FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1982 - 1995 » Jahrgang 1984 » No. 364/365
Günther Anders

Die Tolerierung des Gespenstes und das Gespenst der Toleranz

Anlass dieses Beitrags war die — bis dato rechtsgültige! — Beschlagnahme des Films von Herbert Achternbusch „Das Gespenst“ am 18. November 1983 kurz vor der Erstaufführung in Österreich. Kurz vor Erscheinen dieses Heftes entzog der regierende Günther Nenning dem redigierenden G.O. diese Funktion; dessen Nachfolger kürzten den Titel und besorgten die Illustrationen, unterließen jedoch die vorgelegenen Fahnenkorrekturen sowie die Aufnahme des P.S. Ferkel von Anders, des P.P.S. von G.O. und der Erklärung Achternbuschs vom 15. Jänner 1984, die alle für den Satz fertig eingerichtet waren: Hier ist also nicht der mangelhafte Druck zu lesen, sondern der von Günther Anders autorisierte Beitrag.

Was ich in der Affäre Achternbusch und der Intoleranz gegenüber dessen Buch und Film zu sagen hätte? — Nichts. Da ich keines der beiden Kunstwerke kenne, also Ignorant bin‚ kann ich leider nur ganz Grundsätzliches über Toleranz und Intoleranz anmerken. Wenn Grundsätzliches gefällig ist? — Bitte!

I. Kunst

Ich bin durchaus nicht dafür, daß man die Etikettierung „Kunstwerk“ und das durchaus nicht so selbstverständliche und begründbare Postulat „Freiheit der Kunst“ als Feigenblatt benutze: Dazu also, um dieses oder jenes aus Philistrosität verpönte, oder aus religiöser Angst oder Zimperlichkeit tabuierte Werk ehrlich zu machen. Ganz abgesehen davon, daß diese sehr beliebte und immer verfügbare Rechtfertigungsmethode häufig gerade von Philistern oder Zimperlichen angewandt wird — für die Detabuierung von Tabus (und das sage ich als einer der tabulosesten Zeitgenossen) ist nicht die Ästhetik zuständig, sondern die Moral: die Vorurteilsfreiheit und der Wahrheitsfuror.

Die Freiheit der Wahrheit benötigt kein falsches Etikett und keine Ausreden.

Wir brauchen nicht die Klassifikation eines Dinges als „Kunstwerk“‚ wir benötigen kein Feigenblatt, um Feigenblattlosigkeit, sei diese nun beabsichtigt oder nicht, berechtigt oder nicht, zu rechtfertigen.

Damit nicht genug, denn gleichfalls gilt, daß diese Klassifikation als Rechtfertigungsrnittel nicht benutzt werden darf. Dürfte sie das nämlich, dann besäßen ja Infame die unbeschränkte Chance, ihre blutigen Machwerke zu legitimieren.

Auf Gefahr hin, von Ihnen als prüde verspottet zu werden, hiermit erkläre ich, allem Sadismus gegenüber, sogar Straussens genialem Salome-Schluß gegenüber, bin ich prüde, und auf gern Grausame schlage ich blindlings ein. Es wäre einfach unerträglich, wenn Werke, die etwa die Anwendung von Folter oder die Vorbereitung des Atomkrieges‚ also die grellsten Obszönitäten (neben denen alle sogenannten Pornografien oder angeblich sakrilegischen Darstellungen erfreulich, liebenswürdig, dezent und harmlos bleiben), wenn also solche Werke deshalb auf Dasein, auf Tolerierung, Anerkennung, Verteidigung oder gar auf Preiskrönung Anspruch haben dürften, weil sie als Kunstwerke auftreten, oder meinetwegen wirklich welche wären.

Aber was heißt hier „wenn“. Wozu dieser Konjunktiv, denn das geschieht ja täglich. Das „Wenn“ muß durch ein „Daß“ ersetzt werden.

