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Peter Bierl

Bombardiert das deutsche Hauptquartier

Der nachfolgende Text entstand im März 1999 als Aufmacher für die Zeitschrift ÖkoLinX, Heft 30, die leider nicht erschien.

Jugoslawien wird, wie der NATO-Oberkommandierende General Wesley Clark formulierte, systematisch angegriffen und verwüstet. Die Bomben der westlichen Wertegemeinschaft treffen Heizkraftwerke und Schulen, Krankenhäuser und Flüchtlingslager. Der Luftangriff ist ein Etappensieg deutschen Großmachtstrebens. Deutschland unterstützt die nationalistische UCK, die für ein „Großalbanien“ kämpft und — wie die serbischen Repressionsorgane — ZivilistInnen massakrierte, um das Eingreifen der NATO zu provozieren. Deutschland favorisiert Spaltung und Separatismus statt wie die anderen NATO-Staaten eine Autonomie des Kosovo innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien. Der Kosovo ist wie zuvor Kroatien und Bosnien ein weiterer Kriegsschauplatz auf dem verfeindete nationalistische Banden wehrlose ZivilistInnen massakrieren, vor allem aber die USA und Deutschland miteinander um Einfluß ringen. Deshalb gilt auch für den dritten deutschen Krieg gegen Jugoslawien in diesem Jahrhundert: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“ Eine Antikriegsbewegung muß zuallererst die KriegstreiberInnen der rosa-grünen Regierung bekämpfen.

Knapp hundert Jahre ist es her, daß die westliche Wertegemeinschaft China überfiel. Die Deutschen stellten das größte Kontingent, die vereinigten Streitkräfte der imperialistischen Räuber standen unter dem Kommando eines deutschen Generals. Die deutschen Soldaten zeichneten sich durch besondere Brutalität gegenüber wehrlosen Zivilisten aus. „The Germans to the Front“ hieß damals die Parole. Die Metzeleien wurde als Strafaktion im Namen westlicher Kultur gerechtfertigt, erlogene Berichte über die Ermordung aller Ausländer in Peking durch aufständische Chinesen boten den Anlaß für eine Intervention, die heute von KriegstreiberInnen als humanitär etikettiert würde. Tatsächlich ging es den beteiligten westlichen Staaten, die untereinander um die Aufteilung der Welt rangen, darum, Einflußsphären abzustecken. Deutschland sicherte sich im Kampf um einen „Platz an der Sonne“ die kleine Kolonie Jiaozhou.

Fast hundert Jahre später attackiert die westliche Wertegemeinschaft wiederum gemeinsam ein Land, diesmal Jugoslawien. Legitimiert wird der NATO-Überfall mit dem Schutz der Menschenrechte, weshalb ein Staat wie die Türkei, dessen Führung aus international anerkannten Menschenrechtsexperten besteht, offiziell 16 Kampfflugzeuge zu der Strafexpedition beisteuert. Tatsächlich geht es auch in diesem Krieg um Macht- und Einflußsphären in Osteuropa sowie um den Zugang zu den Rohstoffen in Südosteuropa und in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion am Schwarzen und am Kaspischen Meer. Der Vertragsentwurf von Rambouillet enthielt bereits eine Passage, die ganz Jugoslawien — nicht nur den Kosovo — zum Besatzungsgebiet der NATO gemacht hätte. [1]

Ein Kriegsgewinner steht schon fest, das Kapital der Rüstungsindustrie: „Kauf’, wenn Kanonen donnern, verkauf’ bei Geigenspiel.“ Die Aktien des Raketenproduzent Raytheon (Tomahawk, Stückpreis: 1 Million Dollar) sind um drei Prozent gestiegen, die der Kriegsschiffswerft General Dynamics um plus 4,9 Prozent, von Boeing um plus 1,8 Prozent. [2]

(...) a.) Gegner Deutschlands ist ausschließlich die serbische Regierung ..., die ... den Kampf gegen Deutschland entfesselt hat. b.) Da die Serben gegenüber den nichtserbischen Volksgruppen Jugoslawiens, vor allem gegenüber den Kroaten und Mazedoniern, stets eine rücksichtslose Diktatur ausübten, ist ihnen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, dass die deutsche Wehrmacht zu den Kroaten, Bosniern und Mazedoniern nicht als Feind ins Land kommt. Sie will sie vielmehr davor bewahren, von den serbischen Chauvinisten... hingeschlachtet zu werden.

(aus: „Richtlinien für die Behandlung von Fragen der Propaganda gegen Jugoslawien“, Berlin 28.3.1941, in: Andreas Meurer, Hardy Vollmer, Hunno Hochberger, Die Intervention der BRD in den jugoslawischen Bürgerkrieg, Köln/Essen, 1992, S.42)

Knapp hundert Jahre nach dem Überfall auf China und fast sechzig Jahre nachdem die Nazi-Wehrmacht Belgrad in Schutt und Asche legte, sind die Deutschen wieder an der Front. Bei der ersten Angriffswelle flogen deutsche Tornados vorneweg. Die Logik der BRD-Kriegspolitik folgt zwar dem alten Motto „Serbien muß sterbien“, die Propaganda beharrt indes auf „humanitären“ Einsätzen und spricht von „Bomben für den Frieden“. Dabei war insbesondere die US-Regierung gewarnt: Der CIA-Direktor George Tenet und hohe Militärs sagten Präsident Clinton voraus, daß Luftangriffe eine massenhafte Vertreibung der Zivilbevölkerung auslösen würden. [3] Die brutale sogenannte „ethnische Säuberung“, die serbische Polizisten und Todesschwadrone exekutieren, wurde billigend in Kauf genommen.

