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Simone Dinah Hartmann

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

An- und widerständige ÖsterreicherInnen

Die Protestbewegung hat in Wien gewonnen. Isolde Charim von der „demokratischen Offensive“, die für die Großdemonstrationen gegen die derzeitige schwarz-blaue Regierung verantwortlich war, sieht im diesjährigen Wiener Wahlergebnis, das sowohl Grünen wie SPÖ enorme Stimmengewinne einbrachte, eine klare Absage an die schwarz-blaue Regierung. Dieses Wahlergebnis zeige, dass man in Wien „mit einem antisemitischen und rassistischen Wahlkampf nicht punkten kann“. [1] Nun müsse die SPÖ den Mut aufbringen, um das rotgrüne Projekt in der Bundeshauptstadt auch zu wagen. [2] Grüne Funktionäre würden nicht besser kommentieren.

Wen interessieren noch Marcus Omofuma, der während seiner Abschiebung unter einem SPÖ-Innenminister zu Tode kam, wen interessiert die auch in Wien mit Vorliebe betriebene rassistische Politik der SPÖ, wen interessiert die Zurückhaltung der Wiener Grünen, die sie an den Tag legten, während Ariel Muzicant, Präsident der israelitischen Kultusgemeinde, und mit ihm die gesamte jüdische Bevölkerung antisemitischen Angriffen durch die FPÖ ausgesetzt war.

Spulen wir zurück

Am 12. November ’99 nach den letzten Nationalratswahlen fand in Wien seit Jahren wieder eine Großkundgebung gegen die FPÖ statt. Organisiert wurde diese von der damals in der Gründungsphase befindlichen „demokratischen Offensive“.

Unter dem Motto „Keine Koalition mit dem Rassismus“ hieß es damals: „Es ist eine Schande. An der Schwelle zum nächsten Jahrtausend, in einem prosperierenden Land, sind wir mit demagogischer Hetze konfrontiert, mit Fremdenhaß, mit der Verächtlichmachung sozial Schwacher — und mit einem dubiosen Umgang mit der Nazivergangenheit.“ [3] Und weiter: „So kann es nicht weiter gehen. Das politische Establishment darf nicht nur ängstlich um den eigenen Machterhalt besorgt bleiben — zu lange schon ging man opportunistisch jahrelang auf Haiders Forderungen ein. Jetzt sind wir gefordert. Ein entschiedener Neubeginn ist notwendig, eine breite Reformoffensive für die Verteidigung und den Ausbau der demokratischen Grund- und Menschenrechte, für die Wahrung des Rechtsstaates, für soziale Gerechtigkeit, Mindeststandards und emanzipatorische Gleichstellung. Statt Rechtsruck — Menschenrechtsruck.“ [4] Die weitergetragene Parole lautete: „Schluß mit der Verhaiderung unseres Landes. Wir sind Österreich.“ [5]

Fassen wir zusammen: Die Rede von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik“ ist dubios; ein entscheidender Neubeginn, der sich rotgrün nennt ist notwendig; Menschenrechte, in deren Namen noch im selben Jahr ein paar Tausend JugoslawInnen zum Opfer fielen sind das Allheilmittel; und wir paar, die uns zumindest einreden „AntirassistInnen“ zu sein, wir sind Österreich.

Seinen Ausgangspunkt hat dieses unsägliche Zivilgesellschaftsgequatsche bereits 1993 genommen. Damals empörte sich eine Gutmenschenschar über das Ausländervolksbegehren der FPÖ. Gemeinsam mit der SPÖ wurde ein auch aus Deutschland hinlänglich bekanntes Ritual ins Leben gerufen: das Lichtermeer. Mehr als 300.000 Kerzerlschlucker versammelten sich am Heldenplatz und Umgebung, um den Klängen von Ostbahn-Kurti zu lauschen und Demut zu zeigen. Demut gegenüber sich selbst, sich noch immer nicht hundertprozentig ins nationale Kollektiv eingereiht zu haben. Schließlich sind Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus auch innerhalb der Anti-FPÖ-Koalition vorzufindende Denkströmungen. Aber dazu später.