An „Hiroshima mon amour“ wäre hier zum Beispiel zu erinnern, nicht zuletzt deshalb, weil die Macher dieses Films darauf spekuliert haben, durch die ungenierte Vermengung der Bilder von sinnlich schönsten, wildesten und zärtlichsten Leibern mit den Bildern der aufs obszönste pulverisierten Stadt nekrophiles Vergnügen heraufzukitzeln und weil diese ihre Rechnung aufgegangen war. Denn die Kunstkritiker sind ja damals auf diese Pornografie ausnahmslos hereingefallen — Jawohl: hier ist dieser Ausdruck „Pornografie“ nun wirklich einmal am Platze, denn wenn Erotik plus Massenmord nicht pornografisch ist, dann weiß ich wirklich nicht, wann das Wort rechtmäßig verwendet werden könnte.

Die Behauptung, daß jedes Machwerk, wenn es nur mit dem Etikett „Kunstwerk“ beklebt sei, oder wirklich eines ist, deshalb geduldet und geachtet werden müsste, — diese einfältige amoralische These, die viele Progressive nachplappern und nicht zu unterschreiben sich genieren, diese Behauptung wird übrigens heute primär nicht von Literaten, Intellektuellen, Politikern oder Künstlern vertreten, sondern vor allem von sich als liberal aufspielenden Geschäftemachem. Einige von diesen haben zum Beispiel Folterungen vietnamesischer Kinder gefilmt und dann diese sadistisches Vergnügen entzündenden und zur gefälligen Nachahmung auffordernden Schweinereien als „Kunstwerke“ in Anspruch genommen, um sie dadurch als Waren glatt absetzen zu können.

Die „Freiheit der Kunst“ ist bei solchen Fällen natürlich reine Heuchlerei, nur der Betrugstitel für die Freiheit des Profits. Ihren Schmutz beschmutzen sie in der Potenz, nämlich durch Hypokrisie. Da lob’ ich mir ja beinahe die rechtschaffenen unprätentiösen Pornofilmproduzenten, die nichts Besseres zu sein vorgeben, als was sie sind, nämlich Zuhälter, die den zahlbereiten Voyeurs ihren Augenfraß und -spaß pausenlos vorwerfen.

Was die Bilder von Folterungen oder Ermordungen oder Erniedrigungen welcher Art auch immer angeht‚ so dürfen diese, wie zum Beispiel die Bilder der in absurden Knochenverrenkungen erstarrten Leichen, oder die Berge von Haaren oder die Körbe voll ausgerissener Zähne in den Vernichtungslagern, die Bilder, die 1945 gezeigt worden waren (dann aber leider rasch und rücksichtsvoll aus dem Gesichtskreis der Täter und deren Nachfahren entfernt worden waren, wie es hieß deshalb, weil sie unglaubhaft wären, in Wahrheit natürlich deshalb, weil man es für opportun hielt, ein gewisses anderes vertrautes Feindbild wieder in den Vordergrund zu schieben) — was also die Bilder dieser Obszönitäten betrifft, so dürfen sie ausschließlich als Warnungen zum Zwecke der Erzeugung von Schrecken und Scham eingesetzt werden. Und als „Kunstwerke“ brauchen sich diese wahrhaftig nieht zu gerieren oder auszuweisen. Dürfen sie sich unter keinen Umständen gerieren oder ausweisen.

Szenen aus „Das Gespenst“ von H. Achternbusch

II. Toleranz

Aber so wenig wie jedes Kunstwerk eo ipso toleriert werden darf oder muß, ebensowenig darf oder muß und das ist mein zweiter Punkt — jede Tolerierung toleriert werden.

Toleranz ist nämlich nicht unter allen Umständen eine Tugend.

Vielmehr zumeist die der Leutseligen, der Schulterklopfer; sie kann immer nur von oben nach unten praktiziert werden; immer nur von den Mächtigen, die die weniger Mächtigen oder sogar ohnmächtigen Minoritäten dulden.