Das Flüchtlingselend bietet Material für die Kriegspropaganda. Deutsche PolitikerInnen, die jetzt das Los der Menschen im Kosovo beklagen, haben noch bis vor einigen Wochen AlbanerInnen pauschal als Drogenmafia und Kriminelle diffamiert und ihnen Asyl verweigert. Das deutsche Außenministerium rechtfertigte Deportationen ganzer Familien mit dem Hinweis, die Gefahr staatlicher Repressionen sei „gering einzuschätzen“. Jetzt sagt der olivgrüne Kriegstreiber Josef Fischer, die jugoslawischen Repressionsorgane hätten schon im März 1998 eine „Politik der verbrannten Erde“ begonnen. [4] Kosovo-AlbanerInnen wurden (und werden bald wieder) in den bürgerlichen Medien in rassistischer Manier als eine Art Heuschreckenplage dargestellt, ein Fall für den NATO-Partner Italien, dessen Kriegsschiffe und Polizei die Flüchtlinge von der Festung Europa fernhalten.

Eine Spezialität der deutschen Propaganda ist der falsche Bezug auf die NS-Verbrechen. Außenminister Josef Fischer bezeichnet die Vertreibungen als „nur von den Nationalsozialisten und Stalin gekannte Deportationen eines ganzen Volkes“. [5] Er rechtfertigte den NATO-Angriff mit dem Satz: „Ich habe nicht nur gelernt, ‚nie wieder Krieg‘, sondern auch ‚nie wieder Auschwitz‘“. [6] Sein Staatsminister Ludger Volmer (Olivgrün) plappert über „eine Politik, die mit vielen Kategorien der Nazi-Politik zu vergleichen ist“. [7] Selbst der PDS-Promi Stefan Heym rechtfertigt den NATO-Angriff, indem er den jugoslawischen Präsidenten Milosevic mit Hitler vergleicht: „Wenn man zur Zeit von München den Hitler angegriffen hätte, dann wäre der ganze Zweite Weltkrieg nicht passiert.“ [8] Milosevic ist ein übler Machtpolitiker und Verbrecher, dessen nationalistische Politik in der Tradition der Tschetniks steht, aber ein zweiter Hitler ist er nicht.

Kriegsminister Rudolf Scharping (SPD) halluzinierte eine „systematische Ausrottung, die an das erinnert, was zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im deutschen Namen angerichtet worden ist, zum Beispiel in Polen“. Er sprach von „starken Hinweisen auf im Kosovo eingerichtete Konzentrationslager“ [9] und behauptete, das Stadion von Pristina sei ein solches Lager, in dem zehn- bis zwanzigtausend Menschen interniert seien. Beweise ist Scharping dafür bisher schuldig geblieben. Bilder von Spionagedrohnen der Bundeswehr zeigten, daß das Stadion leer ist. [10] Scharping, Fischer und die anderen KriegstreiberInnen und MenschenrechtsheuchlerInnen verharmlosen mit diesen unzutreffenden Vergleichen die deutschen Verbrechen. Sie instrumentalisieren die Opfer des Nationalsozialismus für den ersten Krieg nach 1945, der wieder von deutschem Boden ausgeht.

Die Umstände haben mich gezwungen, jahrzehntelang fast nur vom Frieden zu reden. Nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten war es mir möglich, dem deutschen Volk Stück für Stück die Freiheit zu erringen und die Rüstung zu geben, die immer wieder für den nächsten Schritt die Voraussetzung war.

(Adolf Hitler am 10.11.1938 vor der deutschen Presse, in: Andreas Meurer, Hardy Vollmer, Hunno Hochberger, Die Intervention der BRD in den jugoslawischen Bürgerkrieg, Köln/Essen, 1992, S.43)

Sie mißbrauchen die Toten von Auschwitz für einen schmutzigen Krieg, einen Krieg, der unter dem Deckmantel der Humanität geführt wird. Tatsächlich ringen die USA und Deutschland, die „partner in leadership“ in der NATO, um Macht und Einfluß. Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig, wie viele zutreffend kritisieren, und insofern ein Präzedenzfall: Die NATO oder die WEU könnten demnächst auch ein Land angreifen, in dem sich eine Befreiungsbewegung durchgesetzt hat. Andererseits ist Recht der Ausdruck von Macht und Völkerrecht drückt internationale Machtverhältnisse aus. Die imperialistischen Führungsmächte haben keinen Widerpart mehr wie früher die Sowjetunion, sie können sich wieder auf die innerimperialistische Hackordnung konzentrieren.

Dabei muß Deutschland aufgrund des NS-Faschismus seine Weltmachtambitionen vorerst noch im NATO- oder im europäischen Tarnanzug vorantreiben. Der Krieg ist insofern ein Erfolg des deutschen Imperialismus, als erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges deutsche Truppen wieder aktiv morden dürfen, demnächst vielleicht sogar mit Bodentruppen, und das in einem Land, das bereits zweimal in diesem Jahrhundert Opfer deutscher Invasionen war. Die Nazi-Wehrmacht und ihre „volksdeutschen“, kroatischen, bosnisch-muslimischen und serbischen Hilfstruppen ermordeten hunderttausende von wehrlosen ZivilistInnen, vorzugsweise JüdInnen, Sinti und Roma und KommunistInnen, sowie Angehörige der jeweiligen Minderheiten. Im Kosovo, der 1941 von Truppen des faschistischen Italien besetzt und formell mit Albanien vereinigt wurde, fand die Naziwehrmacht willige Kollaborateure. Wehrmacht und nationalistische Kosovo-Albaner kämpften gemeinsam gegen die PartisanInnen und massakrierten ZivilistInnen. [11]

Die aktuelle Vertreibung der Zivilbevölkerung und die Massaker sind in der Tat schwere Verbrechen, der Vergleich mit dem Holocaust ist dennoch falsch: Eine planmäßige physische Vernichtung der Kosovo-AlbanerInnen gibt es ebensowenig wie Vernichtungslager. Die jugoslawischen Repressionsorgane agieren wie die US-Truppen in Vietnam, die französische Armee in Algerien oder die türkische Armee im Südosten der Türkei: Die ZivilistInnen werden vertrieben, mit Massakern und Vergewaltigung terrorisiert, um die Guerilla zu isolieren und zu besiegen. Verantwortlich für das Leiden der Zivilbevölkerung sind sowohl die serbischen Nationalisten als auch die UCK-Terroristen, hinter denen wiederum die Bundesregierung steht, sowie die NATO, die mit ihrem Angriff die Vertreibung ausgelöst hat.

