Grundrisse » Jahrgang 2003 » Nummer 6
Robert Foltin

Asymmetrie der Kriege im Empire

(Zu Münkler: Die neuen Kriege)

Ein Vorwurf an Hardt / Negris Buch „Empire“ ist eine zu positive Sichtweise der Multitude als Vielfalt und Unterschiedlichkeit der revoltierenden Bewegungen. Sie treibe das herrschende kapitalistische Regime, das Empire, vor sich her und reichere es mit emanzipatorischen Elementen an, die es dann zum Implodieren bringen. Es wird unterstellt, dass Revolten per se emanzipatorisch sind, was zu (beabsichtigten?) Mißverständnissen führt wie z.B., dass von den Autoren der islamische Fundamentalismus als Teil der Multitude gesehen würde. (Kurz 2003 S. 269). [1] Während die Kämpfe der Vergangenheit und die Antworten durch die Veränderungen der Souveränität hin zum Empire relativ ausführlich und auch nachvollziehbar beschrieben sind, bleibt die „Korruption“, mit dem der Niedergang des Empire verbunden ist, relativ abstrakt. Es bietet sich an, die so genannten Staatszerfallskriege wie z.B. in Jugoslawien, Somalia, Liberia, Sierra Leone, Afghanistan etc zu betrachten und ihre Beziehung zur Korruption des Empire zu betrachten. Im öffentlichen Diskurs dienen Beispiele gescheiterter Staatsbildung als Argumentation für die Notwendigkeit von internationalen Interventionen, gerechten Kriegen, aber auch, dass eine Gesellschaft ohne die Form „Staat“ nicht existieren könne. Tatsächlich möchte ich in diesem Text argumentieren, dass dieses Scheitern von Staaten nur ein Symptom der Transformation von Staatlichkeit im Empire ist. Ohne politische und ökonomische Verbindung mit dem Gesamtsystem würden sich diese Kriege schnell totlaufen und „normaler“ Gesellschaftlichkeit Platz machen. Von der Krisis-Gruppe (u.a. Kurz 2003) werden die zunehmenden Bürgerkriege und chaotischen Situationen als Symptome des kontinuierlichen Zusammenbruchs gesehen, als Wegbrechen ganzer Regionen durch das „Abschmelzen des Werts“: die Arbeit gehe aus, mit der Arbeit ist die Wertproduktion verbunden, also Ende der kapitalistischen Fahnenstange und Aufbruch in die Barbarei. Ich sehe in diesen Verhältnissen zwar auch eine Krise (oder Korruption als Krise in Permanenz und überall, Hardt / Negri 2000, S. 389ff), aber als Managementstrategie zur Aufrechterhaltung von Ausbeutung und Herrschaft. Es gibt kein Ende in der Barbarei, sondern die Barbarei ist notwendiges Element von Kapitalismus, Staat und Empire. Neben historischen Zufällen (Regionen, wo bewaffnete Auseinandersetzungen bereits im Ost-West-Konflikt eine Rolle spielten) handelt es sich meist um Gebiete mit Rohstoffen für die Weltökonomie. Warlords und SöldnerInnen sind DienstleisterInnen der Rohstoffproduktion. Als Nebeneffekt zersetzt die Unterordnung der Menschen unter Warlords oder unter ethnische, kulturelle oder religiöse Identitätskonstruktionen die Multitude und verhindert in diesem Zusammenhang das Entstehen einer sich konstituierenden kreativen Gegenmacht.

Mit Chaos und bürgerkriegsähnlichen Gewaltverhältnissen werden auch die Polizeiaktionen, Interventionen und Kriege des Empire gerechtfertigt, gerade jetzt aktuell im Irak. In den technologischen Unterschieden der Möglichkeit der Gewaltanwendung (präzisionsgesteuerte Raketen gegen Kalaschnikows, Sprengstoff und Teppichmesser) wird das Empire als Struktur immer sichtbarer, auch wenn gerade jetzt sehr viel über einen neuen Imperialismus der USA oder eine neue imperialistische Konkurrenz diskutiert wird. Da es sich immer mehr um Polizeiaktionen handelt, enthalten diese Kriege Elemente scheinbarer kolonialer Strukturen. Der Unterschied ist dabei, dass es nicht um Ausdehnung und Raubökonomie handelt, sondern um Management und um die Schaffung von „Recht und Ordnung“ in Bereichen, die bereits der Ausbeutung unterliegen.

Münklers Buch „Die neuen Kriege“ (Münkler 2002) ist ein aufschlußreicher Text, der durch die Beschreibung der Kriege – nicht nur der „neuen“, der nicht mehr verstaatlichten – viele Hinweise zur Struktur und Konstitution des Empire gibt. Als zentrale Punkte möchte ich dabei die ökonomischen Bedingungen der „Kriege“ und die Asymmetrie der Gewaltanwendung herausarbeiten.