Reziprok geht Toleranz niemals vor sich.

Darum ist sie zumeist entwürdigend und deshalb untolerierbar.

Könnte sich vielleicht ein türkischer Fremdarbeiter vor dem Steffl aufpflanzen und proklamieren, er toleriere die Katholische Kirche in Österreich? Würde der nicht, und mit Recht, nach Steinhof gebracht werden? Tolerieren kann nur sie ihn. Aus diesem Grunde habe ich es niemals toleriert, wenn mir jemand versicherte, daß er mich toleriere; weil das immer bedeutete, daß er mich nur toleriere und daß ich ihn meinerseits nicht tolerieren könnte oder dürfte.

III. Religion

Und nun zu einem dritten Punkt, der freilich wie der Letzte den Mangel an Gegenseitigkeit betrifft. Wenn Gläubige — und damit gerate ich nun wohl in die Nachbarschaft des Falles Achternbusch — das Recht genießen, sich über die Kritik ihrer Religion durch ein Kunstwerk: eine Rede, ein Buch, einen Film, öffentlich zu entrüsten und diese sogar als „sakrilegisch“ untersagen zu lassen, weil der Glaube es verlangen könne, unattackiert zu bleiben — wo bleibt denn da die Reziprokität.

Warum sollen eigentlich die Agnostiker und Atheisten (denen natürlich in praxi alle Naturwissenschaftler und Technologen der Welt zugehören, wenn sie auch zu feige sind, das ausdrücklich auszusprechen) — warum also sollen diese nicht das gleiche Recht auf offenes Auftreten und auf Unattackierbarkeit genießen wie die Gläubigen? Warum nicht das gleiche Recht darauf, sich über Kritik und Anwürfe von Seiten der Gläubigen zu beschweren und diese Anwürfe verbieten oder zu bestrafen lassen?

Sollte nicht, was dem Einen recht ist, dem Anderen billig sein?

Vor unserer Position des Unglaubens, und vor uns zu warnen ist usus: in Schulen, von Kanzeln herab, in den Massenmedien und wo auch immer; wir dürfen attackiert, von uns darf den Kindern erzählt werden, daß wir ewige Höllenstrafen zu bewältigen haben. Das wird toleriert und wahrhaftig nicht nur toleriert.

Aber das Umgekehrte?

Allein, die Kritik des Glaubens durch die Ungläubigen wird gewöhnlich nicht ebenso geduldet, oder versuche gar einmal ein nicht katholischer Europäer oder Amerikaner, die Rede eines hohen katholischen Würdenträgers „seicht“ zu nennen, oder zu kritisieren oder sogar nur temperiert anzuerkennen — nein, selbst das würde nicht toleriert werden. Selbst diese meine Feststellung, daß das nicht toleriert werden würde, wird in den Ohren vieler bereits skandalös klingen.

Nun könnten wir ja — und manche der Unsern, namentlich in den angelsächsischen Ländern, tun das ja, um gleichfalls geduldet zu werden — wir könnten ja behaupten, unser Agnostizismus oder unser Unglaube sei selbst ebenfalls eine Art von Glaube, die Ableugnung Gottes auch ein Bekenntnis und könne deshalb Anerkennung beanspruchen. Aber dieser Trick, sich unter falschen Namen in den Saal der Geduldeten hineinzuschwindeln, der ist zu billig, um eine Diskussion Wert zu sein. [1]

Nichts liegt mir also ferner, als ein „heiliges Recht auf Unglauben“ in Anspruch zu nehmen und darüber zu jammern, daß dieser unser „Unglaube“ genannte Glaube von unseren Gegenspieler: den Gläubigen, pausenlos profaniert werde. Durch Beschlagnahme von solchen Sakralvokabeln benähmen wir uns als Schmeichler; nein: schlimmer als das: als Überläufer.

Unglaube ist kein Glaube.