Abgesehen von den Menschenrechtsverletzungen, die die serbischen Nationalisten tatsächlich zu verantworten haben, gibt es jede Menge von Berichten, die der Desinformation dienen. Schon die Bezeichnung Milosevics als Diktator ist falsch: Bei den letzten serbischen Parlamentswahlen gewannen die Parteien, die ihn stützen, 110 von 250 Sitzen, der Tschetnik Vojislav Seselj wurde Vize-Premier Serbiens und Vuk Draskovic Vizepremier Jugoslawiens. Das Land wird also demokratisch von einer Koalition nationalistischer Parteien regiert. [12] Gerüchte in den ersten Kriegstagen, der gewählte Präsident des Kosovo, Ibrahim Rugova, sei von den Serben ermordet worden, erwiesen sich ebenso als falsch wie die angebliche Liquidierung anderer albanischer Führer, die hierzulande flugs mit dem systematischen Mord an polnischen Intellektuellen durch die Nazis verglichen wurde. [13]

Die ständige Gleichsetzung mit dem NS-Faschismus ist nicht nur ein Trick. Sie ist eine Projektion der deutschen Verbrechen, deren Ausmaß und Ursachen hierzulande immer noch geleugnet werden und für die bis heute die Verantwortung abgelehnt wird. So sind bis heute 35 Kasernen der „Friedensbewegung“ Bundeswehr nach verbrecherischen Wehrmachtsgenerälen benannt und Bundeskanzler Gerhard Schröder lehnt es ab, sie umzubenennen. Die SPD-Grünen-Regierung verzögert wie ihre Vorgängerinnen eine Entschädigung der SklavenarbeiterInnen, die den Terror der Nazis und der deutschen Industrie überlebt haben, wohl wissend, daß sich die Entschädigungsfrage biologisch erledigt. Deshalb ist jetzt die US-Regierung eingesprungen und zahlt insgesamt 25 Milliarden Dollar an Holocaust-Überlebende in Osteuropa aus. [14]

Bezeichnend ist auch, daß gerade in Deutschland nur vom serbischen Terror die Rede ist. Tatsächlich massakriert die UCK ebenfalls ZivilistInnen und nimmt in den von ihr kontrollierten Gebieten sogenannte „ethnische Säuberungen“ vor, wie UN-Generalsekretär Kofi Annan im Oktober 1998 berichtete. So wurden zum Beispiel in dem Dorf Zocite Häuser zerstört und drei Massengräber mit serbischen Leichen entdeckt. Bezeichnend für den völkisch-rassistischen Charakter der UCK sind Berichte von Human Rights Watch, wonach deren Kommandos nicht nur SerbInnen entführten, massakrierten und aus ihren Dörfern vertrieben, sondern auch Roma, denen selbst die übelste westliche Propaganda nicht nachsagt, sie würden sich an AlbanerInnen vergehen. [15]

Mit deutscher Hilfe avancierte die UCK zur derzeit erfolgreichsten nationalistischen Bewegung, dabei ist sie nicht anderes als eine bewaffnete Bande. Die Strategie der UCK bzw. ihrer deutschen Schutzmacht ist aufgegangen: Die NATO bombt den Separatstaat Kosovo herbei, Jugoslawien wird weiter zerstückelt. Unter den Kosovo-AlbanerInnen dominieren heute die UCK und andere VerfechterInnen eines „Großalbanien“. [16] Die UCK begann 1996 mit Bomben gegen Polizeistationen und Lager für serbische Flüchtlinge, die zwangsweise in den Kosovo gebracht worden waren. Die UCK ermordete Dutzende von Polizisten und Soldaten sowie Menschen, die sie als „Kollaborateure“ bezeichnete. [17]

Die UCK-Aktionen wären als Reaktion auf die Repression der serbischen Polizei, die auch AnhängerInnen einer Teilrepubliks-Lösung verhaftete, folterte und ermordete, verständlich. Doch die UCK ist keine Befreiungsbewegung. Sie kooperiert mit der Demokratischen Partei Albaniens, die den Norden des Nachbarlandes beherrscht, und sie finanziert sich zum Teil aus dem Drogenhandel. Die UCK ist gegen jede Autonomielösung. Die von den US-Vermittlern Richard Holbrooke und Christopher Hill vorgeschlagene sowie zwischen Milosevic und Rugova im Mai 1998 ausgehandelte Version (eigenes Parlament, Polizei, Regierung, Rückkehr aller Flüchtlinge), lehnt die Truppe ab. [18] Die meisten Gruppen, nicht nur die UCK, forderten schon vor den Verhandlungen in Rambouillet die Unabhängigkeit. Die albanische Delegation weigerte sich deshalb anfänglich, das Abkommen zu unterzeichnen, die UCK wollte keinesfalls die Waffen abgeben. Anfang März resümierte Der Spiegel: „Serben wie Albaner blockieren die Friedensverhandlungen von Rambouillet.“ [19] Erst als sich die Chance ergab, der serbischen Seite den schwarzen Peter zuzuschieben, unterschrieben die albanischen Vertreter, was der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger so kommentierte: „Die haben den Vertrag von Rambouillet nur unterschrieben, um die NATO zu Luftangriffen zu bewegen.“ [20]

