MOZ » Jahrgang 1990 » Nummer 51
Erica Fischer

Bittere Zeiten

In diesen lauten Zeiten, in denen nur Protzertum und Siegesgesten soziale Anerkennung versprechen, haben es die schwachbrüstigen Trabi-Fahrer schwer. Da bleibt nur das Vaterland und die Pornografie. Doch die von den West-Schlitten Überholten haben allen Grund zur Hoffnung. Eine angeschlossene DDR könnte aus den Frauen ihres Landes wieder Wesen machen, die den ostdeutschen Mann von seinem Unterwerfungstrauma genesen lassen. Das wenigstens befürchten nicht wenige Frauen in der DDR.

Der Unabhängige Frauenverband, eine Dachorganisation von 120 im letzten halben Jahr gegründeten Frauengruppen, fordert deshalb eine Sozialcharta, die die schlimmsten Folgen der drohenden Vereinigung abfedern soll. Die DDR-Feministinnen, vorläufig noch von der Möglichkeit eines solidarischen Kampfes von Frauen mit wohlmeinenden Männern überzeugt, gehen davon aus, daß die zu erwartende Arbeitslosigkeit Frauen überdurchschnittlich treffen wird — erste Anzeichen haben sich auch schon vor den Wahlen bemerkbar gemacht. Bei gleichzeitiger Einschränkung der ganztägigen Gratis-Kinderbetreuung könnte es zu einer Spirale der Ausgrenzung aus dem Arbeitsprozeß kommen; die zu erwartenden Mietpreiserhöhungen lassen vor allem Rentnerinnen um ihre Zukunft bangen; und was aus Schwangerschaftsabbruch und kostenloser Empfängnisverhütung wird, ist unter ungebremsten Marktbedingungen unschwer abzusehen.

Das Beharren der Frauen auf dem Selbstbestimmungsrecht über ihren eigenen Körper verhinderte ein Wahlbündnis mit „Demokratie Jetzt“, die ihre christliche Wählerschaft nicht vergraulen wollte. Auch das angepeilte Bündnis zwischen Frauenverband, Grünen und Vereinigter Linken platzte an den Berührungsängsten der Grünen Partei mit den Linken der Republik. Der Unabhängige Frauenverband, dem an einem breiten Wahlbündnis gelegen war, optierte schließlich für den konsensfähigeren Partner. Bestrebt, Frauen verschiedener politischer Positionen von PDS bis hinein ins christliche Lager anzusprechen, wollte der Dachverband „das Frauenthema nicht mit rein linker Programmatik besetzen“.

Trotz dieser opportunistischen Schlagseite begann der als historisches Ereignis begeistert beklatschte Gründungskongreß des Unabhängigen Frauenverbandes in der zweiten Februarhälfte mit selbstbewußter Präsentation. Während die PDS, in deren ehemaligem ZK-Klotz die Frauen in Berlin tagten, westlich verspielt mit „Don’t worry — take Gysi“ in den Wahlkampf trat, sieht die Spitzenkandidatin des Frauenverbandes, die Sozialwissenschaftlerin Ina Merkel, Frauen als die einzig konsequente revolutionäre Kraft in der DDR, deren Ringen um eigene Emanzipation nicht die Unterwerfung anderer zum Ziel hat.

Der Frauenverband ist im wilden Parteien- und Gruppenspektrum der DDR wohl auch die einzige Gruppierung, die es tatsächlich geschafft hat, ihre Mitglieder parteiübergreifend zu organisieren, auch wenn abzusehen ist, daß die Einmütigkeit nicht lange vorhalten wird. In Berlin schimmerte allerdings noch straffer Kaderstil durch, es fehlte das kreative Chaos des feministischen Aufbruchs der 70er Jahre im Westen. Doch für Selbsterfahrung und wagemutige Experimente ist in der DDR heute keine Zeit. Es gilt mit allen Mittel zu verteidigen, was der real existierende Sozialismus an Gleichberechtigungsgrundlagen hinterlassen hat. In Talk Shows und Straßenbefragungen sind es auch immer wieder in erster Linie Frauen, die vor den sozialen Gefahren der Marktwirtschaft warnen. Die noch bestehende ökonomische Selbständigkeit so gut wie aller Frauen in der DDR könnte eine hervorragende Ausgangsposition für eine feministische Bewegung sein, die sich nicht in Innerlichkeit ergeht, sondern Konzepte für eine grundlegende gesellschaftliche Umgestaltung entwickelt. Gegen alle Zeichen der Zeit gilt es jetzt erst recht, einen weiblichen Fuß in die Tür zu klemmen. In der Tat sitzen frauenbewegte Frauen in Leipzig, Cottbus, Magdeburg und anderswo an runden Tischen und haben Gleichstellungsbeauftragte erstritten, die den 18. März vielleicht überdauern werden.

Westliche Feministinnen finden das langweilig und bieder. Auf bestimmte Diskussionsprozesse über Gleichheit und Differenz fixiert, erkennen sie nicht, welches klassenübergreifende Widerstandspotential in Frauen steckt, die sich an ein hohes Maß sozialer Sicherheit gewöhnt haben. Als der stellvertretende Bildungsminister noch lange vor den Wahlen laut über das Schließen von Horten und die Einstellung der Mittagsspeisung für Schüler und Schülerinnen nachdachte, brach ein Sturm des Protestes aus, der ihn rasch zu einer Korrektur seiner unbedachten Äußerungen zwang. Daß der Zusammenschluß zur Verteidigung bedrohter Rechte Bewußtseinsprozesse weiterführender Art einleiten kann, scheint in der BRD schon vergessen zu sein. Mit ahistorischer Ungeduld drängen die Schwestern im Westen auf eine feministische Revolution, von der sie selbst sich längst verabschiedet haben.
Eine Projektion, die einst die Linke sehnsüchtig nach der „Dritten Welt“ blicken ließ.
Doch die sandinistische Revolution hat sich aufgegeben, und in Leipzig werden Mißwahlen veranstaltet. Es kommen bittere Zeiten auf uns zu.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
April
1990
, Seite 64
Autor/inn/en:

Erica Fischer:

Freie Autorin, Buchübersetzerin (aus dem Englischen) und Journalistin in der Bundesrepublik Deutschland, seit Ende 1995 in Berlin.

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