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Der Agent als „mittelgroßer Schweinehund“

Peter Weinmann im Dienste von Verfassungsschutz, Stasi und SISMI

Karl Peter Weinmann war Dreifachagent im Solde des west- und ostdeutschen sowie des italienischen Nachrichtendienstes. In deren Auftrag rekrutierte er Neonazis, beteiligte sich an Verbrechen und war sogar an einem Mordplan beteiligt.

„Manipuliert ein Geheimdienst die Briefbomben?“, fragt die Stimme aus dem Off. Schnitt: ein Binnenhafen irgendwo in Deutschland. Ein Mann, langer Mantel, Schiebermütze, steht mit dem Rücken zur Kamera und philosophiert über die möglichen Attentäter: „Da stellt sich die Frage, wer der Absender ist. Es könnte durchaus ein ausländischer Dienst sein.“ Den Österreichern sei dies „überhaupt nicht zuzumuten“, denn es „ist bekannt, daß Österreich keinen Nachrichtendienst hat. Sie haben nur Sicherheitsdirektionen.“ Er selbst, so der ungenannt bleibende, habe „solche Dinge mitgesteuert“. Für die „Hoffmann-Gruppe“, jene berüchtigte Naziterrororganisation, auf deren Konto unter anderem die Ermordung des jüdischen Verlegers Shlomo Levin und dessen Lebensgefährtin Frieda Poeschke im Dezember 1980 geht, habe er Menschen nach England geschmuggelt.

Substantielles hat der Unbekannte mit der Schiebermütze in dem als sensationelle Enthüllung in Sachen Briefbomben angekündigten Beitrag des „Inlandsreports“ im Februar letzten Jahres nicht mitzuteilen. Doch dem Mann kann kein Vorwurf gemacht werden. Er braucht Geld. Schließlich hat Karl Peter Weinmann vor einigen Jahren gleich drei Arbeitgeber verloren. Da ist auch der magere Obolus für ein ORF-Interview nicht zu verachten. Daß er seiner Jobs verlustig ging, hängt damit zusammen, daß eine der Firmen, für die er arbeitete, Konkurs anmelden mußte: das ostdeutsche „Ministerium für Staatssicherheit“ (MfS). Da war es dann auch mit der Arbeit für das westdeutsche „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) und den italienischen Geheimdienst SISMI vorbei.

Der Drei- oder gar Vierfachagent – Weinmann selbst behauptet, auch für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet zu haben, ein Angebot des ihn ebenfalls umwerbenden militärischen Abschirmdienstes MAD habe er abgelehnt – war, wie der Spiegel schreibt, „kein großer Fisch, eher ein mittelgroßer Schweinehund“. Weinmann prahlt damit, seine Informationen gleich mehrfach verkauft zu haben: „Der Agent ist pausenlos im Einsatz“, ein „Naturtalent“, das „Politik gemacht“ habe, mit einem „IQ weit über dem Durchschnitt“, und so weiter. [1] 24 Stunden am Tag spionieren, straffrei Verbrechen begehen können, das alles gut bezahlt und obendrein steuerfrei: So sieht sich der gescheiterte Friseur und Bademeister, der so gerne ein großer Agent gewesen wäre, selber. Es ist die Mischung aus strammer rechter Gesinnung und dem Traum von Philip Marlowe, die Weinmann gleichzeitig Nazi sein und Nazis verpfeifen läßt: „Ein Rechter, wie er sich heute noch selbst sieht, gegen die Rechten.“

Weinmann hat nichts gegen das Dritte Reich, geht regelmäßig in die Kirche und verehrt Che Guevara. Er zeigt eine herrliche Neigung zu Kampftrinkern und mag Würstchen mit Senf (auf Porzellanteller + Silberbesteck).

Weinmann über Weinmann

23 Jahre war Weinmann Spitzel, bis er nach der „Wende“ enttarnt wurde. In den Stasi-Akten wurde ein Bericht gefunden, den der vom MfS als „Rolf Römer“ geführte informelle Mitarbeiter über einen in Sachen Südtirol aktiven Bundeswehrkapitän erstellt hatte. Fast die ganze Zeit über hat Weinmann als V-Mann „Werner“ für den Verfassungsschutz gearbeitet, seit 1976 spionierte er als „Sigmund“ für die Italiener und die letzten fünf Jahre eben auch für die Stasi.

Weinmann bei den Nazis

Berufliche und finanzielle Schwierigkeiten und eine ehemalige Mitgliedschaft bei der NPD sind 1969 die idealen Voraussetzungen für eine Anwerbung durch den Verfassungsschutz. Weinmann beginnt seine Spitzelkarriere bei der von NPD-Mitgliedern gegründeten bewaffneten „Wehrsportgruppe Hengst“. 1972 stürmt er eine Veranstaltung der Kommunistischen Partei. Die daraufhin erhobene Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Gefangenenbefreiung und anderer Delikte kommt gerade recht. Sie dient „als Alibi-Anklage zur Festigung im rechten Lager“. Der Führungsoffizier erklärt Weinmann, er könne sie „gleich in die Mülltonne werfen“. Der Weg in die Szene ist frei.

