Context XXI » Print » Jahrgang 2001 » Heft 7-8/2001 — 1/2002
Manfred Gmeiner

Beteiligung der Wissenschaft am rechten Diskurs

1993 wurde in Frankreich ein Appell zur Wachsamkeit von Intellektuellen veröffentlicht, der vor der Vereinnahmung von Wissenschaftern durch die neue Rechte warnt, die versucht durch Einbindung demokratischer Persönlichkeiten in ihre Publikations­organe ihren scheinbaren Wandel, ihre scheinbare Abwendung von rechtsextremem Gedanken­gut zu demonstrieren. Im Appell heißt es: „Dies ist kein vereinzeltes Vorgehen, vielmehr Teil der gegenwärtigen Strategie einer Legitimierung der extremen Rechten, die allenthalben auf dem Vormarsch ist (...) Unter Autoren, Verlegern und verantwortlichen Personen in Presse, Rund­funk und Fernsehen scheinen diese Manöver bisher noch nicht das gebotene Mißtrauen hervorgerufen zu haben. Aus Mangel an Information oder Wachsamkeit, aus Respekt vor der Freiheit des Wortes, aus Sorge um uneingeschränkte Toleranz leisten viele von ihnen, darun­ter die Verdienstvollsten, dieser Legitimierungsstrategie Vorschub. Durch diese ungewollte Komplizenschaft, so fürchten wir, werden in unserem geistigen Leben bald Diskurse alltäg­lich werden, die bekämpft werden müssen, weil sie gleichermaßen die Demokratie und das Leben der Menschen bedrohen. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Worte der extremen Rechten nicht bloße Ideen unter anderen sind, sondern den Anreiz zu Ausschluß, Gewalt und Verbrechen enthalten.“ (zitiert nach: Die Ordnung die sie meinen, Picus 1994)

1993 gab das Freiheitliche Bildungswerk erstmals ein Jahrbuch mit dem Titel „Freiheit und Verantwortung“ heraus. Besonders die ersten drei Jahrgänge bis 1995 waren auf Grund einiger Artikel rechter Ideologie stark umstritten. Die drei Jahre waren gleichzeitig jene Jahre, in denen die FPÖ die stärksten Zuwächse erfuhr und deutlich mit dem Anspruch auftrat, in Österreich „aufzuräumen“.

Die Redaktion des Jahrbuches behauptet zwar, eine offene Diskussion in der Gesellschaft über politische Themen führen zu wollen, ein Blick in die jeweiligen Editoriale belegt aber, dass, wer im Jahrbuch schreibt, gleich welchen Themas er/sie sich annimmt, sich de facto an ei­nem rechten Diskurs beteiligt.

Im ersten Editorial heißt es: „Die Freiheit der Gedanken und Ideen, die Freiheit der Mei­nungen, der Worte und Formulierungen steht hier ebenso Pate an der Wiege einer Publikation, wie die Verantwortung für die Gemeinschaft, für die Heimat, für das Staatsganze, für das Volk, aber auch für das Individuum, den Mitmenschen und Mitbürger. ‚Freiheit und Verant­wortung‘ ist somit die Devise einer politischen Gesinnungsgemeinschaft, die auch intellektuell eine offene Auseinandersetzung über große Fragen unserer Zeit sucht ...“

Nicht nur wird der Begriff Freiheit fix mit dem Begriff Verantwortung verbunden, eine Behauptung, die auch in den weiteren Editorialen betont, aber nicht begründet wird, son­dern Verantwortung wird auch auf Begriffe wie Gemeinschaft, Volk und Heimat bezogen und damit auf Begriffe, die zum Kern rechter Ideologie gehören.

Wie auch bereits erwähnt, finden sich in den Jahrbüchern zahlreiche Artikel rechter Ideo­logien. Es besteht also kein Zweifel daran, daß wer im Jahrbuch schreibt, sich an einem rech­ten Diskurs beteiligt, auch wenn sein Artikel selbst keinerlei rechte Ideologie enthält.