Mittlerweile können die OrganisatorInnen des damaligen Fackelzuges, wie es nicht nur im rechten Jargon heißt, einiges an Erfolg verbuchen. Elf der zwölf Punkte des Ausländervolksbegehrens wurden unter SPÖ-Innenministern umgesetzt.

Ein hier nicht erwünschter Schwarzer wurde während seiner Abschiebung derart gefesselt und geknebelt, dass er starb, ohne dass der damalige SPÖ-Innenminister auch nur an einen Rücktritt dachte, und last but not least gelang der FPÖ der Sprung zur Regierungspartei. Dass der Koalitionspartner ÖVP und nicht SPÖ hieß liegt vermutlich nicht nur an den gescheiterten Verhandlungen zwischen den nationalen wie sozialistischen Volksgenossen. Immerhin war eine stille Koalition mit der FPÖ eine mögliche Option, eine Option die bereits Anfang der siebziger Jahre dazu führte, dass Kreisky fünf ehemalige Nazis in die Regierung holte.

Anfang letzten Jahres wurde die blauschwarze Regierung von einem leidend dreinschauenden Bundespräsidenten angelobt. Schon einige Tage zuvor wurde von einigen AktivistInnen die ÖVP-Zentrale besetzt. Ein Transparent mit der Aufschrift: „Für ein menschenwürdiges Österreich. Kein Pakt mit der FPÖ“ zierte damals die Bundesparteizentrale der Konservativen. Der Grundstein für die Zielrichtung des Protests gegen schwarz-blau wurde hier bereits gelegt. Die nationale Ausrichtung des Protests, die positive Besinnung auf die Menschenrechte, die FPÖ als alleiniger Hort des Schreckens; all dies wurde in diesem Transparent festgehalten.

Die Besetzung der Parteizentrale hatte allerdings auch zur Folge, dass täglich mehr oder weniger spontane Demonstrationen stattfanden. Eier- und Farbbeutelwürfe gegen die ÖVP-Zentrale, die Erstürmung der Bühne des Burgtheaters, Demonstrationen, die bis weit nach Mitternacht andauerten, vermittelten ein Bild, das in Österreich bisher nicht bekannt war.

Der Tag der Regierungsangelobung wurde von lautstarkem Protest begleitet. Männer und Frauen unterschiedlichen Alters in durchaus bürgerlichen Outfits ließen Eier, Knallkörper und faules Gemüse gegen das Bundeskanzleramt fliegen. Für die Obrigkeit Anlass genug, um noch am selben Abend mit Wasserwerfern gegen mutmaßliche DemonstrantInnen vorzugehen.

Der Tag danach bot ein anderes Bild. „Keine Gewalt“ keifende gewalttätige Gewaltfreie, die potentielle EierwerferInnen nicht nur verbal attackierten, übten sich in ihren staatsbürgerlichen Pflichten. Die demokratische Offensive distanzierte sich von den gewalttätigen Ausschreitungen des Vortages und trotzkistische Gruppen versuchten die Demo wieder in geregelte Bahnen zu lenken. Damit wurde das Ende des spontanen Protests eingeläutet. Nichtsdestotrotz heroisierten kampfbereite Autonome und massenverblendete TrotzkistInnen diese spontanen Ausbrüche staatsbürgerlicher Anteilnahme, deren antiemanzipatorischen Gehalt sie wohlweislich verkannten.

Für viele wahre PatriotInnen waren es wohl die angekündigten EU-Sanktionen, die sie die Österreich-Fahne schwenkend auf die Strasse trieben, um zu demonstrieren, dass es auch ein anderes Österreich gäbe. Einige hissten die EU-Fahne, Schengen sei gedankt.