Die Ökonomie der Staatszerfallskriege

Münkler (S. 91ff) sieht die Verstaatlichung des Krieges im 17. Jahrhundert als ökonomische Notwendigkeit auf Grund der Entwicklung der Waffentechnik. Nur kombinierte Heere von Infanterie (Fußvolk), Kavallerie (Reiter) und Artillerie (Kanonen) konnten sich siegreich behaupten. Das erforderte eine komplexe Ausbildung, Drill und genug Geld durch Steuern. Um das finanzieren zu können, mußten Staaten existieren, die durch Steuerhoheit dieses Geld zur Verfügung stellen konnten. Diese Verstaatlichung des Krieges wurde im Westfälischen Frieden 1648 - der den Dreißigjährigen Krieg beendete - mit einem Regelsystem verbunden, das eine Trennung zwischen Krieg und Frieden und damit die Entstehung von Politik erst möglich machte. Bis ins 20. Jahrhundert verliefen europäische Kriege zwischen Staaten und bis auf Ausnahmen in einem geregelten Rahmen ab. Münkler sieht in den Erscheinungsformen der neuen Kriege in den failed states wie Afghanistan oder Somalia Ähnlichkeiten mit dem Dreißigjährigen Krieg und nimmt das zum Anlaß, Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Typische Kennzeichen der „neuen Kriege“, wie sie Münkler bezeichnet (S. 43ff), sind u.a., dass es keinen Anfang und kein Ende gibt, die Kriege werden nicht geführt, sie „schwelen“ dahin. Zeitweise scheinen sie bereits eingeschlafen, bis die Gewalt dann wieder hervorbricht (S. 26). Darum ist ein Friedensschluß so schwierig, auch der Westfälische Friede kann eher als Friedensprozess betrachtet werden (es wurde drei Jahre verhandelt und er wurde in zwei Orten – Münster und Osnabrück – abgeschlossen) und nicht als ein Friedenschluß, der sich an einem Tag festmachen läßt. Im Gegensatz zu verstaatlichten Kriegen führen die Schlachten keine Entscheidung herbei, beendet werden Kriege nicht durch militärische Niederlagen, sondern durch wirtschaftliche Erschöpfung. Erst wenn alle bewaffneten Minderheiten einwilligen, wäre ein Friedensschluß möglich (S. 27ff).

Die Kriegsführung findet maßgeblich nicht zwischen KombattantInnen [2] statt, sondern wird hauptsächlich gegen die Zivilbevölkerung geführt. Die AkteurInnen sind nicht staatlich organisierte Heere, sondern Warlords als UnternehmerInnen und SöldnerInnen als Angestellte. Im Postfordismus (oder „Neoliberalismus“) kommt es zu einer Entstaatlichung der Gewaltanwendung. Da die Reproduktion nur teilweise durch Entlohnung gesichert ist, müssen sich die KämpferInnen ihre Lebensgrundlage als flexibilisierte UnternehmerInnen mit dem Produktionsmittel Waffe erwerben, was nur gegen die Bevölkerung gehen kann. [3] Letztlich bestehen diese Kriege aus einer Reihe von verschiedenen Kriegen, die aufeinanderfolgen und ineinander übergehen. Entscheidend ist auch, dass diese Kriege nur geführt werden können, weil sie von außen genährt werden, weil sie mit dem ökonomischen System zusammenhängen – sie sind Teil des kapitalistischen Systems (Münkler spricht zwar von ökonomischen Abhängigkeiten, ignoriert aber den Kapitalismus).

Eine wichtige Rolle spielen so genannte Warlords, lokale Kriegsherren, die als Protagonisten der Entstaatlichung der Kriege auftreten (S. 34ff). Sie sind kein neues Phänomen, z.B. spielten sie eine wichtige Rolle im China in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dort handelte es sich um Herrschaftsbildungen, die auf agrarischen Strukturen aufbauten. Ihr Hauptziel war die ökonomische Unabhängigkeit und die Verteidigung gegen konkurrierende Warlords. Sie agierten in einer relativ geschlossenen Wirtschaft. Ganz anders die „modernen“ Warlords, die von einer offenen Ökonomie abhängig sind. Sie können nur über ihre wirtschaftlichen Verbindungen mit dem „friedlichen“ Kapitalismus existieren. Das betrifft die städtischen Banden in den großen Städten Brasiliens genauso wie die Herrscher in Afghanistan, Sierra Leone, Liberia oder dem Kongo. Sie beschränken sich nicht auf Machtausübung, sondern sind auch UnternehmerInnen.

Ein großer Teil dieser Kriege findet nicht in den ärmsten Gebieten statt, sondern in rohstoffreichen Regionen, deren Waren- und Reichtumsströme direkt mit dem Welthandel verbunden sind. So z.B. in Angola, wo der Krieg von Regierungsseite mit Erdölprofiten, von der Seite der Unita mit Geld aus dem Diamantenhandel finanziert wird. Im Osten des Kongo kämpfen Warlords und die Eliten der benachbarten Staaten Uganda, Ruanda und Burundi um die Ausbeutung von Coltan als Grundstoff zur Produktion von Handys. [4] Wo es keine Rohstoffe für einen „legalen“ Markt zu liefern gibt, gibt es eine Verbindung zur Schattenökonomie der organisierten Kriminalität. Nicht umsonst gilt Afghanistan als einer der wichtigsten Drogenproduzenten und die Protektoratsgebiete des Westens im ehemaligen Jugoslawien als Umschlagplätze des zu einem großen Teil illegalen Sexmarktes. Die Ausbeutung an der Peripherie hat offensichtlich zwei Gesichter: einerseits die Vernutzung von Arbeitskraft in Weltmarktfabriken und Maquioladoras, wo fordistische Disziplinierung und Ruhe herrschen, andererseits die Förderung von Rohstoffen durch zu einem großem Teil bewaffnete DienstleisterInnen.