Die Etablierung des rechten Diskurses geschieht durch Publikationen wie die Jahrbücher des Freiheitlichen Bildungswerkes auf verschiedene Weise. Einerseits gibt es Artikel von be­kannten Persönlichkeiten aus der Politik oder von Universitätsprofessoren, die sachlich, mit möglichst geringen ideologischen Implikationen ein Thema behandeln, das sich nicht schon von der Fragestellung her dem rechtsextremen Diskurs zuordnen läßt und denen zum Teil tatsäch­lich kein rechtes Gedankengut nachzuweisen ist, die aber im Kontext der übrigen Artikel zum Themenbereich nichts zur Entkräftung rechter Argumente im Diskurs beitragen. Dabei können diese Artikel helfen, der Publikation den Anschein eines offenen Diskursmediums zu geben und damit rechte Ideologien „außerhalb“ rechter Zusammenhänge zu publizieren. In diese Kategorie fallen in den untersuchten Jahrbüchern Artikel von Franz Ceska, zuletzt Ge­neralsekretär der Industriellenvereinigung, über „Wirtschaft auf Europakurs“ (1993) und „Die Zukunft des Industriestandortes Österreich“ (1994). Peter Pernthaler, Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Innsbruck, geht zwar als EU-Gegner mit ei­ner der damaligen FPÖ-Linie entsprechenden Sichtweise an seine Themen heran, schreibt aber rechtlich sachlich über „Das Prinzip des Föderalismus und die EG“ (1993) „Das Problem des Austritts aus der EG“ (1994) und „Europäischer Regionalismus — Utopie oder Realität“ (1995). Ingfried Schütz-Müller, Universitätsdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien, schreibt über „EG — Vorbild für den pazifischen Raum?“ (1993), Herbert Vonach, Professor am Institut für Radiumforschung und Kernphysik in Wien, über „Fehlentwicklung Universitätsorganisationsgesetz“ (1993) und Gerhard Pendl, „Alter Herr“ der Burschenschaft Oberösterreicher Germanen, Professor der Medizin an der Universität Graz schreibt über die „Krise des Spitalswesens in Österreich?“.

Noch bedenklicher für die Etablierung des rechten Diskurses sind jene Wissenschafter, die in der Öffentlichkeit nicht als Rechtsextreme gelten, zum Teil weil sie aus politischen Gruppierungen der Mitte kommen, zum Teil weil sie sich das Image eines kritischen Revolu­tionärs aufgebaut haben, oder schlicht als „objektive“ Wissenschafter gelten, in deren Artikeln aber sehr wohl Anklänge an rechtsextremes Gedankengut zu finden sind oder deren Inhalte von Rechtsextremen gut verwertet werden können. Sie helfen tatsächlich rechtsextreme Gedanken in den gesellschaftlichen Diskurs einzuschmuggeln, indem sie sie in vordergründig „objektiven“ oder liberalen Artikeln transportieren.

Im Jahrbuch von 1993 wird bereits im Editorial auf die Sozialdemokraten Norbert Leser und Günther Nenning und auf den Liberalen Otto Graf Lambsdorff hingewiesen, um die Offen­heit des Jahrbuches zu belegen.