Am 19. Februar 2000 findet mit etwa 300.000 TeilnehmerInnen die letzte große Manifestation des „Widerstands“ gegen die schwarz-blaue Regierung statt. An der Spitze der Demonstration marschieren die Sozialdemokratie, die den Aufstieg der FPÖ erst ermöglichte. Mittendrin versuchen sich trotzkistische Gruppen im Kampf gegen Sozialabbau, schließlich haben auch die Gewerkschaften, dessen Vorsitzender Fritz Verzetnitsch einmal davon sprach, dass die FPÖ in Sachen Ausländerpolitik ein gelehriger Schüler des ÖGB sei, zu dieser Demonstration aufgerufen. Am anderen Ende des Zuges wird währenddessen mit brutalem Polizeieinsatz versucht, die „autonome, gewaltbereite Szene“ vom Rest der Demo abzudrängen. Das sei mit den OrganisatorInnen der Demo — SOS Mitmensch und Demokratische Offensive — so akkordiert worden, erklärt später der Einsatzleiter Franz Schnabl.

Einige Stunden später findet im Burgtheater eine Diskussion über dies und das mit der eigens für die Großdemonstration angereisten ausländischen Politik- und Kulturprominenz statt. Zur selben Zeit werden DemonstrationsteilnehmerInnen, die Haider vom Besuch einer Pizzeria abhalten wollten, von der Polizei niedergeknüppelt. Die Anwesenden der Diskussion im Burgtheater reagieren gegenüber den DemonstrantInnen nach Bekanntwerden dieser Vorfälle mit: „Schleichts euch! Wir lassen uns von euch für nichts einspannen.“

In den Reaktionen der Anti-FPÖ-Koalition wird das ganze Elend des demokratischen Antifaschismus deutlich. Das Festklammern an der österreichischen Normalität, dieser positive Bezug auf Österreich und sein „Volk“ lassen es nicht zu, dem „Phänomen Haider“ auf den Grund zu kommen. Während die neue Regierung von mehr als der Hälfte der hiesigen Bevölkerung Zuspruch einstreifte, wiederholten Sozialdemokratie und Grüne — mit ihnen Teile der Widerstandsbewegung — immer und immer wieder ihr Bekenntnis zum österreichischen Vaterland. Überschwänglicher Patriotismus wurde gegen den bösen Nationalismus ausgespielt. Die linksdemokratische Philosophin Chantal Mouffe betonte etwa in einem Interview mit der Wiener Stadtzeitung Falter die Notwendigkeit eines linken Patriotismus. „Ich weiß, dass Patriotismus aus linker Perspektive normalerweise mit Skepsis betrachtet wird, aber der Patriotismus ist eine zu mächtige Kraft, um kollektive Identitäten zu mobilisieren, als das man ihn der Rechten überlassen sollte.“ [6] Der Nationalismus — Patriotismus ist nur sein Kosename — tritt als quasi natürliche Größe auf, der erst gar nicht bekämpft sondern nur übernommen werden kann. Mit der gleichen Begründung könnte die Linke Antisemitismus und Rassismus einfordern: „Überlassen wir ihn nicht der Rechten, machen wir ihn selber.“

Die Idiotie der Feststellung Patriotismus und Nationalismus seien etwas grundverschiedenes kommt den ZivilgesellschaftsapologetInnen nicht in den Sinn. Stattdessen wird versucht im Namen der Nation („Wir sind Österreich“) gegen die Nation anzutreten. Es wird also etwas — nämlich der Nationalstaat — beschworen, das ursächlich mit dem zusammenhängt, gegen das vorgegeben wird anzukämpfen, nämlich mit Antisemitismus und Rassismus. Die Schaffung und Sicherung der Grundlage des modernen Rassismus durch den Nationalstaat, die staatliche Trennung in In- und AusländerInnen wäre ein Beispiel für diesen Zusammenhang.

Übereifrige DemonstrantInnen, die leider nicht in der Unterzahl waren, gingen gar noch einen Schritt weiter: „Wir sind das Volk“, ein Slogan, der zum Vorboten der Wiedervereinigung Deutschlands wurde, tönte es lautstark, dass nicht nur MigrantInnen angst und bange wurde.