Für die Finanzierung der Warlords (ihre Reproduktion) spielen neben EmigrantInnengemeinden auch die Flüchtlingslager und die darin aktiven NGOs eine große Rolle. Diese Strukturen bedeuten wirtschaftlichen Zufluß, aber sie sind auch ein Faktor der Organisation der Biomacht im Empire. NGOs und Hilfsorganisationen repräsentieren die von den Netzwerken der Macht am weitesten entfernten Individuen (... the capillary ends of the contemporary networks of power ...). Sie sind für sie da und gemeinsam und in Wechselwirkung mit Warlords und KriegsunternehmerInnen entscheiden sie über Leben und Tod. (Hardt / Negri 2000, S. 312ff)

Für Münkler (S. 159) spielen richtigerweise ethnische, kulturelle und religiöse Faktoren nur eine untergeordnete Rolle. Sie sind weder die Ursache der Konflikte, noch sind sie ein Faktor zur unendlichen Weiterführung – ein Ausgleich oder Friedensschluß zwischen politischen (ideologischen, ethnisch-nationalen, religiösen, kulturellen) Gruppen wäre möglich. Solche Faktoren wirken in bestimmten Phasen verschärfend und beschleunigend. Maßgeblich für die Verlängerung der Kriege sind ökonomische Faktoren, eben die Verwobenheit mit der Ökonomie des Empire. In den westlichen Medien wird Jugoslawien immer als Beispiel für die Dominanz ethnischer Auseinandersetzungen gebracht. Diese spielten eine gewisse Rolle, wurden aber durch andere Konfliktlinien überlagert, die häufig dominierender waren. Die Warlords im Bosnienkrieg 1992-1995 nützten zwar nationalistische Gründe als Legitimation für ihre Gefolgschaft, entscheidender waren die Reproduktionsbedingungen in Zusammenhang mit den Möglichkeiten zur persönlichen Bereicherung. Bekannter (da es noch in das ethnische Schema passt) ist die Zusammenarbeit wechselnder Allianzen (kroatische und serbische Milizen gegen moslemische, moslemische gegen serbische etc), weniger diskutiert wird, dass es auch Auseinandersetzungen „innerethnischer“ Banden gegeben hat (z.B. um den Schwarzmarkt in Sarajewo) und eine der brutalsten Phasen der Kampf moslemischer Warlords gegen einen Beherrscher einer moslemischen Enklave (Fikret Abdic in Bihac) war– es handelte sich um die Region, wo noch Ressourcen zu holen waren, weil Abdic diese Region bis dahin aus dem Krieg heraushalten konnte. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der erste Verurteilte einer serbischen Miliz durch den Gerichtshof in Den Haag ein „Kroate“ war. [5]

Die Asymmetrie der Kriegsführung

Ein weiteres ökonomisches Argument, das Münkler (S. 131ff) für die Zunahme der neuen Kriege anführt, ist der einfache Zugang zu billigen Waffen. Auch für kleinere GewaltunternehmerInnen ist es möglich, auf dem Markt Kalaschnikows oder Landminen zu erwerben. Die gebräuchlichsten Fahrzeuge sind Pick-ups, die auch für den zivilen Verkehr immer attraktiver werden. Parallel mit dieser Verbilligung der Waffen findet auf der staatlichen Ebene eine massive Verteuerung des Kriegsgeräts statt. Schon die Sowjetunion konnte mit der technologischen Entwicklung der Waffensysteme nicht mithalten, die Situation hat sich seither weiter verschärft. Nur noch die USA sind fähig, Waffen von der weltraumgestützten Abwehr bis zu den neuesten elektronischen Entwicklungen auf dem Gefechtsfeld zu entwickeln. Die Verbilligung auf der einen Seite und die Verteuerung auf der anderen hat die Ungleichheit der Kriegsökonomie bis ins Extrem verstärkt.

Aufgrund seiner Staats- und Ordnungsfixiertheit sieht Münkler die Notwendigkeit zur Intervention „interessierter Dritter“ und meint damit die Truppen des Westens (S. 207ff). Teilweise widerspricht er sich dabei selbst, weil er an anderen Stellen den Einfluß von außen für kriegsverlängernd hält (S. 81 über den Dreißigjährigen Krieg, 159ff über Ökonomie und Politik in „modernen“ Kriegen). Andererseits sieht er aufgrund der konkreten Erfahrungen der Interventionen der letzten Jahre eine Reihe von Gefahren, die westliche Interventionen in sich bergen.

Er nimmt zwar an, dass Truppen westlicher Staaten korruptionsresistenter seien als billigere und mit der Umgebung vertraute bewaffnete Einheiten benachbarter Staaten (S. 231). Aber selbst das stimmt nur begrenzt, wie einzelne Fälle von Menschen-, Drogen- und Frauenhandel durch UNO-SoldatInnen in Kambodscha, in Bosnien und im Kosovo zeigen. Auch die Brutalisierung durch die Kriegsführung macht vor den (angeblich) disziplinierten westlichen SoldatInnen nicht halt, wie u.a. die Foltervorwürfe gegen einen österreichischen UNO-Soldaten im Kosovo zeigen. Die Tendenz der Berichterstattung – westliche SoldatInnen, PolizistInnen, UNO-VerwalterInnen sind gut – läßt darauf schließen, dass es sich dabei nur um die Spitze eines Eisberges handelt. Verschärfend wirkt noch, dass der Medienfokus auf einer bestimmten Region liegt (wie im Winter und Frühjahr 2003 im Irak, wen interessierten in dieser Zeit neuerlich auftretende Spannungen im ehemaligen Jugoslawien). Westliche Truppen sind immer mehr als (polizeiliche) Ordnungskräfte zu sehen, es wird nicht damit gerechnet, dass „eigene“ Soldaten sterben oder verletzt werden, sie sind SoldatInnen, um zu töten, ohne sterben zu müssen wie in den „heroischen“ Kriegen zwischen europäischen Staaten. [6] In Afghanistan zeigt sich inzwischen, wie sehr die internationalen Truppen Teil des Warlordsystems geworden sind (oder wie es in den Medien heißt, von den Warlords benutzt werden). Sie sind Teil der Struktur, die durch die Verbindung zum Kapitalismus Kriege verlängert und aufrecht erhält.