Ziel der UCK ist ein Großalbanien, das Teile der Republik Mazedonien und der Republik Montenegro umfassen soll. Seit Dezember 1997 ist die UCK deshalb auch auf mazedonischem Gebiet aktiv, bombardierte Justizgebäude, Rathäuser und Polizeistationen und attackierte sogenannte „Kollaborateure“. Am 21.Juni 1998 verübten die nationalistischen Terroristen einen Anschlag auf den Budapest-Athen-Expreß. Im UCK-Kommunique Nr.42 vom 7. Januar 1998 heißt es ausdrücklich, der Krieg werde auf die „Zone 2“, das heißt Mazedonien, ausgedehnt. Die Aktionen im Nachbarland Mazedonien beweisen wie die rassistischen Aktionen gegen Roma im Kosovo, daß die UCK nicht bloß auf Repression reagiert. Sie ist eine terroristische, völkisch-nationalistische bewaffnete Bande, die wie alle Organisationen dieser Art zerschlagen werden muß. In Mazedonien sind seit der Unabhängigkeit Parteien in der Regierung vertreten, die jene BürgerInnen vertreten, die sich als AlbanerInnen verstehen. Die albanische Minderheit genießt alle bürgerlichen Rechte und ein besonderer Status ist in der Verfassung anerkannt. Den Separatisten genügt das nicht: Als politischer Arm der UCK existiert in Mazedonien eine eigene Parteie sowie eine „Freie Albanische Universität“. Diese Gruppe fordert, die Republik Mazedonien in eine „Föderation“ zu zerlegen und läßt albanische Flaggen in von ihr kontrollierten Kommunen hissen. Die UCK unterhält Stützpunkte im Westen Mazedoniens, ebenso wie im Norden Albaniens. [21] Dort errichteten UCK-Kommandos nach dem Beginn der NATO-Luftangriffe Straßensperren, kontrollieren Flüchtlingskonvois und sieben junge Männer aus, die als Kämpfer in den Kosovo zurückgeschickt werden, auch gegen ihren Willen oder den Protest von Angehörigen. [22]

Die Strategie der UCK ist, durch Terror die Region zu destabilisieren, unterstützt wird sie dabei von der BRD, die ihren Einfluß ausweiten will. Berichten zufolge war der BND bei Aufbau und Bewaffnung der UCK beteiligt, die Organisation kann in der BRD offen agieren, Gelder sammeln und Rekruten anwerben. [23] Die Zeitung The European berichtete im September 1997, der deutsche zivile und militärische Geheimdienst sei in die Ausbildung und Bewaffnung der UCK verwickelt. BND-Agenten arbeiteten eng mit dem albanischem Geheimdienst Shik zusammen und suchten Leute für die UCK-Kommandostruktur. Auch in der Fernsehsendung Monitor wurde über deutsche Kontakte zum albanischem Geheimdienst berichtet. [24] Außerdem profitierte die UCK von Militärgerät im Wert von zwei Millionen Mark, das die Bundesrepublik an Albanien geliefert hat: Beim Aufstand wegen der „Pyramiden-Gesellschaften“ 1997 wurden die Armeebestände geleert, ein Teil ging an die UCK. [25]

Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und diese ausweiten.

(Helmut Kohl vor dem deutschen Bundestag, 1991)

Das US-Interesse ist dagegen die Stabilität der Region, um die NATO-Südflanke zu sichern. Bis vor dem NATO-Angriff auf Jugoslawien favorisierte die US-Diplomatie deshalb eine Autonomielösung gegen die UCK und auch gegen Deutschland. Der damalige Kriegsminister Volker Rühe (CDU) setzte bei der NATO Planungen für Attacken mit Luftwaffe und Bodentruppen durch, widersprach jedoch als US-Vermittler Holbroke und NATO-Oberkommandierender Wesley Clark eine Stationierung von Truppen in Albanien und Mazedonien vorschlugen, um den Waffenschmuggel zu unterbinden, der der UCK zugute kommt. Rühe entgegnete im Mai 1998, die Bundeswehr stehe nicht zur Verfügung für Einsätze „die in ihrer Wirkung darauf hinauslaufen, das serbische Unterdrückungssystem gegen die Kosovo-Albaner zu unterstützen.“ Die BRD konnte sich mit dieser pro UCK-Position nicht durchsetzen. Am 28. Mai 1998 beschlossen die NATO-Außenminister, man strebe eine Lösung des Kosovo-Konflikts bei territorialer Unversehrtheit Jugoslawiens an und wolle Albanien und Mazedonien bei der Grenzsicherung unterstützen. [26]

Die Legende vom sauberen Krieg der NATO ist ebenfalls Desinformation. Tatsächlich gibt es eine Fülle von Berichten, das die NATO-Bomben immer wieder Wohnhäuser, Bauernhöfe und andere zivile Objekte treffen. Bereits nach der ersten Bombennacht, die die UCK ausnutzte, um Armee und Polizei im Kosovo anzugreifen, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters aus Pristina, dort seien albanische Cafes, Geschäfte und eine Privatklinik getroffen worden. „Trümmer einer Klinikeinrichtung liegen auf der Straße verstreut.“ In einigen Vierteln sei die Wasserversorgung unterbrochen und Telefonleitungen beschädigt. [27] Die Hilfsorganisation Care-Australia berichtete, daß NATO-Bomben zwei Flüchtlingslager mit Kindern und älteren Frauen bei Nis beschädigt haben. [28]

Selbstverständlich interessiert die Kriegstreiber im Westen das Elend serbischer Flüchtlinge aus der Kosovo-Provinz, die von den NATO-Bomben oder der UCK verjagt werden, nicht. Warum auch: 1995 ermöglichte der NATO-Luftschlag gegen Serbien der kroatischen Armee den „Blitzkrieg“ in der Krajina, rund 300.000 SerbInnen wurden vertrieben, einige tausend Menschen ermordet. Ein Bombardement Zagrebs wurde natürlich nicht erwogen. Mit Billigung der US-Regierung lieferten islamische Staaten, darunter der Iran, entgegen dem UN-Waffenembargo, Waffen an die bosnische Regierung. Drei Monate nach dem Dayton-Friedensabkommen vertrieben muslimische Milizen mit Terror und Gewalt etwa 120.000 SerbInnen aus Sarajewo. Beteiligt waren einige tausend islamische Mudschaheddin, „Freiheitskämpfer“, die dem „freien“ Westen schon in Afghanistan halfen, die Menschenrechte so nachhaltig zu sichern, daß heute dort die mittelalterliche Scharia gilt und Frauen der Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung verwehrt wird. [29]