Das Volk ist in Österreich (und Deutschland) ein (potentiell) gemeingefährliches. 1996 wurde beispielsweise der Aussage „Wenn sich türkische Gastarbeiter weigern sich anzupassen, sollen sie nicht überrascht sein, wenn sie gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt sind“ von 24% der ÖsterreicherInnen voll zugestimmt, 34% stimmten dem eher zu. [7]

Gleichwohl musste sich die volkstreue Opposition einiges anhören: Um den inneren Frieden besorgte Freiheitliche und Konservative forderten ein „Abrüsten der Worte“ und meinten damit die Thematisierung des rechtsextremen Charakters der FPÖ. Deren Klubchef Westenthaler verlangte bereits, es „sollte keine weitere Mobilisierung der Straße mehr geben“. [8] Kanzler Schüssel wünschte, dass nach der exportbürgerlichen Großdemonstration vom 19. Februar „wieder Ruhe einkehre“. [9] Haider selbst schlug bereits vor mehreren Jahren einen etwas härteren Ion an: „Die, die da hinten schreien, werden — wenn ich etwas zu sagen habe — ihre Luft noch brauchen. Zum Arbeiten.“ [10]

Dabei wird freilich der Nutzen einer derartigen Zurschaustellung des „anderen Österreichs“ übersehen: Schließlich suggeriert dieses dem Ausland, dass die Alpenrepublik nicht mehrheitlich von einem ressentimentgeladenen Mob bevölkert wird. In autoritärem Übereifer erklärte die Regierung jedoch alle Proteste zur „Gewalt der Straße“, welche zum Verstummen gebracht werden müsse. Die passenden Bilder dazu lieferten prügelnde Polizisten, deren Opfer in den Medien als „Gewalttäter“ erscheinen. Mit ihren Distanzierungen von den Opfern der Polizeigewalt legitimierte die patriotische Opposition die Prügeleinsätze und bestätigt die mediale Wahrnehmung von Antifaschistinnen und Antifaschisten als „Randalierer“.

Die einseitige Wahrnehmung der „Gewalt“ ebenso wie die Berufung auf Österreich selbst in Zeiten politischer Ausgrenzung hängen hierzulande nicht nur mit der überall vorzufindenden Fetischisierung des Staates zusammen; die spezifische österreichische Nachkriegsgeschichte schmiedete eine Familienbande, die so leicht nicht aus der Fassung zu bringen ist. In Österreich gab es kein mit anderen europäischen Staaten vergleichbares ’68. Hierzulande fanden Klassenkämpfe höchstens auf dem Papier statt. Diese Innigkeit mit der staatlichen Autorität hinterlässt ihre Spuren auch im Widerstand gegen schwarz-blau.

Die Zivilgesellschaft, die sich seit einem Jahr in Österreich selbst feiert, und die volkstreue Linke setzen nach wie vor auf anschlussfähigen Protest. Die sich abzeichnende linke Volksgemeinschaft, die für sich in Anspruch nimmt, das „andere“ Österreich zu sein, versucht den vom deutschen Kanzler Schröder proklamierten „Aufstand der Anständigen“ ins Österreichische zu übersetzen. Hier wird nicht mit sondern gegen die Regierung aufgestanden. Ansonsten unterscheiden sich die von den offensiven DemokratInnen vorgetragenen Pamphlete nur unwesentlich von jenen der Kameraden im Altreich. Staatlichkeit wird hochgehalten. Die Forderung nach vorzeitigen Neuwahlen, die in tiefer Sorge um Österreich erhoben wird, entspricht dem Wunsch nach einer rotgrünen Regierung, deren Staatsrassismus und Entsorgung der Vergangenheit mensch in der BRD besichtigen kann.

So demonstrieren insbesondere die grünen, liberalen und sozialdemokratischen Teile der Protestbewegung, dass es Ihnen vor allem darum geht, dass sie und nicht andere die Herrschaft ausüben.