In der „Aktion Neue Rechte [2] trifft Weinmann auf die Naziterroristen Michael Kühnen und Friedhelm Busse. Mit seinem engen Freund Busse gründet er die „Partei der Arbeit“ (PdA), die später in „Volkssozialistische Bewegung Deutschland“ (VSBD) umbenannt und 1982 wegen terroristischer Aktivitäten verboten wird. Von der VSBD geht es, immer „zum Nutzen des Verfassungsschutzes“, zur „Wiking Jugend“, zur „Nationalistischen Front“ (NF) und schließlich zur Wehrsportgruppe Hoffmann. Um Geld für die Naziterroristen aufzutreiben, betätigt sich der V-Mann auch als Schlepper, mit Verfassungsschutzgeldern dreht er einen Film über Hoffmann und seine Kameraden. Weinmann wirbt Jugendliche an und organisiert Wehrsportübungen – in einer Kiesgrube direkt neben einem Gelände des Bundesgrenzschutzes –, bei denen er sich mit seinen Sprengstoffkenntnissen brüstet. Jahre später erstellt er für die mittlerweile ebenfalls verbotene „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) eine Broschüre zum richtigen Umgang mit Sprengstoff. Unter Kameraden gilt er als Experte, der auch Munition und Sprengstoff von der Bundeswehr beschaffen kann. Zu dieser Zeit wird er auch für die „Republikaner“ tätig, arbeitet für rechtsextremistische Blätter wie „Frank und Frei“ oder „Europa Vorn“.

1987 versucht der Nazispion, sich auch bei der Gegenseite einzuschleichen. Er biedert sich unter anderem bei Funktionären der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) an und versucht, Zugang zu einem antifaschistischen Pressedienst zu bekommen.

Weinmann bei den Separatisten

Als sich Weinmann 1976 mit einem bis unter das Dach mit Nazipropaganda beladenen VW-Bus der Wehrsportgruppe Hoffmann in Richtung Südtirol aufmacht, nimmt ihn die Polizei an der österreichisch-italienischen Grenze fest. Auf Vermittlung der politischen Polizei DIGOS landet er beim militärischen Geheimdienst SISMI. Ein deutschsprachiger Spion ist genau das, was die Italiener in Südtirol benötigen. Mit der Legende eines Reisejournalisten für einen Pressedienst ausgerüstet, hat er schon bald „zwei ganz große Fische“ des „Südtiroler Heimatbundes“ an der Angel. Bei Eva Klotz, Tochter des Terroristen Georg Klotz, und Franz Pahl geht er ein und aus. Die fanatische Klotz ist heute führender Kopf und Landtagsabgeordnete der separatistischen „Union für Südtirol“.

Den Auftrag, auch Karl Außerer von der Terrorgruppe „Ein Tirol“ zu beschatten, lehnt Weinmann ab. Vor Attentaten, bei denen der Geheimdienst seine Finger mit im Spiel hat – etwa den drei Bomben, mit denen Anfang 1987 Wählerstimmen für den neofaschistischen „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) herbeigebombt werden sollten –, wird Weinmann von seinen Führungsoffizieren „Franz Gamper“ und „Doktor“ gewarnt: „Bleib zu Hause und rühr dich nicht vom Fleck.“

Für den SISMI spioniert Weinmann auch die bundesdeutsche Unterstützerszene der Südtiroler „Freiheitskämpfer“ aus. Er erkundet, wie die Gelder der „Hermann-Niermann-Stiftung“ über den Brenner gelangen. Über die 1987 von Norbert Burger mitgegründete Stiftung flossen bis vor ein paar Jahren zwei bis drei Millionen Schilling jährlich als Unterstützung für Familien verurteilter Attentäter nach Südtirol.

Weinmann in Ostberlin

21. August 1984: In Mailand besteigt der nimmermüde Agent einen Jet der „Interflug“ in Richtung Ostberlin – in seiner Tasche den SISMI-Auftrag, SS-20-Raketenbasen auszuspionieren. Er nutzt die Gelegenheit für eine Vorsprache im Ministerium für Staatssicherheit. Es klappt: Weinmann wird angeworben und trifft sich ab diesem Zeitpunkt alle drei Monate mit Stasi-Offizieren. Die 10–20.000 Schilling für jedes Treffen sind leicht verdientes Geld. Der nunmehrige „Rolf Römer“ braucht lediglich seine für den SISMI verfaßten Berichte über Neonazis und Südtiroler Separatisten zu kopieren, denn „der Auftragsgegenstand war immer derselbe“. Die Materialübergabe erfolgt wie in einem der zahlreichen im kalten Krieg spielenden Agententhriller: über die Gepäcksaufbewahrung im Ostberliner S-Bahnhof Friedrichsstraße. „Bei jedem Anschlag“, so Weinmann, „haben sich die Stasi-Leute gefreut, weil damit im NATO-Land Italien eine instabile Zone sichtbar wurde.“