Neben der Gefahr der Korrumpierung der westlichen Interventionstruppen sieht Münkler eine weitere Entwicklung im Ausnutzen der Asymmetrie durch die GegnerInnen der überlegenen bewaffneten Strukturen (über Terrorismus S. 175ff, über Kosten-Nutzen-Faktoren im Allgemeinen S. 207ff). Während der Zeit der verstaatlichten Kriege wurde bewußt die Möglichkeit der Asymmetrisierung der Kriegführung durch Guerilla- oder PartisanInnenkrieg ausgeschlossen, u.a. sicherlich weil die Angst vor bewaffneten Unterklassen zu sehr eine Bedrohung der eigenen herrschenden Systeme bedeuten hätte können. Mit der (fordistischen) Fabrikgesellschaft im 20. Jahrhundert begann in den beiden Weltkriegen die Massenmobilisierung der Männer in den Krieg, der Frauen in die physische und psychische Versorgung (als Krankenschwestern, Unterhalterinnen und Prostituierte) und der Männer und Frauen in die Fabrik. So dehnte sich der Krieg auf die ganze Gesellschaft aus und betraf immer mehr auch ZivilistInnen. [7] Als Antwort auf die Blitzkriegstrategie mit Hilfe der technologischen Überlegenheit entwickelte sich der PartisanInnenkrieg, der von vorneherein von einer asymmetrischen Situation ausging. Die Kämpfe wurden nicht mit den technologisch, organisatorisch und zahlenmäßig überlegenen Kräften gesucht, sondern mit schwachen Kräften der Nachhut und Versorgung.

In den kolonialen Befreiungskriegen wurde (z.B. in der Theorie von Mao) der PartisanInnenkrieg vom taktischen Moment zur Ergänzung des Krieges mit regulären Truppen zu einem strategischen Konzept (im Jugoslawien des zweiten Weltkriegs, im revolutionären China, im vietnamesischen und algerischen Befreiungskampf gegen Frankreich und gegen die USA in Vietnam allerdings nur als erste Stufe – S. 188).

In der weiteren Diskussion entwirft Münkler (S. 175ff) eine interessante Perspektive in bezug auf den Begriff des „Terrorismus“. Er lehnt eine moralische Beurteilung ab – Guerilla- und PartisanInnenkrieg sei gut und Terrorismus sei schlecht – u.a. weil die Bezeichnung immer vom Standpunkt und den politischen Interessen abhängt, viele TerroristInnen der antikolonialen Befreiungsbewegungen wurden später staatstragende Personen. Er sieht den Unterschied im Konzept: im PartisanInnenkrieg geht es darum, dem Feind physisch zu schaden, ihn zu zwingen, Truppen einzusetzen, seine Kampfkraft „real“ zu schwächen. „Terrorismus“ (auch im Gegensatz zum Terror, den alle Bewaffneten ausüben) baut auf einer psychischen Ebene auf, er will die Feinde, die Bevölkerungen psychisch beeinflussen, Angst hervorrufen oder umgekehrt zeigen, dass auch aus einer ohnmächtigen Position Widerstand möglich ist(S. 177ff). [8] Durch die steigende Asymmetrisierung in Richtung technologischer, taktischer und strategischer Überlegenheit auf der einen Seite kommt es zu einer Verschiebung in Richtung asymmetrischer Strategien von unten. Wurde z.B. in der Diskussion um Che Guevara und nachfolgender AkteurInnen in Lateinamerika und Europa der Guerillakrieg zum alleinigen strategischen Konzept, ergänzt durch Terrorismus (so wie oben beschrieben), so hat sich der Terrorismus des Al-Qaida-Netzwerkes als strategisch herausentwickelt. War der Partisanenkrieg noch von der Zustimmung einer Bevölkerung abhängig, will Al-Qaida die Zustimmung der Bevölkerung erst erzeugen. Durch die mediale Abhängigkeit des Terrorismus müssen die Aktionen immer mehr verschärft werden, um das mediale Rauschen zu durchdringen (S. 199). Es besteht keine Rückkopplung mehr auf die Bevölkerungen. Aus der steigenden Ohnmacht entsteht der Wunsch, Unsicherheit und Ohnmacht für die projizierten UnterdrückerInnen zu schaffen. Die Ohnmacht der palästinensischen KämpferInnen gegenüber der überlegenen militärischen Macht erzeugt den Wunsch, durch immer brutalere Attentate mit immer mehr Toten und Verletzten in der israelischen Bevölkerung Angst und Schrecken zu erzeugen.

Die technologische Perfektionierung auf der einen Seite drängt in Richtung der Erzeugung asymmetrischer Kampfformen. PartisanInnen- und Guerillakriege sowie Terrorismus werden zunehmen und die erste Stufe zur Warlordisierung bilden. Sehr viele Warlordstrukturen haben als Guerillas im West-Ost-Konflikt angefangen und sich dann verselbständigt, die Kriege orientieren sich nicht mehr an den damals noch konkurrierenden Weltmächten, sondern an der Ökonomie des Empire.