Die Hoffnung auf einen baldigen Regierungswechsel unterstellt, dass die Mehrheit der hiesigen Bevölkerung mit der FPÖVP-Regierung ausgesprochen unzufrieden sei. In den Augen der An- und Widerständigen waren es die sogenannten ProtestwählerInnen, die der FPÖ massive Stimmengewinne einbrachten. Was liegt dann näher, als auf genau dieses Klientel zu setzen? Die FPÖ-WählerInnen unter den ArbeiterInnen werden als bloß Unzufriedene verharmlost, denen eine sozialistische Revolution oder zumindest ein „echter“ Sozialstaat die rassistischen Flausen schon austreiben würde.

Nicht nur die Zivilgesellschaft hält an dieser recht wagemutigen These fest. Auch für TraditionskommunistInnen und TrotzkistInnen, die pausenlos vom Sozialabbau schwafeln, steht der Rassismus des gemeinen Volkes nicht zur Debatte. Einzig der rassistischen Politik des Staates soll Einhalt geboten werden. Gemäß dem Motto „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ hoffen sie mit Anti-Sozialabbau-Parolen auf den Beifall der Massen. Dabei ist genau das die nachträgliche Legitimation für diejenigen, die die FPÖ gerade wegen ihres Rassismus gewählt haben. Aufrufe zu einem Generalstreik gehören bei den allwöchentlichen Demonstrationen zum Standardrepertoire dieser Gruppen. Der Realitätsverlust scheint um sich zu greifen. Die österreichischen Gewerkschaften machen sich momentan nämlich um nicht viel anderes Sorgen als um die Fortführung der Sozialpartnerschaft. Von Streiks ist man hier so weit entfernt wie eh und je, oder anders gesagt: In Österreich kann man Streiks in Sekunden messen. Nichtsdestotrotz hat man einen Uni-Streik ausgerufen.
Die mäßige Beteiligung der Studierenden, die eben doch lieber studieren als demonstrieren, ließ dieses Unterfangen samt seiner im Generalplan vorgesehenen Ausweitung „auf die Betriebe“ als völlig irreales Vorhaben scheitern.

Die Existenz antisemitischer Ressentiments wurde von der gesamten Widerstandsbewegung weitgehend verschwiegen. Es brauchte über ein Jahr schwarz-blauer Regierung, bis auch dieses Thema Einzug in die ProtestlerInnenszene fand. Anlass waren die antisemitischen Ausfälle Haiders gegen Ariel Muzicant. Als ob es nicht schon davor antisemitische Hetze von seiten prominenter FPÖ-ler gegeben hätte, reagierte die sehr österreichische Protestbewegung mit der ersten Donnerstagdemonstration die sich „primär gegen Antisemitismus“ [11] richtete. Fast ein Monat medialer Auseinandersetzung musste verstreichen ehe sich das Aktionskomitee gegen schwarz-blau zu dieser „Tat“ entschied. Die Solidarität mit den Kampfmassnahmen ankündigenden LehrerInnen war eben wichtiger als gegen den antisemitischen Normalzustand anzukämpfen.

Kein Wunder, hatten doch Antisemitismus und Rassismus ihren festen Platz in der Widerstandsbewegung. So kam es bereits bei den Vorbereitungen zur Demonstration am 12. November ’99 zu wüsten rassistischen Ausfällen seitens VertreterInnen von SOS-Mitmensch gegen anwesende MigrantInnen. SOS-Mitmensch bot bereits zu Zeiten der großen Koalition an, Konzepte für eine humane Schubhaft auszuarbeiten.
Dessen Sprecher Max Koch gab in einem Interview mit der Jungle World zum besten, dass mensch nicht so unrealistisch sein kann und behaupten, jeder Ausländer könnte hier bleiben. [12]