Und erst recht beanspruchen oder verlagen wir natürlich nicht — dadurch würden wir uns überdies lächerlich machen, das sollen lieber diejenigen, die einem Glauben anzuhängen glauben, was immer sie mit dieser Vokabel, wenn sie überhaupt etwas mit ihr meinen, bezeichnen mögen — daß wir uns über sie so indignieren, wie sie sich über uns indignieren. Daß ich freilich seit 70 Jahren über die mir Unnachvollziehbaren fassungslos bin, das kann ich nicht bestreiten, aber dieses Geständnis stellt ja keine Beleidigung dar.

Wie auch immer, wir können nicht verschweigen‚ daß unsere Position des Unglaubens (sofern diese überhaupt eine „Position“ genannt werden darf, da er ja als eine solche nur aus der absurden positiven Position und Perspektive des Glaubens bezeichnet werden kann) ununterbrochen und ungestraft geschmäht werden darf; [2] daß also diejenigen, die den Wein der Liebe predigen, das kalte Wasser der Verachtung oder das laue des Mitleids über uns ausgießen dürfen, auszugießen lieben, während wir unseres Rechts auf Kritik ihrer Glaubensposition unter dem Vorwand, Kritik sei unter allen Umständen Verhöhnung, beraubt bleiben.

P. S. Ferkel

Der Ausdruck „Ferkel“ [Achternbusch, nachstehende Erklärung Punkt 4] scheint mir nun freilich ein Zeichen von totaler geistiger, moralischer und geschmacklicher Desorientierung zu sein. Wer behauptet, dass ein nach Auschwitz und Hiroshima noch an Gott Glaubender Inbegriff des Schmutzes sei, der beweist sich als klassifikationsunfähig.

Hätte Achternbusch gesagt — und das habe ich wiederholt in meinen Ketzereien so formuliert —, dass der Glaube an einen Gott, der Auschwitz und Hiroshima zugelassen habe, unmöglich sei, weil er einen nicht guten Gott unterstelle, und dadurch ein Sakrileg darstelle, dann hätte ich ihm Recht gegeben.

P. P. S.

Die katholische Kirche, zu ihrer Ehre, hat der Presse nicht die Freude gemacht, an diesem Kulturkampf teilzunehmen. „Man kann nicht mit Hilfe staatlicher Gesetze kirchliche Wertvorstellungen durchsetzen“, stellte frühzeitig der Grazer Generalvikar Städtler fest — ein erfrischender Satz von säkularer Bedeutung, der rückhaltlos anerkannt sei. G.O.

Herbert Achternbusch

Erklärung statt meines Kommens

  1. Ich kann keinen plausiblen Grund angeben, warum ich Filme mache (bislang 13). Die Verfolgung, die meine Filme auf sich ziehen, insbesondere „Das Gespenst“, legen mir Gründe nahe.
  2. Filme machen ist ein Handwerk, ich habe einen mittelständischen Betrieb, mit Angestellten, die nach Tarif bezahlt werden müssen. Der Fall Österreich — und für mich ist es ein Fall Österreich, nicht ein Fall Gespenst — enthält mir Geldmittel, die zur Aufrechterhaltung meines Betriebes nötig wären. Österreich ist für mich ein fernes Land geworden, weiter weg als England oder die USA. Wenn es mir in Bayern zu heiß wird, gehe ich nach Österreich, dieser von mir lange gehegte Gedanke hat sich verflüchtigt.
  3. Anonyme Morddrohungen, die Angst vor einem Attentat, veranlassen mich, einem Land fernzubleiben, das sich im Hitlerreich durch besonderen Eifer hervorgetan hat. Ein Land, in dem Neohitleristen einen Richter veranlassen können, einen Film von mir zu konfiszieren, ist mir zu riskant.
  4. Meine Einstellung zur Religion ist folgende: der Zustand der Welt erlaubt es nicht mehr, an einem Weltbild festzuhalten, und mit diesem Weltbild Menschen zusammenzuhalten, um andere Menschen mit einem anderen Weltbild bekämpfen zu können. Wir brauchen kein Weltbild mehr, sondern die Welt. Wer bei dem verheerenden Zustand unserer Welt weiterhin an Gott glaubt, ist ein Ferkel. (Ohne Ausrufezeichen)
  5. Ich grüße alle herzlich, die sich für meinen Film einsetzen und bedanke mich für ihre Mühe.