Der NATO-Angriffskrieg hat das von US-Militärs prognostizierte Flüchtlingselend ausgelöst, das die deutschen Innenminister insofern beschäftigt, als man diese Menschen von der deutschen Grenze möglichst fern halten möchte. Solange sie in Mazedonien und Albanien bleiben, sind sie Material für die Kriegspropaganda der NATO und sorgen durch ihre schiere Existenz für eine destabile Situation. Ihr Elend soll NATO-Protektorate rechtfertigen und möglicherweise die nächste Eskalationsstufe, die Invasion mit NATO-Bodentruppen, die zur Zeit offen diskutiert und vorbereitet wird. Kriegstreiber wie der grüne Bundestagsabgeordnete Helmut Lippelt oder der Schriftsteller Günter Grass [30] fordern seit Beginn des Krieges Bodentruppen. Die NATO ist, wie Clinton sagte, „auf einen sehr langen Kampf eingestellt.“ [31] Oder in den Worten von General Wesley Clark, NATO-Oberkommandierender: „Wir werden systematisch und mit steigender Intensität angreifen, spalten, demütigen, verwüsten und schließlich, bis Präsident Milosevic den Forderungen der Internationalen Gemeinschaft nachkommt, werden wir seine Streitkräfte zerstören.“ [32]

Ganz Südosteuropa ist kulturelles Kolonialland vor unseren Toren.

(Gerhard v. Mutius, 1915, enger Mitarbeiter von Reichskanzler Bethmann Hollweg, zit. bei Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht, S.213)

Der Krieg im Kosovo ist ein Etappensieg der deutschen Außenpolitik. Seit der Warschauer Pakt und die Sowjetunion als Gegengewicht verschwunden sind, hat der deutsche Imperialismus die Expansion in Richtung Südosten — eine Konstante deutscher Politik seit den Tagen der Bagdad-Bahn — wiederaufgenommen. Heute beherrscht die BRD ökonomisch die meisten Staaten Osteuropas: Polen, Ungarn, die tschechische und die slowakische Republik, die baltischen Staaten, die Ukraine, Slowenien und Kroatien, alle wickeln den größten Teil ihres Handels mit deutschen Unternehmen ab. Die Ökonomien dieser Länder sind abhängig von deutschen Banken, deutsche Konzerne beherrschen strategische Sektoren wie die Autoindustrie und die Energiegewinnung, sie profitieren von billigen Rohstoffen aus Rußland, von landwirtschaftlichen Produkten und billig produzierter industrieller Massenware. Osteuropa wird zum deutschen Hinterhof, während die Masse der Menschen in Armut und Elend versinkt.

Das Ziel Deutschlands ist seit einhundert Jahren die Herrschaft über Europa und eine arbeitsteilig gegliederte Großraumwirtschaft. Eine wichtige Etappe dabei war und ist die Kontrolle Südosteuropas. Das angestrebte Verhältnis zwischen Deutschland und den anderen europäischen Staaten wurde während der NS-Zeit mit den Begriffen „Führerland“ und „Gefolgschaftsländern“ umschrieben, die „Gefolgschaftsländer“ sollten Rohstoffe, Lebensmittel und Vorprodukte liefern und das „Führerland“ hochwertige Industrieprodukte. Die Unternehmensberater Roland & Berger formulieren das gleiche Ausbeutungsverhältnis heute so: „Unsere Zukunft als Industrieland ist die eines Systemkopfes, aber nicht die eines Herstellers von Profilstahl und eines Hemdennähers.“ [33]

Um Ost- und Südosteuropa politisch zu dominieren verfolgt die deutsche Außenpolitik eine altbewährte Strategie: Die deutsche Regierung fördert nationalistische Gruppen, um bestehende Staaten zu destabilisieren, bis sie sich in leichter beherrschbare Kleinstaaten aufspalten. [34] Instrumente dieser Außenpolitik und aus Bundesmitteln gesponsert werden unter anderem die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) sowie das Europäische Zentrum für Minderheitenfragen (EZM) gegründet. Die FUEV zählt 84 Mitgliedsorganisationen und behauptet, über 100 Millionen Menschen in Europa seien Angehörige von Minderheiten. Der Volksgruppen-Dachverband verfügt über Kontakte ins rechtsextreme und separatistische Lager in ganz Europa. 1995 veranstaltete die FUEV den 41. „Volksgruppen“-Kongreß in Timisoara, staatlich finanziert und vorbereitet von der Mitgliedsorganisation „Deutsche im Banat“. Weil diese Truppe zu klein ist, entschied die FUEV „die ungarische Volksgruppe als Wellenbrecher auch für andere“ in Rumänien einzusetzen. EZM-Vorstandsmitglied Rainer Hofmann meint, ethnische Volksgruppen besitzen eine „Selbstbestimmungrecht“ gegen Assimilation, weshalb auch Gewalt und Sezession zulässig seien. Hofmann, von Bundes- und Landesregierung „gemeinsam in den Vorstand berufen“, publizierte 1994 einen Band über „Volksgruppen- und Minderheitenschutzrecht“ zusammen mit den rechtsextremen Publizisten Dieter Blumenwitz und Dietrich Murswiek. EZM-Direktor Stefan Troebst „entdeckte“ 1992/93 im Auftrag der Bundesregierung im griechischen Grenzgebiet eine „Albanische Frage“. Dort lebten angeblich „albanische Minderheiten“, deren Lage „noch als erträglich bezeichnet werden kann“. Die griechische Botschaft protestierte gegen das Treiben von Troebst und warf ihm vor, die Grenzen infragezustellen.