Der so genannte Kampf gegen den Terrorismus mit immer perfekteren militärischen Möglichkeiten und einer immer stärkeren Kontrolle der Bevölkerungen erzeugt erst den Terrorismus. Dieser Terrorismus entsteht nicht aus der Armut (wenn dann schon aus der Sichtbarkeit der Unterschiede zwischen Armut und Reichtum), sondern aus der immer stärkeren Betonung der Ohnmächtigkeit. Je stärker sich die BekämpferInnen des Terrorismus geben, desto mehr erzeugen sie Ohnmacht. Dann genügen Teppichmesser und Zivilflugzeuge als Waffe. So erzeugt der Kampf gegen Terrorismus den Terrorismus.

Warum Schurkenstaaten?

Die Interventionen des Westens in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts vom zweiten Golfkrieg 1991 in Kuwait und im Irak, über Somalia 1994, den Bombardements in Bosnien 1995, dem Kosov@-Krieg 1999 bis zum Afghanistan-Krieg 2001 wurden zwar als Kriege bezeichnet, trugen aber sukzessive immer mehr Kennzeichen von Polizeiaktionen in sich. Insbesondere der „Kampf gegen den Terrorismus“ ließ gar kein Element einer irgendwie gearteten Gleichwertigkeit aufkommen, im Gegensatz zum Irak 1991, zu Jugoslawien 1995 und 1999 hat es in Afghanistan kein echtes Kriegsende gegeben – trotz (oder gerade wegen?) der westlichen militärischen Präsenz herrscht dort noch immer keine Friedensordnung. Interventionen sind wie die Kämpfe der Polizei eines Imperiums, nur mit dem Unterschied, dass die Regionen, wo der Unterschied zwischen Krieg und Frieden verschwimmt, nicht an den Rändern liegen, sondern im Inneren des Systems, von den Gettos der Innenstädte über das ehemalige Jugoslawien bis Afghanistan.

Verbunden sind diese Einsätze mit einer Diskussion um die neuerliche Berechtigung eines „gerechten Krieges“, der während der symmetrischen Kämpfe der bürgerlichen Gesellschaft verschwunden war. Nur in dieser Phase hat die Clausewitz´sche Maxime gegolten, dass der Krieg die Fortsetzung der Politik mit militärischen Mitteln sei. Damit wird die Asymmetrie durch die ökonomische und technologische Überlegenheit noch durch eine moralische ergänzt. Wie Münkler berechtigt einwirft, bedeutet diese Asymmetrisierung von oben die Bestätigung der Asymmetrisierung von unten („Kampf gegen den Kreuzzug des Westens“). „Gerechter Krieg und heiliger Krieg stehen sich spiegelbildlich gegenüber. Sie bilden gleichsam eine Symmetrie der Asymmetrien.“ (S. 57). Moralisch wird von beiden Seiten argumentiert.

Der kurze Legitimitätsgewinn des Krieges gegen den Terror und der Unterdrückung von Widerständigkeiten nach dem Anschlag auf das World Trade Center ist inzwischen wieder verloren gegangen, weil keine sichtbaren Erfolge zu erkennen sind. Afghanistan ist so chaotisch wie vorher, polizeiliche Kriege gegen Drogen und Migration drohen zu scheitern. Die Bilanzfälschungsskandale der Konzerne Enron und Worldcom und andere Probleme haben die Krise der Weltwirtschaft verschärft, internationale Institutionen wurden durch die internationale Protestbewegung in Frage gestellt. Da der Terrorismus als Feindbild nicht mehr genügend Ergebnis zeigt, müssen (scheinbar) größere Feinde aufgebaut werden. So ist ein Moment, warum der Krieg gegen den Irak durchgeführt wurde, der Aufbau eines echten Feindes mit einer vermeintlichen Symmetrie und dadurch einem größeren Gefährdungspotential, eben die Bekämpfung eines „Schurkenstaates“ (vgl. auch Kurz 2003, S. 415). Es geht um die Simulation eines „echten“ Krieges. Tatsächlich bleibt es ein überdimensionierter Militärschlag gegen einen mickrigen Feind. [9] Der forcierte Alleingang der USA und einiger Verbündeter hat aber zu weiteren Legitimationsverlusten internationaler Organisationen und Strukturen geführt. Nicht nur die UNO ist in die Krise geraten, sondern auch die NATO und die Europäische Union.

Die weltweite Friedensbewegung ist einerseits ein Produkt der Risse in den herrschenden Strukturen (z.B. zwischen Deutschland und Frankreich auf der einen Seite und den USA und Großbritannien auf der anderen), andererseits hat es die Konflikte beschleunigt und verstärkt. Ohne die Stärke der Bewegung hätten sich die staatspolitisch motivierten „KriegsgegnerInnen“ wieder angepaßt und den Krieg aus realpolitischen Gründen mitgemacht.

