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Lorenz Glatz

Bei der Freundschaft hört sich das Geld auf

Anläufe zu einem Verständnis

Entweder mit Geld …

1.

Geld ist eine bestimmte Form von Beziehung zwischen Menschen. Es vermittelt gleichwertigen Tausch von eigentlich unvergleichbaren Dingen, Kauf und Verkauf. Es bringt den Markt in Schwung und hält ihn am Laufen. Geldverkehr und Marktgeschehen bringen aber im Grund nicht Menschen in Kontakt, sondern ihnen gehörende Dinge. Die Menschen erscheinen nur als deren Träger, der eine, um teuer zu verkaufen, die andere, um billig zu erwerben. Entsprechend dem sachlichen Charakter des Kontakts treten sich die Kontrahenten mit Interesse am Angebot, aber mit Desinteresse, ja mit dem gebotenen Misstrauen am Anbieter gegenüber. Sie sind „Tauschgegner“, wie sie Max Weber treffend bezeichnet hat. Sie sind nicht allein, sie haben zugleich alle anderen im Kopf, mit denen vielleicht das Geschäft vorteilhafter wäre. Es ist eine Beziehung der Konkurrenz zwischen „Ungenossen“ (auch von Max Weber), ja Feinden, die nur durch ein Gleichgewicht der Stärke oder eine übergeordnete Gewalt, jedenfalls nicht durch Sympathie und Mitgefühl, sondern durch blankes Kalkül an Hinterlist und Übergriff gehindert werden.

Kapern und Kaufen hängen etymologisch vielleicht bis wahrscheinlich zusammen, in der sozialen Wirklichkeit aber ganz real. Ziel bleibt immer der eigene Vorteil, Sieg gegen und Kontrolle über die anderen. Hier führt vom konkurrierenden sachlichen Interesse der „Tauschgegner“ ein breiter Weg über ihr gegenseitiges persönliches Desinteresse und Misstrauen zu Betrug, Gewalt und Unterdrückung, wenn sich die Gelegenheit bietet.

Markt und Geld sind „die unpersönlichste praktische Lebensbeziehung, in welche Menschen miteinander treten können“. Solidarität ist ihr fremd, sie kennt „keine Brüderlichkeits- und Pietätspflichten, keine der urwüchsigen, von den persönlichen Gemeinschaften getragenen menschlichen Beziehungen“ (Max Weber). Sie kennt bloß Eigeninteresse ohne Rücksicht auf Dritte, schon gar nicht auf die Mitwelt. Und mehr noch: Essen, Trinken, Sex gehen bei größter Lust drauf doch nur mit Maßen, Geld aber ist grenzenlose Zahl, wer sich auf Geld einlässt, kann es doch nie haben, wird nicht satt, sein Wollen wird zur Gier ohne Ende. So rücksichtslos wie immer möglich – das ist das Beste fürs Geschäft. Betrug, Vergewaltigung, Überwältigung und Herrschaft, Schädigung und Zerstörung von Mensch und Natur sind in Markt und Geld von Geburt an eingeschrieben.

2.

Geld zu lieben ist die Wurzel aller Übel und nicht wenige, die sich drauf eingelassen haben, sind abgeirrt von Vertrauen, Redlichkeit und Glauben, steht in einem biblischen Apostelbrief. Das passt recht gut schon auf den ersten Take off der Geldwirtschaft im europäischen Mittelalter, im Vorlauf und in der Brutstätte der Moderne. Erstmals geriet eine große und anwachsende Zahl von Menschen in den Bann von Geld und Profit: Condottieri und ähnliche Kriegsunternehmer in Italien und Frankreich mit ihren Söldnern, die sie auf Kredit anwarben und in den Machtkämpfen der Städte und noblen Herren für den Meistbietenden zum Schlachten und Plündern führten, jederzeit bereit, für ein paar Taler mehr die Seiten auch zu wechseln. Sozial am Rand stehende, mittellose junge Männer aus reichen Städten und dem weiten Land, trugen nun in großer Zahl ihre „Haut zu Markte“ und bestritten ihren Lebensunterhalt je nach Lage mit Geld oder Raub, mit Kaufen oder Kapern. Sie wurden Waren und Verkäufer in Personalunion, Dinge, die sich selbst vermarkten.