Norbert Leser war Professor für Philosophie in Salzburg und später in Wien, danach Lei­ter des Ludwig-Boltzmann-Institutes für neuere österreichische Geistesgeschichte. Er schreibt im Jahrbuch 1993 über „Totalitäre Gefahren in Staat und Gesellschaft“. Als eben solche wurde die FPÖ von vielen betrachtet. Um so mehr kommt es dieser sicher gelegen, dass in ihrem Jahrbuch ein Autor von der „anderen Seite“ nicht zu übersehende Analogien zwischen Na­tionalsozialismus und Kommunismus behauptet, dagegen die Verbindung zwischen Faschis­mus und Nationalsozialismus gelockert sehen möchte. Es kommt ihnen sicher auch gelegen, dass Leser sich die „Entstehung des Faschismus ohne die vorgängige bolschewistische Oktober­revolution nicht vorstellen“ kann. „Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Bewegun­gen erschöpft sich aber keineswegs in dieser kausalen Ab- und Nachfolge, sondern setzte sich in einer historischen Schicksalsgemeinschaft der Antipoden, die doch einander zuarbeiten, fort.“ (Leser 1993). Auch die Ortung totalitärer Gefahren in Parteientypen und der Parteienlandschaft Österreichs muß der FPÖ sehr gelegen kommen. In der Beschreibung der libe­ralen Parteien kann man die FPÖ beim besten Willen nicht erkennen und vor der Gefahr ei­ner Überspannung des Freiheitsgedankens im kulturellen Bereich, die zu „Libertinismus und Anarchismus führen“, wie Leser warnt, ist die FPÖ wohl auch gefeit. Den Großparteien rät Le­ser hingegen sich von der Mitglieder- und Funktionärspartei zu Wählerparteien zu entwickeln, ein Weg, den die FPÖ konsequent eingeschlagen hat.

Ein permanenter Autor der Jahrbücher ist der Soziologieprofessor Roland Girtler an der Uni­versität Wien, der damals auch gerne in der Aula veröffentlichte. Seine wissenschaftliche Be­schäftigung mit Außenseitern der Gesellschaft und „alternativen“ Lebensstilen scheinen ihn fern von rechtsextremen Zusammenhängen zu positionieren. Er selbst sagt, es gehe ihm in seiner For­schung um Freiheit und Menschenwürde. Girtler geht es aber überhaupt nicht um soziale Strukturen der Gesellschaft, um Machtverhältnisse, die Menschen an den Rand der Gesellschaft in jene „Randkulturen“ drängen, die Girtler beforscht, sondern um die Betrachtung der Le­benswelt dieser Menschen als eigene Kultur, die unsere Welt bunter, interessanter und ab­wechslungsreicher gestaltet. Die sogenannten Randkulturen werden dabei nicht selten glorifiziert und mit dem Nimbus des Rebellischen umgeben, eines Rebellentums das aber nicht auf Ver­änderung abzielt, sondern selbstgenügsam zur eigenen Ehre gereicht. So schreibt er 1995 in „Randkulturen. Stadtstreicher, Dirnen, Fußballfans und Sandler“: „Zu solchen Regeln des Alltags gehört die Vorstellung, der Mensch müsse sauber und gepflegt sein, eine Forderung, die der Vagabund der Großstadt einigermaßen großzügig ignoriert. Vom Grundsatz der sexuellen Mäßigung wiederum will die Dirne nichts wissen.“ 1993 beschäftigte er sich unter dem Jahrbuchkapitel Immigration mit der „Dialektik der Grenze. Menschliche Kulturen sind ohne Grenze nicht vorstellbar.“ Den rebellischen „Überwinder“ der Grenzen stellt in diesem Arti­kel der Schmuggler dar. Diesem kann es tatsächlich nicht um eine Grenzüberwindung im Sinne von Auflösung, zumindest des individuellen Hindernisses, der Grenze gehen, da Schmug­gel ohne Grenze kein Geschäft ist. Überwindung ist somit eigentlich der falsche Ausdruck, da es vielmehr um ein Nutzen von Grenzen geht. Jene, die tatsächlich gezwungen sind Grenzen zu überwinden, Flüchtlinge, finden gerade in einem Nebensatz Erwähnung. „Der Schmuggler als sozialer Rebell“ liefert den Vorwand für interessierte Liberalität des Forschers, der im übrigen beschwört: „Fehlen Grenzen, sowohl soziale wie geographische, so kann es zu Verunsicherungen, Verwirrungen und Konflikten kommen. Klare Grenzen können in diesem Sinn Konflikten vorbeugen.“ Diese Inhalte sind zwar nicht als rechtsextrem zu bezeichnen, die quasi-ethnologische Betrachtung an den Rand gedrängter Personen und ihre Erhebung zu „fremder Kultur“ sind im rechtsextremen Diskurs jedoch verwertbar. Girtler hat sich allerdings seit 1997 aus den rechten Publikationen zurückgezogen, vielleicht weil er merkte, dass er von diesen gebraucht wurde und in seinem Anspruch, die „Burschenschafter, die auch rassisti­sche Irrwege gegangen sind, auf ihre wahre Tradition, zu der auch die Revolution von 1848 gehört, hinzuweisen“ (Girtler 1996 in einem offenen Brief an seine Kritiker), gescheitert ist. Sei­ne grundsätzliche Forschungsrichtung hat er meines Wissens jedoch nicht verlassen.