Die deutsche Politik hat insofern den Bürgerkrieg in Jugoslawien mit ausgelöst, als Deutschland und Österreich Ende 1991 die Separatistenstaaten Slowenien und Kroatien anerkannten, trotz heftiger internationaler Kritik. Selbst der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt spricht deshalb heute von einer deutschen Mitschuld am „Chaos auf dem Balkan“ und bezeichnet die frühe Anerkennung von Slowenien und Kroatien, „voreilig und falsch“. [35] Die deutschen Satelliten auf dem Balkan bekamen auch gleich Waffenhilfe: Unter anderem 60 Panzer aus der BRD und Raketen aus Österreich. Verantwortlich für die Waffenhilfe an Kroatien war unter anderem der deutsche Geheimdienst BND, der auch für die UCK-Terroristen sorgt. Osteuropa ist das wichtigste Betätigungsfeld des BND, am offensivsten ist der Dienst bisher in Ex-Jugoslawien, die Geheimdienste Kroatiens gelten als „Pullacher Filialen“. [36] Auch die Geheimdienst-Kooperation hat Nazi-Tradition: Der BND ist hervorgegangen aus der „Abteilung Fremde Heere Ost“, dem Ost-Geheimdienst der Wehrmacht. Eine wesentliche Informationsquelle dieser Abteilung war die massenhafte Folterung sowjetischer Kriegsgefangener, beim Aufbau des BND waren SS und SD-Leute aktiv, der Chef der Abteilung, Reinhard Gehlen, leitete bis 1968 den BND.

Die deutsche Expansionspolitik bedient sich traditioneller Instrumente, der völkischen Argumentation der „nationalen Selbstbestimmung“ und der alten Verbündeten auf dem Balkan. Sie nutzte und verschärfte die Widersprüche, die sich in Jugoslawien seit den 60er Jahren entwickelten, als die politische Führung sich entschloß, die Anbindung an den kapitalistischen Weltmarkt zu verstärken. Infolgedessen war der, auch von einem Teil der deutschen Linken bejubelte, jugoslawische sogenannte Selbstverwaltungssozialismus spätestens Ende der 70er Jahre am Ende. Tatsächlich hatte das jugoslawische System mit Sozialismus wenig zu tun, sondern förderte seperatistische Tendenzen, indem es Betriebe und Teilrepubliken in Konkurrenz zueinander brachte. Der Streit zwischen den rohstoffreichen Gebieten des Südens wie Mazedonien und Kosovo und den industrialisierten Republiken Kroatien und Slowenien um Preise und finanziellen Transfers geht bis auf die 60er Jahre zurück.

Die ökonomische Kluft zwischen Norden und Süden der Föderativen Sozialistischen Republik verstärkte sich in dem Maß, wie das Land mit dem kapitalistischen Westen paktierte. Der sogenannte „Dritte Weg“ zwischen Ost und West funktionierte nur wenige Jahre insofern, als die Wachstumsraten der jugoslawischen Wirtschaft stiegen und der allgemeine Lebensstandard sich erhöhte. Dazu gehörte, daß jugoslawische ArbeiterInnen die Reisefreiheit genossen, ihre Arbeitskraft im Westen ausbeuten zu lassen, und ebenso Devisen einbrachten, wie die Neckermann-Invasion an der Adria.

Nach dem Bruch mit Stalin 1948 wandte sich das jugoslawische Regime dem Westen zu, bekam Kredite und schloß Handelsverträge ab, die USA leisteten Waffen- und Militärhilfe. Eine politische Gegenleistung war, daß das Tito-Regime seine Hilfe für die griechische Befreiungsbewegung einstellte, was zu deren Niederlage beitrug. Die Orientierung auf den kapitalistischen Markt führte in Jugoslawien schon ab 1965 zu einer „Atomisierung der Wirtschaft“, die Differenzen zwischen den Republiken verstärkten sich. [37] Jens Reuter, ein sogenannter Südosteuropa-Experte, der sich zur Zeit fast jeden Abend in der Glotze als Kriegstreiber betätigen darf, bilanzierte 1988 in der Beilage des Regierungsblattes Das Parlament den Zerfall der Föderation und klagte, der demokratische Zentralismus, ein Merkmal leninistischer Parteien, sei bereits „völlig ausgehöhlt“. [38]

Die Auslandsverschuldung stieg in den 70er Jahren kontinuierlich an und erreichte 1979 den Stand von 13,7 Milliarden Dollar. Allein von 1979 bis 1983 zahlt Jugoslawien rund 13,6 Mrd. Dollar an Zinsen und Schuldendienst, dennoch wuchsen die Schulden auf 18,5 Milliarden. Die jugoslawische Regierung reagierte auf das Diktat des Internationalen Währungsfonds (IWF) wie die Regimes im Trikont oder die Ceaucescu-Diktatur in Rumänien, nämlich mit sozialem Kahlschlag, der einen Großteil der Bevölkerung verarmen ließ. Nach offiziellen Angaben sank das Realeinkommen der Werktätigen von 1980 bis 1984 um 30 Prozent. 1983 wurde ein „Programm zur langfristigen Stabilisierung der jugoslawischen Wirtschaft“ aufgelegt, das beinhaltete, die letzten Reste des Selbstverwaltungssozialismus durch „Eigentumspluralismus“, Deregulierung und Privatisierung der Unternehmen zu beseitigen. Dazu kam 1989 eine Anbindung des Dinar an die DM, Import- und Preisliberalisierung sowie eine restriktive Geldpolitik. [39]

Die ökonomische Rivalität zwischen den Teilrepubliken drückte sich schon in den 60er Jahren ideologisch in nationalistischen Bewegungen aus. Der ehemalige General der Volksbefreiungsarmee, Historiker und heutige kroatische Präsident Franjo Tudjman wurde 1967 wegen Nationalismus aus der KP ausgeschlossen. In Serbien stellten Intellektuelle das titoistische Konzept zugunsten eines großserbischen Expansionismus infrage. Muslimische Nationalisten in Bosnien-Herzegowina forderten damals eine Aufwertung „ihrer“ Republik sowie der muslimischen Kultur. Extremisten wie Alija Izetbegovic, heute Präsident der Republik Bosnien-Herzegowina, propagierten einen islamischen Staat. In einer sogenannten „Islamischen Deklaration“ von 1983 formulierten Izetbegovic und andere eine grundsätzliche Absage an Moderne und westliche Zivilisation und propagierten eine umfassende islamische Gesellschaftsordnung. Die Verfasser der „Islamischen Deklaration“ verbrachten ebenso wie Tudjman wegen ihrer nationalen Wahnvorstellungen einige Jahre im Knast. [40]