Die Bewegung gegen einen Krieg gegen den Irak war und ist eine „Friedens“bewegung in ihren auch fragwürdigen Inhalten. Sie richtet sich in maßgeblichen Teilen nur gegen einen medial so benannten „Krieg“ mit spektakulärem Truppenaufmarsch, während die sonstigen Polizei- und Militärmaßnahmen z.B. im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan etc außerhalb des Blickpunktes liegen. Frankreich kann auf niedrigem militärischem Niveau in der Cote d´Ivoire intervenieren, ohne dass es große Proteste gibt. Ein großer Teil der DemonstrantInnen gibt allein Bush die Schuld und ignoriert die ebenso fragwürdige Rolle anderer Staaten wie z.B. Deutschlands und Österreichs in den Kriegen in Jugoslawien. Auch jetzt sind nicht allein die USA an der Durchsetzung einer kriegerischen Weltordnung beteiligt. Nicht umsonst wird in der EU über eine Eingreiftruppe diskutiert und deutsche (teilweise auch österreichische) SoldatInnen und PolizistInnen stehen in Bosnien, in Mazedonien, im Kosov@ und auch in Afghanistan. Auch im Irak ist der relative Alleingang der USA nicht mehr als eine überdimensionale Polizeiaktion, wo ein Teil der US-Elite eine unterschiedliche Sichtweise der Dinge hat und natürlich auch eigene Kapitalinteressen. Ich traue mich darauf wetten, dass in Zukunft die Verwaltung des Irak trotz aller gegenteiliger Rhetorik in internationale, also auch europäische Hände gelegt wird. Allein die Kosten einer Kriegs- und Nachkriegsverwaltung würden trotz der Möglichkeit für Profite für Einzelfirmen (z.B. mit dem Öl) auch eine Ökonomie wie die der USA überfordern. Erst recht, wenn es zu chaotischen Verhältnissen und einer Warlordisierung im Bereich des persischen Golfes kommt.

Kriege im mittleren Osten

Ein weiterer Brennpunkt des öffentlichen Diskurses ist die Diskussion um Israel und die Unterdrückung der PalästinenserInnen. Ein Grund, weshalb sich große Teile der globalen Protestbewegung dafür engagieren, ist, dass es sich dabei um den letzten Rest einer kolonialähnlichen Struktur handelt, wo der Westen direkt involviert ist (vielleicht mit der Ausnahme der KurdInnen in der Türkei). Alle anderen rassistischen Unterdrückungsstrukturen betreffen nur Staaten und Mächte (wie z.B. die Unterdrückung der animistischen und christlichen Bevölkerung im islamischen Sudan oder die Unterdrückung indigener Bevölkerungsgruppen in Indien), deren Bedeutung nicht über die Region hinausreicht. [10]

War die erste Intifada von 1987 bis 1994 zumindest in der ersten Phase noch von sozialen, auch emanzipatorischen Elementen getragen, so trägt die zweite Intifada ab 2000 bereits die Elemente eines niederschwelligen Krieges mit zunehmender Warlordisierung in sich. Das drückt sich in der geringeren Beteiligung der Bevölkerung aus, bewaffnete Aktionsformen können immer nur „für andere“ passieren, behaupten also die Repräsentation einer Bevölkerung (was allerdings nichts über eine passive Unterstützung aussagt). Aus den asymmetrischen Kampfbedingungen ist es auch logisch, dass der Terrorismus eine immer bedeutendere Rolle spielen musste. Militärisch können die palästinensischen KämpferInnen einem westlich ausgerüsteten Staat nichts entgegensetzen. Die Unterdrückung durch den israelischen Staat und die verzweifelte Verschiebung hin zur Brutalität hat inzwischen die palästinensische Gesellschaft polarisiert und zerstört, sodass eine Lösung immer schwieriger wird. Trotz seiner Überlegenheit wird Israel auch den Terrorismus nicht besiegen können, im Gegenteil, der Terrorismus ist ja gerade das Produkt der Ohnmächtigkeit, die Verstärkung der Ungleichgewichtigkeit nach dem Scheitern der ersten Intifada und des Friedensprozesses.

Israel ist so demokratisch und rassistisch wie jeder Nationalstaat auch. Es gibt keine Lösung des Konfliktes, im Gegenteil ist es so, dass das demokratische Israel durch den Krieg auf niedrigem Niveau bereits so infiziert ist, dass auch dort eine Verhärtung und Brutalisierung der Gesellschaft stattfindet. Erst „.. eine qualitativ neue, radikal antikapitalistische und ihrem Selbstverständnis nach von vornherein transnationale, poststaatliche soziale Oppositionsbewegung...“ (Kurz 2003, S. 132 ff) könnte die Situation in Bewegung bringen. Große Teile der globalen Protestbewegung und die an sie anschließende Friedensbewegung machen dabei den Fehler, dass sie den Fokus gerade auf die letzte kolonialähnliche Struktur richten und sich dabei unkritisch gegenüber einem palästinensischen Nationalismus zeigen. Es sollte umgekehrt sein, PalästinenserInnen und Israelis sollten sich an den internationalen Bewegungen orientieren und nicht nur Empathie für die eigene Seite fordern – die eigenen Opfer herausstellen und die anderen ignorieren, was durch die physische Trennung immer schwieriger wird. Auch die Bevölkerungen im arabischen Raum sollten sich endlich gegen die eigenen HerrscherInnen und AusbeuterInnen richten und sich nicht gegen einen Außenfeind, eben Israel in einen herrschaftserhaltenden psychischen Kriegszustand mobilisieren lassen.

Bei den weltweit dominierenden asymmetrischen Gewalt- und Machtverhältnissen gibt es echte „Kriege“ nur mehr als kurzfristige Ausnahme. Eher gibt es eine Tendenz zum permanenten Krieg oder einer Vermischung von Krieg und Frieden. Die Interventionen in Jugoslawien und Afghanistan haben nur eine relative Befriedung gebracht, teilweise wurden Konflikte verschoben, teilweise sind sie eingeschlafen. Bei jeder neuen Intervention werden immer mehr auch westliche SoldatInnen, PolizistInnen, ZöllnerInnen etc in die Ökonomie der neuen Kriege und die damit zusammenhängenden Kriminalität hineingezogen.

