier, Militärberater, Präsident des Ibero-Amerikanischen Instituts. In: Liehr/Maihold/Vollmer (Hg.): Ein Institut und sein General. Wilhelm Faupel und das Ibero-Amerikanische Institut in der Zeit des Nationalsozialismus. Frankfurt am Main, 2003, S. 131-279.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Dezember
2004
, Seite 25
Autor/inn/en:

Thomas Schmidinger:

Redaktionsmitglied von Context XXI von Juni 2000 bis 2006, koordinierender Redakteur von September 2000 bis April 2001.

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