Nun könnte man der jugoslawischen KP vorhalten, daß dies für nationale Überzeugungstäter eine offensichtlich zu milde Strafe war, gravierender ist, daß sowohl die ökonomische als auch die ideologische Linie der Partei die nationalen Tendenzen förderte. Als multinationale Befreiungsbewegung setzte sich die KP im Zweiten Weltkrieg gegen Naziwehrmacht und nationalistische Kollaborateure von der Ustascha bis zu den Tschetniks durch. Sie verfolgte allerdings keine antinationale Politik. Die titoistische Verfassungskonstruktion aus nationalen Teilrepubliken und Staatsnationen sollte nationale Unterdrückung verhindern und chauvinistische Ansprüche ausbalancieren. Diese Politik war schon insofern inkonsequent und willkürlich, als sie Gruppen, die sich als Ungarn oder Kosovo-Albaner verstanden, nicht als Staatsnationen aufnahm und damit innerhalb der multinationalen Logik diskriminierte. Vor allem aber zementierte diese Politik nationales Denken und fundierte entsprechende Forderungen. Der traditionslinke Ansatz der „Völkerfreundschaft“, in Jugoslawien unter der Losung „Bruderschaft und Einheit“, den die KP verfochten hat, ist historisch gescheitert. Es gibt keinen „guten“ Nationalismus, die revolutionäre Linke muß antinational sein.

Ende der 80er Jahre eskalierte die ökonomische Krise, die Inflation erreichte 200 Prozent, die Lohnarbeitslosigkeit war enorm. Das Durchschnittseinkommen war auf 250 Mark gesunken. Gegen die Sparpolitik der Regierungspolitik gab es 1988 und 1989 massenhafte Streiks mit 250.000 TeilnehmerInnen, dazu kamen passiver Widerstand, Sabotage und „Blaumachen“ in den Betrieben. Etwa 20.000 Mitgliedern traten aus der KP aus. In der Partei, die sich bereits in einen Interessenverband der akademischen gutsituierten Mittelschicht gewandelt hatte, setzte sich die nationalistische serbische Fraktion um Milosevic durch. [41] Damit dominierten in den Republiken Kroatien, Slowenien und Serbien Kräfte, die eine vollständige prokapitalistische Orientierung verfochten und die sozialen Konflikte und aufbrechenden Kämpfe mithilfe eines nationalistischen Kurses konterten, unterstützt vom jeweiligen Klerus, der die „nationale Wiedergeburt“ predigte.

Im Kosovo führte die serbische Polizei seit den Unruhen von 1981 eine Art Kolonialkrieg gegen die AlbanerInnen, die eine eigene Teilrepublik innerhalb Jugoslawiens forderten. Selbst Anfang der 90er Jahre wurden in diesem Sinn auf Demos in Pristina noch Tito-Bilder geschwenkt. 1989 initiiierte Milosevic eine Haßkampagne gegen die Albaner im Kosovo, die er mit einer Rede zum Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld einleitete. Ideologisch stützte er sich auf eine von Intellektuellen an der Belgrader Akademie der Wissenschaft entwickelte serbische Variante von Blut & Boden. Diese Wahnvorstellungen werden symbolisch verkörpert in bestimmten Klöstern, Schlachtfeldern und „heiligen“ Bergen, die vorzugsweise im Kosovo, der mythischen „Wiege der Serben“ liegen. Ökonomisch geht es um die reichen Rohstoffvorkommen, die im Kosovo liegen.

Während die Milosevic-Fraktion die Grundlage des jugoslawischen Staates umkrempelte, indem sie die Autonomie des Kosovo suspendierte, zerstörte die slowenische, inzwischen sozialdemokratisierte KP das politische Rückgrat der Föderation, indem sie im Februar 1990 aus dem jugoslawischen Kommunistischen Bund (BdKJ) austrat. Das Parteienbündnis Demos in Slowenien und die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) in Kroatien gewannen im gleichen Jahr in ihren Republiken die Oberhand und leiteten die Sezession ein. Die Teilrepubliken begannen einen offenen Wirtschaftskrieg untereinander, indem sie Sonderzölle und Sondersteuern erhoben.

Die EG, besonders Frankreich, Großbritannien und die Niederlande, die USA und die KSZE verfochten zu diesem Zeitpunkt noch den Erhalt des Bundesstaates, die BRD, Österreich und der Vatikan setzten auf Spaltung. Regierung und bürgerliche Medien in Deutschland argumentierten dabei völkisch und klagten ein „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ ein, was unter den gegebenen Bedingungen nur ein blutiges Gemetzel produzieren konnte. Die BRD, Österreich und der Vatikan protegierten dabei offen die alten Verbündeten aus der Nazizeit. Deutsche Politiker schürten insbesondere den Wohlstandchauvinismus in Slowenien und Kroatien, in dem sie diesen als Separatstaaten die erstrebte EG-Mitgliedschaft in Aussicht stellten. Das übrige Jugoslawien erschien in dieser Perspektive als Bremsklotz, als Ansammlung unnützer Esser. Nicht umsonst hatten slowenische und kroatische Politiker finanzielle Hilfe für die ärmeren Regionen des Südens vehement bekämpft.

Daß eine EG-Kommission den kroatischen Separatisten vorhielt, die Verfassung ihres Staatsgebildes würde Minderheiten ignorieren und SerbInnen zu Menschen zweiter Klasse degradieren, war deutschen PolitikerInnen egal. Eine solche rassistische Diskriminierung ist mit deutschem Blut-und-Boden-Denken kompatibel, die CDU/CSU hat mit ihrer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gerade bewiesen, daß sie die Diskriminierung von EinwanderInnen und ihrer Nachkommen aus rassistischen Gründen offensiv vertritt. Die Kooperation zwischen den Nachfolgern der Nazis und denen der Ustascha-Faschisten basiert nicht nur auf Tradition, sondern auf gemeinsamen Überzeugungen.