Es gibt auch einige Wissenschafter, deren Artikel nicht sehr leicht eine Nähe oder Zuarbeitung zu rechtsextremen Diskursen nachweisbar ist, deren Themen aber zu sehr im Kern­bereich des Diskurses angesiedelt sind, um sie unter jene am Anfang meines Artikels genannte zu reihen. Rupert Riedl, Biologieprofessor in Wien, hebt sich zwar deutlich von einfachen biologistischen Theorien, wie jene von Irenäus Eibl-Eibesfeldt, in denen leicht rassistische Komponenten auszumachen sind, ab, doch knüpft sein Artikel „Anpassungsmängel der menschlichen Vernunft“ (1994) doch an diese Theorien der evolutiven Vorgaben für mensch­liches Denken an. Und letztlich scheinen nicht Interessenskonflikte und Herrschaftsstrukturen für politische Entscheidungen verantwortlich zu sein, sondern die Beschränktheit des menschlichen Verstandes, der die Zusammenhänge noch nicht versteht, da die Technik der Evolution vorausgeeilt ist. Riedl gesteht dem Menschen aber zumindest die Fähigkeit zu, durch Ler­nen diesen Rückstand aufzuholen.

Ein weiterer berühmter Autor in den Jahrbüchern, der sich als Rechts- und Menschen­rechtsexperte einen Namen gemacht hat, ist Felix Ermacora, damals Universitätsprofessor in Innsbruck. Ermacora hat zwar in anderen Publikationen, wie der Aula mehrfach eindeutig rechte Aussagen von sich gegeben, seine Artikel in den Jahrbüchern sind aber in trockenem ju­ristischen Stil abgehalten und arbeiten rechter Politik höchstens durch rechtliche Unter­mauerung zu.

Von einigen weiteren Universitätsprofessoren ist deren Nähe zum rechtsextremen Spektrum mehr oder weniger bekannt, sodass es nicht verwundert, ihre Artikel in den Jahrbüchern zu fin­den und je nach Bekanntheit ihres Naheverhältnisses, das Ausgangsargument dieses Artikels, die Beihilfe zur Legitimation rechter Publikationen, nicht mehr zutreffend ist. Diese Professoren sind: Friedrich Romig, Privatdozent an der Wirtschaftsuniversität Wien, Lothar Höbelt, Institut für Geschichte, Universität Wien, Ernst Topitsch, Professor für Philosophie in Graz und Wil­helm Brauneder, Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Wien.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Februar
2002
, Seite 88
Autor/inn/en:

Manfred Gmeiner:

Geboren 1964. War von 1996 bis 2020 gemeinsam mit Amalia Hernández Páez aus Motril in der Provinz Granada in Andalusien Buchhändler in Wien (La Librería) und nachweislich treuestes Redaktionsmitglied von Context XXI (von Anbeginn bis 2006). Er widmet sich jetzt ganz der Übersetzung spanischsprachiger Literatur.

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