Herbert Achternbusch

Ambach, 15.1.1984

[1Das lustige Gegenstück ist die „Christian Science“‚ diejenige religöse Sekte nämlich, die, um im wissenschaftstollen frühen 20. Jahrhundert salonfähig zu wirken, sich als Wissenschaft empfahl. Glaube in der Maske des Nichtglaubens.

[2Noch niemals ist der Philosoph oder Theologe auf den Gedanken gekommen, Tiere oder Pflanzen als atheistisch zu bezeichnen.

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Das Gespenst bei Wikipedia

Film
Titel Das Gespenst
Produktionsland BRD
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1982
Länge 84 Minuten
Altersfreigabe
  • FSK 12 (Neuprüfung)
  • JMK Beschlagnahmt (§ 188 StGB)
Stab
Regie Herbert Achternbusch
Drehbuch Herbert Achternbusch
Produktion Herbert Achternbusch
Kamera Jörg Schmidt-Reitwein
Schnitt Micki Joanni
Besetzung

Das Gespenst ist ein Schwarzweißfilm von Herbert Achternbusch aus dem Jahre 1982. In der tragikomischen Satire behandelt Achternbusch den Konflikt des wiedergekehrten Jesus mit der heutigen Welt. Der Blasphemievorwurf gegen den Skandalfilm führte zu einer vorübergehenden Verweigerung der Freigabe durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und zur Reduzierung der zugesagten Filmförderung durch BRD-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann.

Handlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die lebensgroße Christusfigur, der 42. Herrgott einer bayrischen Klosterkirche, steigt vom Kreuz und wird an der Seite der Oberin des Klosters zum Ober, mit der er durch Bayern zieht. Er trifft hier auf die Polizei, Münchner Passanten, einen Bischof und weitere Personen. Er verwandelt sich wiederholt in eine immer schwächer werdende Schlange, um am Ende, im Schnabel der in einen Greifvogel verwandelten Oberin, in die Lüfte zu steigen.

Freigabe in der Bundesrepublik Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Verleih wollte die strafrechtliche Unbedenklichkeit des Films sicherstellen, weshalb er ihn zunächst im Dezember 1982 der Juristenkommission der SPIO vorlegte. Die Kommission verlangte dazu einen Schnitt für eine Szene, in der Christus als „Scheiße“ persönlich angesprochen wird. Der Verleih kam dieser Aufforderung nach, legte im März 1983 den Film der FSK vor und beantragte die Freigabe ab 18 Jahren.

Die beiden Prüfer der Filmwirtschaft, die im Arbeitsausschuss alleine über die Freigabe entschieden, verweigerten diese jedoch am 29. März 1983, weil die Attacken des Films auf die Gegenwart der Kirche „ein nur noch pessimistisches und nihilistisches Grundmuster der Welt“ erzeugten, was „dem religiösen Empfinden eines nach Millionen zählenden Teils der Bevölkerung“ in öffentlichen Vorführungen nicht zugemutet werden könne.[1]

Gegen diese Beurteilung legte der Verleih Berufung ein. Mit 2:1 Stimmen befanden die zuständigen Vertreter der Filmwirtschaft im Hauptausschuss am 20. April 1983, es müsse den „an der Besichtigung dieses Streifens interessierten erwachsenen Besuchern überlassen bleiben, sich mit dem nach Inhalt und Form sicherlich und begreiflicherweise umstrittenen Film auseinanderzusetzen.“[2]

Folgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Gespenst war aufgrund einer vom Bundesinnenministerium unter Gerhart Baum (FDP) in Höhe von 300.000 DM zugesagten Förderzusage produziert worden. Der Film lief Ende 1982 an und wurde zunächst kaum beachtet. Im April 1983 wurde die staatliche Filmförderung in der Berichterstattung der im Axel-Springer-Verlag erscheinenden Bild am Sonntag und Welt am Sonntag als Steuerverschwendung bezeichnet. Darauf gingen im Bonner Innenministerium, nunmehr geleitet von Friedrich Zimmermann (CSU), einige hundert Protestbriefe ein. Nachdem er sich selbst den Film angesehen hatte, strich Zimmermann, da noch nicht alle Raten an Achternbusch ausgezahlt waren, die noch ausstehende Summe von 75.000 DM.

Beim Münchner Filmfest 1983 protestierten 50 Filmschaffende gegen dieses Vorgehen. Auch bei der Verleihung des Bundesfilmpreises im Berliner Zoo-Palast kam es zu Protesten. Filmemacher demonstrierten als Gespenster verkleidet gegen den Entscheid. Zudem rügte der Deutsche Kulturrat das Vorgehen Zimmermanns.[3] Aufgrund der öffentlichen Kontroverse sahen über 150.000 Zuschauer den Film im Kino und damit weit mehr als bei Achternbusch-Filmen üblich.[4]

Neben den Solidaritätsbekundungen von Filmemachern kam es insbesondere in Bayern jedoch auch zu Protesten gegen den Film. So formierten sich in München über tausend katholische KPE-Pfadfinder zu einer Sühneprozession, bei der sie für den Sünder Achternbusch um Vergebung baten.[5] Versuche, ein bundesweites Verbot des Films zu erwirken, scheiterten jedoch. Zwar erhob die Münchner Staatsanwaltschaft Anklage wegen Verstoßes gegen §166 StGB („Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen“). Das Landgericht stellte das Verfahren aber mit der Begründung ein, dass dem Film „ein Mindestmaß an Format“ fehle und er daher lediglich in die „Kategorie des Dürftigen, Läppischen, Albernen und Geschmacklosen“ falle.[5] Die Staatsanwaltschaft legte gegen diesen Beschluss Beschwerde beim Oberlandesgericht München ein, die jedoch ebenfalls zurückgewiesen wurde.[6]

Nach der Vorstellung verlangte es Minister Zimmermann nach einem Schnaps, und er sagte, „dass er dazu neigt, dem Film weitere staatliche Zuschüsse zu verweigern“.[7] Er setzte jedoch in der Folge wesentliche Änderungen für die Vergabe der Bundesfilmpreise durch. Unter anderem sollte das Preisgeld für das nächste Projekt nur noch 30 Prozent der gesamten Produktionskosten ausmachen. In der Bundestagssitzung vom 24. Oktober 1983 erklärte Zimmermann, er werde keine Filme finanzieren, die außer dem Produzenten niemand sehen wolle. Für den deutschen Autorenfilm hatte diese Maßnahme schwerwiegende Folgen, da künftig kaum ein Filmemacher in der Lage war, die restlichen 70 Prozent einer Produktion vorzufinanzieren oder gar einzuspielen.

Verbot in Österreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gemäß § 188 StGB (Herabwürdigung religiöser Lehren) wurde der Film kurz nach Erscheinen in Österreich beschlagnahmt.[8] Dieses Verbot ist bis heute gültig, dennoch kann der Film in einigen österreichischen Bibliotheken für wissenschaftliche Arbeiten ausgeliehen werden. Am 16. Januar 1984 fand auf der Universität Wien eine von der Österreichischen Hochschülerschaft, der IG Autoren organisierte Diskussion statt, bei der auch der Film gezeigt wurde, was in der Presse heftige Kritik auslöste.[9]

Video-Veröffentlichung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf Video gab es deutsche Veröffentlichungen bei BMG/Ufa und dem Direktversand Zweitausendeins.