Für die Bürgerkriege in Jugoslawien und die NATO-Attacken gilt deshalb der alte Satz von Karl Liebknecht: „Der Feind steht im eigenen Land.“ Die Antikriegsbewegung und die radikale Linke muß die KriegstreiberInnen in Bonn bekämpfen sowie die NATO als Kriegsbündnis der imperialistischen Staaten. Die weitergehende Perspektive ist der Kampf gegen die nationale Standortlogik, der die kapitalistische Ausplünderung (nicht nur) Osteuropas, Militärinterventionen und nationalen Konsens beinhaltet. Dabei sind wir als radikale Linke nicht nur hierzulande eine marginale Größe, sondern auch in den Nachfolgestaaten des sozialistischen Jugoslawien. Es besteht derzeit wenig Aussicht, das sich dort eine radikale Bewegung entwickelt, die die dominanten Nationalisten und die imperialistischen Invasoren attackiert.

Unsere unmittelbare Aufgabe sind Aktionen gegen die verantwortlichen PolitikerInnen der SPD und Grünen sowie gegen die Instrumente der deutschen Außenpolitik, Bundeswehr, BND und Vereinigungen wie FUEV und EZM. Dazu gilt es, die rassistische Politik der nationalen Einheitsfront aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen zu bekämpfen: Offene Grenzen und Bleiberecht für alle Flüchtlinge, statt Abschiebeknast und Deportation. Wir sollten zum Beispiel jeden Joggingausflug von Außenminister Fischer nutzen, um unseren Protest gegen den Krieg und die rosa-grüne Flüchtlingspolitik auszudrücken.

[1vgl. taz, 12.4.99, Frankfurter Rundschau, 13.4.99

[2vgl. Süddeutsche Zeitung, 1./2.4.99

[3vgl. Time, 1.4.99, Washington Post, 5.4.99

[4vgl. Der Spiegel, 12.4.99, S.39

[5vgl. Reuters, 6.4.99

[6zit. SZ 8.4.99

[7zit. jungle World, 7.4.99

[8zit. junge Welt, 27./28.3.99

[9zit. Reuters, 31.3.99

[10vgl. Der Spiegel, 12.4.99

[11vgl. Enzyklopädie des Holocaust, Band 2, München-Zürich, S.717ff., Hrsg. der deutschen Ausgabe: Eberhard Jäckel, Peter Longerich, Julius Schoeps, Bundesarchiv, Hrsg., Europa unterm Hakenkreuz. Okkupation und Kollaboration, Erg.bd. 1, Berlin-Heidelberg, 1994, Bundesarchiv, Hrsg., Europa unterm Hakenkreuz. Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus in Jugoslawien, Griechenland, Albanien, Italien und Ungarn, Bd. 6, Berlin-Heidelberg, 1992 (Einleitung, S.18ff.), Walter Manoschek, Hans Safrian, 717./117.ID, Eine Infanteriedivision auf dem Balkan, in: Hannes Heer, Klaus Naumann, Hrsg., Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

[12vgl. SZ 8.4.99

[13BBC News, 31.3., SZ 7.4.99)

[14vgl. SZ 31.3.

[15vgl. Human Rights Watch, 1.4.99, Washington Post, 8.4.99

[16vgl. z.B. SZ 25.2.99

[17vgl. Der Spiegel, 21.12.98, Le Monde Diplomatique, April 1998

[18vgl. Le Monde Diplomatique, LDQ, November 1998

[19zit. Der Spiegel, 1.3.99

[20zit. nach jungle World, 7.4.99

[21vgl. LDQ, Januar 1999

[22vgl. SZ 1./2.4.99

[23vgl. SZ 6.4.99, Der Spiegel, 12.4.99

[24vgl. konkret, 3/1999, der BND ist ein Spezialistenteam, was Menschenrechte angeht: So wurde die Terrororganisation RENAMO in Mosambik, vom BND mitorganisiert, beispielsweise Angehörige in der Polizeischule Augsburg ausgebildet.

[25vgl. Der Spiegel, 21.12.98

[26vgl. Thomas Becker, Waffen lügen nicht, in: Bahamas, Nr.26, Sommer 1998

[27vgl. Reuters, 25.3.99

[28vgl. Reuters, 30.3.99

[29vgl. LDQ, November 1998

[30vgl. SZ, 3.-5.4.99

[31zit. SZ, 6.4.99

[32zit. US-Today, 25.3.1999

[33zit. in Der Spiegel Nr.18, 1992, in: Andreas Meurer, Hardy Vollmer, Hunno Hochberger, Die Intervention der BRD in den jugoslawischen Bürgerkrieg, Köln/Essen, 1992, S.32

[34vgl. zum folgenden Abschnitt Walter von Goldendach, Hans-Rüdiger Minow, Martin Rudig, Von Krieg zu Krieg. Die deutsche Außenpolitik und die ethnische Parzellierung Europas, Berlin, 1996

[35zit. SZ 3./5.4.1999

[36vgl. Saskia Henze, Johann Knigge, Stets zu Diensten. Der BND zwischen faschistischen Wurzeln und neuer Weltordnung, Hamburg/Münster, 1997, S.111

[37vgl. Liliana Djekovic, Der kurze Atem der Selbstverwaltung, in: Furkes/Schlarp, hrsg., Jugoslawien: Ein Staat zerfällt, Hamburg, 1991, S.134-164, in: ???, S.45ff.

[38vgl. Jens Reuter, Die politische Entwicklung Jugoslawiens, 1988, S.5

[39vgl. Liliana Djekovic, Der kurze Atem der Selbstverwaltung, a.a.O., Hans-Christian Iversen, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Jugoslawien, 1988, S.13ff., Hansgeorg Conert, Sozialistische Marktwirtschaft oder chaotische Autonomie, taz 23.11.1984, Kurzfassung eines Beitrages für die Zeitschrift Sozialismus

[40vgl. Marie-Janine Calic, Der Krieg in Bosnien-Hercegowina, Ursachen, Konfliktstrukturen, internationale Lösungsversuche, Frankfurt/M., 1995, S.70f., S.74ff.

[41vgl. Roland Hofwiler, taz 5.1.1988

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
1999
, Seite 0
Autor/inn/en:

Peter Bierl:

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