Die Entwicklung der Feuerwaffen und die tiefe Erschütterung der sozialen Bindungen in der katastrophalen Pestpandemie im 14. Jahrhundert ebneten dieser Industrie und diesem Arbeitsmarkt den Weg in eine sich in alle Gebiete des Lebens verzweigende, bis heute anhaltende große Zukunft, von den Söldnern zu den Industriesoldaten bis zu den Legionen der Einzelkämpfer im modernen Prekariat. Sich zur Arbeit, Hauptsache Arbeit, ob schädlich, nützlich oder tödlich, für Geld ver-„dingen“ machte eine Karriere vom Unglück eines Lebens zu seiner Grundlage, ja zur festen Struktur der Gesellschaft.

Auch ins erste große Industriesystem Mitteleuropas flossen Bankengeld und Steuern für Mord und Krieg: Es waren des Generalissimus Wallensteins Betriebe. Hier wurde Ausrüstung und jede Sorte Nachschub für seine Söldner hergestellt, die für sich, den Feldherrn und seinen kaiserlichen Kunden das Land verheerten, Steuern erpressten und Beute produzierten. Der Vorrang des staatlichen Gewaltapparats bei Geldausgaben für innovative Technik und Forschung ist eine Konstante bis heute, zivile Anwendungen sind regelmäßig davon Abfall, sei es das Fabrikregime oder die Kunststoffprodukton, das Dynamit, die Atomtechnik oder IT und Internet. Geld wird das Blut des Lebens der Gesellschaft, auch die Kirchen haben es recht lieb gewonnen.

3.

Gut vier- bis fünfhundert Jahre dominiert mittlerweile die Markt- und Geldbeziehung in Europa und hat ihren Siegeszug mit Handelsschiffen und Kanonenbooten, mit Diplomatie und offener Gewalt rund um den Globus angetreten. Sie hat Reichtum und Luxus genauso wie Krieg, Not und Elend zu nie erreichten historischen Höchstständen gesteigert und tiefste soziale Klüfte aufgerissen. War der Unterschied im materiellen Standard zwischen den reichsten und ärmsten Ländern um 1800 noch etwa 2:1, so wuchs der Faktor in zwei weiteren Jahrhunderten Geldwirtschaft laut UNDP bis 1960 auf 1:30, 1990 auf 1:60, 1997 auf 1:76 und dürfte inzwischen jenseits der 1:100 liegen.

Und was den Skandal des Hungers in der Welt angeht, bemerkt der Anthropologe Marshall Sahlins: One third of humanity are said to go to bed hungry every night. In the Old Stone Age the fraction must have been much smaller. This is the era of hunger unprecedented. Now, in the time of greatest technical power, is starvation an institution. (Ein Drittel der Menschheit, sagt man, geht allabendlich hungrig zu Bett. In der Altsteinzeit war der Anteil sicher viel kleiner. Unseres ist das Zeitalter des Hungers wie nie zuvor. Heute, in der Zeit größter technischer Potenz, ist Verhungern institutionalisiert.)

Trotzdem: Um zu leben muss eins in unserer Gesellschaft kaufen und verkaufen, vor allem sich. Wir brauchen Geld und Markt so selbstverständlich wie Luft und Wasser. Ein anderes Leben ist für die meisten Menschen weder vorstellbar noch wünschenswert. Die durch Geld vermittelte direkte Beziehung zu Sachen und bloß indirekte oder direkt-sachliche Beziehung zu Menschen ist zur wichtigsten Klammer und zum entscheidenden Regulativ unseres Zusammenlebens geworden.

Nicht aufeinander können wir uns verlassen, nicht zueinander streben wir, sondern „nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles“. Warum Gretchen im Faust dem dann noch die Worte „Ach wir Armen!“ anhängt, ist heute keineswegs mehr so ohne Weiteres verständlich. Schließlich ist Geld und nicht unsere Freundlichkeit miteinander der Schlüssel zu allem, was der Mensch so braucht im Leben. Selbst „wo ich Liebe sah und schwache Knie, war’s stets beim Anblick von – Marie … Und der Grund ist: Geld macht sinnlich, wie uns die Erfahrung lehrt“, singt die Puffmutter bei Brecht (in „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“). Und überhaupt: „Wer sagt, dass man Glück nicht kaufen kann, hat keine Ahnung von Shopping“, wie auf einer bei dieser Gelegenheit wohlfeil erwerbbaren Spruchkarte zu lesen steht.