Ein anderes Beispiel für die mit dem postfaschistischen Konsens kaum brechende Widerstandsbewegung trug sich im Oktober letzten Jahres zu. Im MUND, einem Email-Verteiler der ProtestlerInnen, wurde ein offensichtlich antisemitisches Mail veröffentlicht. Daraufhin entbrannte ein Diskussion, die in ihrer Fülle an Scheußlichkeiten nicht wiederzugeben ist. Ein Beispiel will ich hier stellvertretend für den Wahnsinn dieser Bewegung wiedergeben: „liebe widerständler: vergesst den beitrag einfach, und wendet euch dem essentiellen dingen zu. nämlich widerstand zu leisten. und das funktioniert nur wenn wir eine einheitliche front bieten. dazu gehört auch, daß man fehler anderer genauso wie die angenehmen dinge mitträgt.“ [13]

Werden wir wieder etwas aktueller. Am 16. März dieses Jahres fand eine von Demokratischer Offensive und mehreren MigrantInnengruppen organisierte Großkundgebung auf dem Wiener Stephansplatz statt. Diese im Zeichen des Wiener Wahlkampfs stehende Manifestation hofierte trotz wiederholter Betonung, dass dies keine parteipolitischeVeranstaltung sei, eine rotgrüne Koalition, die nach den Wiener Wahlen zu bilden sei. Unter dem Motto „GESICHT ZEIGEN! STIMME ERHEBEN! Gleiche Rechte für alle“ wurde all jenen MigrantInnenvertreterInnen eine Rede gewährt, für die die Wahrung der Demokratie eine ernste Sache ist. Die Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht für MigrantInnen, die bereits Wochen davor von der Wiener Wahl Partie erhoben wurde, ist notwendig. Wird diese Forderung aber nicht mit einer prinzipiellen Kritik an Staat, Nation und Volk konterkariert, gleicht sie dem Versuch den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben.

Der bürgerliche Antifaschismus, der statt einer radikalen Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse deren Affirmation betreibt, wird so zum zweiten Standbein des Staates. Er sorgt nicht nur für Ruhe und Ordnung innerhalb der Widerstandsbewegung, er sorgt auch dafür, dass diese Verhältnisse weiter bestehen. In seinem Bestehen auf Staatlichkeit sorgt auch er schlussendlich dafür, dass Menschen ermordet und eingesperrt werden. So bietet der bürgerliche Antifaschismus ein ideologisches Fundament für all diejenigen, die dem volksgemeinschaftlichen Schweigen über das, was geschehen ist, dem gemeinsam begangenen Massenmord, verpflichtet sind.

Wer aber ernsthaft FPÖ, Rassismus und Antisemitismus bekämpfen will, muss aus der Volksgemeinschaft heraustreten und diese mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln angreifen. Wer dagegen ist, dass Gewalt, welcher Art auch immer, gegen Menschen ausgeübt wird, der/die muss in letzter Konsequenz die Zerschlagung des Staatsapparates im Sinn haben. Alles anderes ist Heuchelei. Eine nicht ernst zu nehmende moralische Empörung, die wenn’s mal ganz arg hergeht, kurz aufschreit, um dann wie es sich für einen staatsloyalen Bürger gehört, tatkräftigst die Beamten bei der Erledigung ihrer Pflichten zu unterstützen.

[1Der Standard, 26.3.2001

[2vgl. ebd.

[3Aufruf zur Demonstration am 12.11., http://www.demokratische-offensive.at/aktionen/19991112-0.html

[4ebd.

[5ebd.

[6Falter 9/00

[7vgl. Weiss, Hilde: Structural change and ethnic intolerance. Post-communist countries as compared to Austria (Forschungsbericht, vorgestellt am 22.9.1996 in Wien)

[8Neue Freie Zeitung Nr. 6/2000

[9Neue Zürcher Zeitung, 18.2.00

[10Der Standard, 5.10.1994

[12vgl. Jungle World 10/2000

[13MUND 20.10.2000, http://www.no-racism.net/MUND/

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
2001
, Seite 14
Autor/inn/en:

Simone Dinah Hartmann:

Simone Dinah Hartmann, arbeitet als Informatikerin und freie Autorin in Tel Aviv und Wien, Koordinatorin der Plattform Stop the Bomb – Bündnis gegen das iranische Vernichtungsprogramm.

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