Während der Dreifachspion für Westdeutsche wie Italiener operativ tätig war, fungierte er für die ostdeutsche Staatssicherheit lediglich als Informeller Mitarbeiter. Trotzdem ist es – wenig erstaunlich – gerade diese Tätigkeit, die Weinmann im Februar 1994 vor ein deutsches Gericht bringt. Es ist ein ungewöhnlicher Prozeß, in dem der Angeklagte vom Richter ermahnt wird, den Mund zu halten. Weinmanns Engagement für den Verfassungsschutz soll gar nicht erst zur Sprache kommen, ebensowenig dasjenige für den befreundeten Dienst aus Italien. Auch des Agenten neonazistische Umtriebe im Auftrag der Verfassungsschützer eignen sich nicht für eine Erörterung vor Gericht. „Aus guten Gründen“, so der Richter, wird die Anklage daher auf die Lieferung von Informationen über Verfassungsschutz, Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und die christdemokratische Parteijugend an die Stasi eingeschränkt. Weinmann kommt mit neun Monaten auf Bewährung mehr als glimpflich davon, die Öffentlichkeit jedoch hat ihren Stasi-Prozeß.

Mordplan Kienesberger

Zu den Dingen, die die deutschen Richter unter den Teppich kehren wollten, gehört auch jene, die Weinmann bei einem Telefonat mit dem Journalisten Hans Karl Peterlini rausrutscht: „Au, au, da fällt mir ein Ding ein. Herrgott, jetzt weiß ich es, aber das war wirklich unbeabsichtigt. Ich war über Kienesberger gründlich instruiert worden, ich kannte alle Aktionen von Kienesberger. Ich habe in diesem Zusammenhang mal einen Haus- und Wohnungsgrundriß erstellt“: Die Terrasse ebenerdig, drei Meter vom Haus zu den Garagen, zum Bahnhof dreihundert. 1000 Mark Prämie erhält Weinmann für den Spezialauftrag.

Was so harmlos klingt, war in Wirklichkeit Beihilfe zum versuchten Mord. Es geht um den Plan des SISMI, den heute in Nürnberg lebenden Neonazi und Südtirolterroristen Peter Kienesberger zu entführen oder gegebenenfalls zu ermorden. Senator Marco Boato von den italienischen Grünen zitiert in seinem Bericht für den Gladio-Untersuchungsausschuß einen Amtsvermerk des Dienstes, demzufolge der SISMI-Agent Francesco Stoppani, Leiter einer Gladio-Spezialeinheit, im Jahr 1980 „in Nürnberg den Terroristen Kienesberger lokalisiert habe und daß er die Aufgabe habe, diesen über die Schweiz nach Italien zu entführen. Dabei sollte er ihn unterwegs mit einem mit Sprengstoff gefüllten Rucksack liegenlassen, um so seine Verhaftung herbeizuführen. Sollte der Entführungsversuch jedoch scheitern, so sollte Kienesberger in seinem Haus mit einer Präzisionswaffe getötet werden“.

1979 hatte die deutsche Justiz, die immer wieder ihre schützende Hand über Kienesberger und seine Kameraden legte, die Auslieferung des Ex-Terroristen abgelehnt. Stoppani wollte die Angelegenheit nun wohl auf seine Art erledigen. Weinmann jedoch will von dem Mordplan nichts gewußt haben. Aber wer wollte das schon an seiner Stelle?

Während die deutsche Justiz den Tatbeteiligten Weinmann nur wegen seiner relativ harmlosen Informationstätigkeit für die Stasi belangt, erhebt die italienische Justiz Mitte der neunziger Jahre Anklage gegen ihre eigenen Agenten. Im November 1994 mußten sich der die Gladio-Abteilung beim SISMI leitende General Paolo Inzerilli, Stoppani und der als Verbindungsmann eingesetzte Offizier Sergio Mura wegen politischer Verschwörung, Menschenraub zu terroristischen Zwecken und Anschlag auf die demokratische Ordnung in Rom vor Gericht verantworten. Es war der erste Prozeß gegen die Geheimorganisation Gladio überhaupt. Neben der beabsichtigten Ermordung Kienesbergers warf ihnen die Staatsanwaltschaft vor, in Österreich und Deutschland Sprengstoffattentate geplant zu haben, um feindliche Reaktionen der nördlichen Nachbarländer gegen Italien zu provozieren. Der Prozeß endete mit Freisprüchen.

Quellen

  • ZDF, „Studio 1“, 16.2.1993; zitiert nach: Dolomiten, 17.2.1993.
  • Jürgen Grewen: Geheimdienste – oder wie krimnell dürfen V-Männer sein. In: Der Rechte Rand 22/93.
  • Der Spiegel 7/93.
  • FF – Die Südtirol-Illustrierte 8/93.
  • Peter Weinmann – Ein Spitzel für alle Fälle; Beilage zu: Der Tiroler 42/1994.
  • Die Presse, 18.11.1994.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
1997
, Seite 10003
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