Der Kapitalismus schafft Warlordstrukturen und Terrorismus, die dann wieder zur Rechtfertigung für weitere Unterdrückung herhalten und eine Rechtfertigung bilden für die repressiven Strukturen der Nationalstaaten – während sich eine große Anzahl anderer staatlicher Funktionen internationalisieren. Je mehr gesellschaftliche Strukturen in kriegerische Auseinandersetzungen hineingezogen werden, desto wichtiger sind die Elemente, die repräsentativ für die Unterdrückten auftreten und die sozialen und emanzipatorischen Bedürfnisse in nationalistische, religiöse oder Warlord-Strukturen vereinheitlichen, oder besser: die Vereinheitlichung erzwingen. Emanzipatorische Bewegungen können nur transnational sein und außerhalb dieser Konfrontationslinien, dieser „Fronten“ entstehen. Auch wenn die internationale Friedensbewegung teilweise einen falschen Blickwinkel hatte, wurden dadurch Teile der herrschenden Strukturen delegitimiert. Nicht nur die repräsentativen Strukturen verschiedener Nationalstaaten wurden in Frage gestellt, auch eine Reihe internationaler Organisationen wie z.B. UNO, NATO und EU haben ihre integrierende Funktion verloren. Das bedeutet nicht unbedingt ein Schritt in Richtung Emanzipation, aber es schafft bessere Bedingungen für emanzipatorische antikapitalistische Bewegungen.

„Korruption“ im Empire ist die zunehmende Vermischung von Krieg und Frieden, von Kriminalität, Militär- und Polizeiaktion an allen möglichen „Barbarengrenzen“ innerhalb des Empire. Interventionen und Konflikte von Los Angeles über Rio bis Kolumbien und Afghanistan werden weiter zunehmen. Warlords werden als Gegner und Verbündete des „Systems“ auftauchen und werden existieren, solange sie von der kapitalistischen Ökonomie genährt werden. Feinde werden auftauchen, die „internationale Gemeinschaft“ wird die Konflikte managen, dabei aber neue Konflikte und Frontstellungen produzieren. Milosevic und Saddam können einmal Freunde sein, dann wieder Feinde. Sich auf ihre Seite zu stellen, weil sie gegen das Empire seien, ist Unsinn, sie sind als produzierte Opposition konstituierend für das Empire.

Eine emanzipatorische Bewegung der Multitude muß sich Frontstellungen verweigern, sie muß um ihre Wünsche und Bedürfnisse kämpfen, das sind Leben, Liebe und Kreativität und nicht ein repräsentierter Popanz wie Volk, Nation oder Staat. Abgesehen davon, dass in einer Phase des Niedergangs der Nationalstaaten - es bleibt beinahe nur noch Repression und Kontrolle - eine Neugründung wie Palästina völlig anachronistisch wäre, zeigt sich gerade dort, dass mit religiösen und nationalistischen Identitätskonstruktionen nur Terror und Herrschaft entstehen.

Literatur:

  • Hardt, Michael, Negri, Antonio (2000): Empire. Cambridge (Mass): Harvard University Press. (Empire)
  • Kurz, Robert (2003): Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung. Bad Honnef: Horlemann.
  • Münkler, Herfried (2002): Die neuen Kriege. Reinbek: Rowohlt.
  • Negri, Antonio, Hardt, Michael (1997): Die Arbeit des Dionysos. Berlin – Amsterdam: Edition ID-Archiv.

[1Kurz zitiert aus einem Abschnitt, der mit Symptoms of Passage im Teil Passages of Sovereignty überschrieben ist (Hardt / Negri 2000, S. 146ff), wo es darum geht, zu zeigen, dass der Fundamentalismus nicht rückwärtsgewandt, sondern ein Ausdruck der Postmoderne ist. Dieser Teil des Buches ist die Beschreibung der Entwicklung der Souveränität vom Beginn der Moderne bis zur heutigen Situation des Empire. Diese Herrschaftsausübung entsteht in Wechselwirkung mit den Kämpfen der Multitude, es werden aber die Verschiebungen und Veränderungen von Macht und Staat beschrieben. Fundamentalismus ist als Teil der Souveränität des Empire gegen die Multitude zu sehen, auch als Teil eines internationalen Krisenmanagements.

[2Es kostete mich Überwindung, die nicht-sexistische Schreibweise zu verwenden, da in den symmetrischen Kriegen der modernen Geschichte die KombattantInnen nur männlich waren. Das ändert sich erst in den letzten Jahren. Den geschlechtlichen Aspekt der Kriege kann ich in der Kürze nicht behandeln, in den „neuen Kriegen“ spielt männliche Machtausübung u.a. durch pubertierende Machojugendliche eine große Rolle. Sexuelle Gewalt fungiert als Kommunikation der „Männer“ über die Körper und Körperlichkeit der „Frauen“. (S. 149)

[3Foucault hat den Drill stehender Heere als Modell für die Fabrikdisziplin gesehen. Die nationalen Massenheere können so mit der Mobilisierung für die fordistische Fabrik verglichen werden. Mit der Zunahme von Jobs und Dienstleistungen im Postfordismus läßt sich auch eine Parallelität zum Militär sehen. Neben Warlords und SöldnerInnen bekommen auch die Militärs in den westlichen Staaten immer mehr Jobcharakter. Wehrpflichtigenarmeen werden durch Berufsheere ersetzt. Es gibt keine Massenmobilisierungen mehr für den kapitalistischen Staat, sondern die Aufgaben sind Dienstleistungen im Rahmen internationaler Einsätze oder polizeilicher und militärischer Interventionen.