Zwar ist uns ein Zusammenleben, das auf einem Ethos allgemeinmenschlicher Verbundenheit fußt, nicht nur möglich, ja wir neigen durchaus dazu. In einer Geldgesellschaft wird das jedoch schnell zu ökonomischem Selbstmord. Diesen Verhältnissen angepasster ist da schon der inzwischen salonfähige Zynismus von „Geiz ist geil“ und „Ich habe nichts zu verschenken“, dem eins dann vielleicht noch ein dumm-trotziges „Und ich brauche nichts geschenkt“ anfügen will. Moral entpuppt sich in solchen Umständen regelmäßig als ein Manöver, das einen hochbezahlten Auftragsmord als Gerechtigkeit erscheinen (wie in Dürrenmatts ungebrochen aktueller Parabel „Besuch der alten Dame“) oder Bomben und Raketen zum Schutz der Menschenrechte und sonstiger westlicher Werte regnen lässt (was zu veranschaulichen ein eigener Input wäre).

4.

Der Glaube an die Ewigkeit der Geldwirtschaft und die grenzenlose Strapazierbarkeit von Mensch und Natur hat schon mehr und überzeugtere Anhänger gehabt. Auch an nicht so wenigen Gläubigen nagt der Zweifel und sie mutieren in Wutbürger, die in Politikern, Bankern und Spekulanten die Täter finden, die die schöne Marktwirtschaft zugrundegerichtet haben. Dabei ist es doch eine bemerkenswerte und noch dazu allen ehrlichen Arbeiterinnen und Spekulanten gemeinsame, wenn auch makabre Leistung, dass sie so an die 35 Jahre lang ein bankrottes System mit einer Blase nach der anderen und einer historisch einmaligen Schuldenmacherei am Laufen halten. Ein wahrhaft starker Glaube bei den Priestern wie bei der Gemeinde und eine unverdrossene Hoffnung, dass doch noch die Wundertechnologie auftaucht, die einen neuen realen Boom einer Verwertung mit Vollbeschäftigung und Wachstum wie vor fünfzig Jahren ermöglicht, und dass Ökokatastrophen, Peak Oil and Everything und Klimasturz bloß so eine Fata Morgana sein mögen wie die Versprechungen der Anlageberater.

Wenn solcher Glaube und diese Hoffnung wirklich „erst unseren Realitätssinn“ konstituieren, wie Slavoj Žižek sagt, dann müssen wir bald nur noch demokratisch entscheiden (lassen), ob wir mit oder ohne Euro, mit Sparpaketen oder investivem Durchstarten, mit Inflation oder mit Deflation – dasselbe erleben wollen, nämlich Verarmung, eine autoritäre Notstandsverwaltung oder das globale bellum omnium inter omnes. Denn wenn das Geld sich nicht mehr verwerten kann und auch den toughsten Kreditoren und Spekulanten der zähe Glaube an zukünftige Verwertung abhanden kommt, dann wird flüssig, was im Geld gefroren ist: die Gewalt von „Rette sich, wer kann“.

… oder freundschaftlich und solidarisch

5.

Solidarisch leben und wirtschaften ist anders. Wie anders, das hängt nicht zuletzt davon ab, wovon man weg will. Wovon ich raus will, dazu habe ich ja eben einiges angeführt. Grundsätzlich jedenfalls widerspricht, wer auf Solidarökonomie ausgeht, dem Menschenbild, das Thomas Hobbes zu Beginn der Dominanz der Geldwirtschaft formuliert hat. Dass nämlich „der Mensch dem Menschen ein Wolf“ sei und der natürliche Zustand der Menschheit ein „Krieg aller gegen alle“, den nur das Gewaltmonopol des Staats zu den Macht- und Konkurrenzverhältnissen des Geldverkehrs und der Industrie herabtunen könne. Solidarökonomie besteht darauf, dass wir lieber zusammenwirken mögen als miteinander konkurrieren, dass der Mensch ein „soziales Lebewesen“ ist.

Aristoteles also gegen Thomas Hobbes – wer immer sich auf die menschliche Natur beruft, hat Verwendung für das, was er in ihr erkennt. Die Menschheit hat in ihrer Geschichte gezeigt, dass sie zu vielem recht Disparatem, ja Widersprüchlichem fähig ist. Aber bei weitem nicht alles davon hat den Menschen auch gut getan. Historisch gesehen, ist unsere Natur eher ein Gang auf verschlungenen Wegen in alle möglichen Richtungen, nicht die ganze Menschheit auf derselben Strecke, in großen Gruppen, manchmal auch recht kleinen, die einen hier, die andern dort auf der Suche nach dem guten Leben. Ja, homo kann homini lupus sein, aber er kann auch ziemlich anders, andernfalls wäre die Menschheit vielleicht nicht einmal in die zweite Generation gekommen.