Im November 2008 erschienen fünf Filme von Herbert Achternbusch erstmals in Deutschland als DVD-Box. Darunter war auch Das Gespenst. Das DVD-Label Pierrot Le Fou legte der FSK den Film für die Veröffentlichung erneut vor. Der Film erhielt nach der Prüfung die neue Altersfreigabe FSK 12. Im August 2010 erschien der Film auch als Einzel-DVD.

Kritiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Thomas Kramer (Hrsg.): Reclams Lexikon des deutschen Films Reclam, Stuttgart 1995: „Einem mit Achternbuschs locker aneinandergereihten, irrwitzigen Clownereien nicht vertrauten Zuschauer wird ein gewisses Maß an Toleranz abverlangt, sich nicht aus dem unorthodoxen Durcheinander auszuklinken.“

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Herbert Achternbusch: Das Gespenst: Filmbuch. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1983, DNB 830906886.
  • Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe! Filmzensur in Westdeutschland 1949–1990. Wallstein, Göttingen 2010, ISBN 978-3-8353-0638-7.
  • Thomas Kramer (Hrsg.): Reclams Lexikon des deutschen Films. Reclam, Stuttgart 1995, ISBN 3-15-010410-6.
  • Stefan Volk: Skandalfilme. Cineastische Aufreger gestern und heute. Schüren, Marburg 2011, ISBN 978-3-89472-562-4.
  • Herbert Achternbusch: Das Gespenst. In: Thomas Koebner unter Mitarbeit von Kernstin-Luise Neumann (Hrsg.): Filmklassiker. (= Reclams Universal-Bibliothek. Nr. 9419). Reclam, Stuttgart 1995, ISBN 3-15-009419-4, S. 52–54.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe! 2010, S. 329.
  2. Jürgen Kniep: Keine Jugendfreigabe! 2010, S. 329–330.
  3. Stefan Volk: Skandalfilme. 2011, S. 219.
  4. Thomas Kramer (Hrsg.): Reclams Lexikon des deutschen Films. 1995, S. 119.
  5. a b Stefan Volk: Skandalfilme. 2011, S. 220.
  6. Stefan Volk: Skandalfilme. 2011, S. 220f.
  7. Der Spiegel vom 9. Mai 1983.
  8. Mittagsjournal 1984.01.16. Abgerufen am 20. Februar 2023.
  9. Inlandspresseschau im Ö1-Mittagsjournal vom 18.01.1984. Abgerufen am 20. Februar 2023.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
April
1984
, Seite 40
Autor/inn/en:

Günther Anders:

Günther Anders wurde am 12. Juli 1902 in Breslau geboren. Nach dem Studium der Philosophie 1924 Promotion bei Husserl. Danach gleichzeitig philosophische, journalistische und belletristische Arbeit in Paris und Berlin. 1933 Emigration nach Paris, 1936 nach Amerika. Dort viele „odd jobs“, unter anderem Fabrikarbeit, aus deren Analyse sich später sein Hauptwerk ‚Die Antiquiertheit des Menschen‘ ergab. Ab 1945 Versuch, auf die atomare Situation angemessen zu reagieren. Mitinitiator der internationalen Anti-Atombewegung. 1958 Besuch von Hiroshima. 1959 Briefwechsel mit dem Hiroshima—Piloten Claude Eatherly. Stark engagiert in der Bekämpfung des Vietnamkrieges. — Auszeichnungen: 1936 Novellenpreis der Emigration, Amsterdam; 1962 Premio Omegna (der ,Resistanza Italiana‘); 1967 Kritikerpreis; 1978 Literaturpreis der ‚Bayerischen Akademie der Schönen Künste‘; 1979 Österreichischer Saatspreis für Kulturpublizistik; 1980 Preis für Kulturpublizistik der Stadt Wien; 1983 Theodor W. Adorno-Preis der Stadt Frankfurt; 1992 Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Günther Anders starb am 17.12.1992 in Wien.

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