6.

Solidarität, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Vertrauen, Freundschaft, Liebe sind keine verschiedenen Kategorien, sie sind Intensitäten desselben Verhältnisses, sie unterscheiden sich bloß in Milieu und Betriebstemperatur erheblich. Freilich wird diese menschliche Haltung und Emotion jederzeit auch – zurechtgestutzt und prächtig angeschirrt – für geschäftliche oder politische Interessen eingespannt als Mittel zum Zweck ihres Gegenteils.

Einigermaßen gedeihen kann dieser Zug des Menschlichen freilich nur im Bereich privaten Lebens, bei Liebespaaren, im Freundeskreis, in der Familie, mit ein bisschen Glück auch in guter Nachbar- und Kollegenschaft. In dem Reservat also, das über die Jahrhunderte zur hoffnungslos überlasteten Reparaturstation für die psychischen und mentalen Beschädigungen im Geld- und Arbeitsleben geworden und das heutzutage auch noch am Vertrocknen ist. (Denn wenn Leistung nur mit Leidenschaft und Arbeit nur mit Freude verkäuflich ist, darf eins vielleicht Frust und Stress schon gar nicht mehr fühlen, bevor sie sich über Depression und Burnout zerstörerische Geltung verschaffen.)

Solche private, menschliche Bindungen von Solidarität bis Liebe in ihrer Eigendynamik als Lebensordnung in die öffentliche Welt übertragen zu wollen, ist eine Grenzverletzung, eine potentielle Störung der sachlichen Ordnung von Geld, Arbeit, Recht und Politik. Es sind aber just jene Bindungen, auf welche solidarisches Leben und Wirtschaften hofft und aufbaut, sie sind der Reiz, der „anders leben“ attraktiv macht, wenn man unter der Gleichgültigkeit, der gnadenlosen Konkurrenz und den Hierarchien, Demütigungen und Verwüstungen des Geldverhältnisses leidet.

7.

Allerdings ist die erwähnte Integrationsfähigkeit der etablierten Ordnung überwältigend groß. Zunächst einmal hat sie große Übung im Umgang mit dem Widerspruch von Kooperation und Konkurrenz. Die Zusammenarbeit im Betrieb ist schließlich Voraussetzung für das Bestehen im Wettkampf auf dem Markt. Genau diese Dominanz des Markts löst denn auch den Widerspruch in die Unterwerfung der Kooperation unter die Konkurrenz auf. Die Kooperation wird dadurch zwangsläufig unfrei, fremdbestimmt, auf den Sieg des „eigenen“ Betriebs und die Niederlage der Konkurrenten ausgerichtet.

Gelingt es also, statt mit Hierarchie solidarisch, ja egalitär, „ohne Chefs“ zu werken, bleibt immer noch die Feuerprobe auf den Märkten. Es kann sich dabei sogar herausstellen, dass eine Dosis persönlicher Beziehung, Verbundenheit und Freundschaft, eines Denkens in Wir statt Ich ein Vorteil in der Konkurrenz und produktiver ist und dass ein wenig Rücksicht auf die Natur Zugkraft hat im Marketing. Schließlich hat die antiautoritäre Revolte von 1968 und danach auch gezeigt, dass flache Hierarchien, Zulassen von Widerspruch und Kreativität und Mannigfaltigkeit statt Einfalt gut ist fürs Geschäft. „Macht, was ihr wollt, bloß seid produktiv“ – das ist der aufgeklärte Standpunkt liberaler Kapitalverwertung. Bloß wird alles, „was ihr wollt“, durch das Bilanz-Sieb von „Seid produktiv“ gepresst und dabei alles ausgeschieden, was der Logik des Gelds, des Marktes, der Verwertung nicht entspricht. Was übrig bleibt – ist das, was wir Tag für Tag als Geschäft und Job erleben. Der Markt korrodiert solidarisches Werken und Wirken zu einem, das dem Geldverhältnis entspricht, macht die Genossenschaft am Ende wieder zu einer von „Ungenossen“, um noch einmal Max Weber zu zitieren.

Außerdem haben die Menschen, die sich da vom Mainstream abwenden und „solidarisch wirtschaften“ wollen, kein anderes Leben als eins mit Geld, Markt und Konkurrenz gelernt. Dessen Öde, Stress, Demütigungen und Lebensgefährlichkeit drängen uns zu Neuem, in dem wir schlecht geübt sind. Wenn der „alte Mensch“ mit dem neuen Leben nicht gut zurechtkommt, tut er in seiner Ratlosigkeit leicht wieder oder weiter, was er zwar nicht mag und was ihn und die Seinen schädigt, was er aber besser kann.

8.

Neues beginnt mit der Negation des Alten mitten im Altem. Wenn das Neue dem Alten nur widerspricht und nicht zugleich auch im und für das Alte funktional ist, wird es zerstört. Ein solidarökonomisches Projekt, das mitten in der Funktionsweise der heutigen Gesellschaft jeden Umgang mit Staat, Geld und Eigentum verweigert, wird verhungern oder als kriminell verboten. Da aber umgekehrt die Einbindung ins Alte das Neue über kurz oder lang verätzt und auflöst, kann sich das Neue in einem statisch-stabilen Zustand des Gesamten nicht behaupten. Auch einer sanften osmotischen Attacke des Alten, das das Neue von allen Seiten umgibt, kann dieses nur standhalten, wenn es in Bewegung bleibt, sich festigt, ausdehnt und damit den Bereich seiner Autonomie und seiner eigenen Logik stärkt.

Wer nicht weiter geht, fällt zurück. Gegensätze wie die Geldlogik und ein solidarisches Leben koexistieren weniger als sie prozessieren. Solidarisches Leben und Wirtschaften ist kein Korrektiv, keine Ergänzung zu Markt und Geld, es ist eine Alternative, es löst die Geldlogik auf. Sonst umgekehrt.

9.

Dem Geldverhältnis liegt der wohlbekannte und in uns allen mehr oder weniger eingewurzelte Interessen-Standpunkt eines freien, souveränen, selbstverantwortlichen Ich zugrunde, von dem aus es jedem Nicht-Ich, ob lebendig oder dinglich, als einem potentiell gefährlichen Objekt entgegentritt. – „Ich muss für mich selber sorgen, sonst tut es ja niemand.“ Verpflichtung für andere entsteht nur in blankem Eigeninteresse, nämlich als Versicherungsfall: Ich zahle ein, weil es mich treffen könnte und nehme dafür misstrauisch in Kauf, dass andere davon profitieren. Derlei Solidarität verlässt den Mainstream nicht.

Solidarität muss ein anderes Verhältnis zwischen uns entwickeln, wenn sie gedeihen soll. Erfinden müssen wir es nicht, denn in Fragmenten ist es unter uns. Das Verhältnis selbstverständlicher Hilfsbereitschaft, der Sorge hier und da für andere, ohne dabei aufzurechnen. In manchen Gruppen von Nachbarn und Kollegen, unter Verwandten zuweilen keimt es, unter Freunden und Liebespaaren, von Eltern zu ihren Kindern treibt es zeitweise heiße Blüten. Nicht „Ich hab es mir gerichtet“, sondern „Wir sorgen füreinander“ schafft ein Wohlbehagen, ein Glücksgefühl in solchen Nischen und Momenten. Es zeigt, was auch nach ein paar tausend Jahren Herrschaft und ein paar Jahrhunderten ihrer jüngsten Variante noch immer möglich ist.

Freilich: Beim Geld hört sich Freundschaft auf. Das integrierte System von Geld, Markt, Recht und Staat greift durch und über, der Raum für unberechnete Freundlichkeit und fraglose Solidarität ist eng. Den zu erweitern, zu verteidigen und auszudehnen, mehr Mittel für ein solches Leben in die Hand zu kriegen, auf Wegen, die wir erst bahnen, mit Fragen, die wir noch gar nicht stellen können, aber wenn wir es richtig machen: mit Freude aneinander – so könnte Solidarische Ökonomie sich entwickeln und behaupten. Wir würden gar nicht mehr von Ökonomie reden, es wär einfach ein gutes Leben. Denn bei der Freundschaft hört sich das Geld auf.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
2012
, Seite 16
Autor/inn/en:

Lorenz Glatz:

Geboren 1948, 32 Jahre Latein- und Griechischlehrer in Wien. Pensionist, Hausmann eines lieben Weibes, praktizierender Großvater, Leser, Schreiber und Webmaster.

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