[4Indirekt sind beinahe alle Staaten des subsaharischen Afrika mehr oder weniger in den Kriegen im Kongo involviert. Involviert sind aber auch multinationale Konzerne, deren Management teilweise in den USA, in Frankreich und in Südafrika sitzt.

[5Der Eindruck der Ethnisierung wurde noch dadurch verstärkt, dass sich die Menschen aus der Region dem allegemeinen Bild anpassten. Durch die Feindlichkeit gegenüber den SerbInnen im Westen haben sich AnhängerInnen von Abdic als Flüchtlinge natürlich als Opfer serbischer Milizen ausgegeben, weil sie nur dadurch einen Mitleidseffekt erreichen konnten. Münkler (S. 228ff) meint - besonders mit Blick auf Jugoslawien - westliche Interventionen fänden statt, um die Beispielwirkung „ethnischer Säuberungen“ zu verhindern. Die Lehre für die Menschen dort dürfte aber eher sein, dass es wichtig ist, auf Seiten des Westen zu stehen, dann ist alles möglich. Der vorletzte multiethnische Staat (außer Mazedonien) ist Serbien-Montenegro (früher Jugoslawien), während alle vom Westen unterstützten neuen Staatskonstruktionen (Kroatien, Bosnien und jetzt auch das NATO-Protektorat Kosov@) „ethnisch gesäubert“ wurden.

[6Durch die technologische und organisatorische Überlegenheit ist es unwahrscheinlich, dass im Irak viele westliche SoldatInnen sterben müssen. Probleme gegenüber der Öffentlichkeit in den Metropolen sind eher die Opfer in der Zivilbevölkerung. Die überlegenen Waffen verleiten durch die Entfernung der KämpferInnen von den Getöteten zu Massakern an gegnerischen SoldatInnen oder ZivilistInnen (Münkler S. 236) – z.B. das Truthahnschießen auf flüchtende Irakis mit zehntausenden Toten auf der Autobahn zwischen Kuwait und Basra am Ende des zweiten Golfkrieges 1991.

[7Münkler zeigt dabei auf, dass der Bombenkrieg der Alliierten im zweiten Weltkrieg eine ökonomische Logik hatte. Es ging darum, die ArbeiterInnen der mobilisierten Fabrikgesellschaft von der Arbeit abzuhalten, war also nicht mehr als die logische Folge der Mobilisierung der ganzen Gesellschaft in die Kriegsanstrengungen (S. 217). Bezeichnenderweise findet eine rationale Diskussion in Deutschland und Österreich nicht statt, sondern es wird nur von der eigenen Opferrolle gesprochen, um nicht über den Terror gegen JüdInnen und andere Bevölkerungen sprechen zu müssen.

[8Negri / Hardt (1997, S. 153ff) sehen Terrorismus (wie auch „Gewaltfreiheit“) als symbolischen Akt, abhängig von den medialen Reaktionen. Interessanterweise vergleicht auch Münkler diesen Aspekt des „Terrorismus“ mit den Aktivitäten von NGOs wie z.B. Greenpeace“ (S. 198)

[9In der kurzen Zeit des Krieges hat es für die Medienöffentlichkeit zwei „Überraschungen“ gegeben: der erstaunlich zähe Guerillakampf im schiitisch besiedelten Süden des Irak und der beinahe kampflose Fall Bagdads. Für den ersten Teil gibt es Erklärungen: Saddam Hussein hat aus dem ersten Golfkrieg gelernt und hat sich auf eine asymmetrische Kriegsführung eingestellt. Dafür genügt für eine kurze Zeit eine neutrale Bevölkerung und relativ wenige Aktive – die außerdem einen bewaffneten Druck gegen einen Aufstand ausüben können. Für den zweiten Teil: vermutlich ist Bagdad viel zu sehr säkulare Großstadt, als dass sich eine große Zahl von Menschen auf einen selbstzerstörerischen Kampf gegen eine überlegene Militärmacht eingelassen hätte. Für jeden Menschen steht das eigene Leben und Überleben im Zentrum. Auch die herrschenden Eliten und die Bürokratie hat hauptsächlich (Über)Lebensinteressen. Darum halte ich es nicht für unmöglich, dass sich ein Teil der Führungsspitze – wie in arabischen Medien spekuliert – nach Saudi-Arabien (eher als nach Syrien) abgesetzt hat oder auch nur untergetaucht ist.

[10In den nationalistischen und antiimperialistischen Teilen der „Antiglobalisierungsbewegung“ gibt es zumindest eine untergründige Verbindung zum Antisemitismus. JüdInnen als wurzel- und heimatlose VertreterInnen des abstrakten Werts haben im Gegensatz zu den Blut-und-Boden -„Völkern“ kein Recht auf Staatsbildung. Im Laufe der Zeit wurde der Antizionismus von einer antinationalen Strömung von JüdInnen zu einem indirekten Code für versteckten Antisemitismus. Israel hat genauso viel Recht wie jeder andere Nationalstaat solange es noch Staaten und Nationalismen gibt. Kritik an der rechtsradikalen Regierung und rassistischen Maßnahmen ist unbedingt notwendig und dient der Existenz Israels mehr als die Denunziation jeder Kritik als antisemitisch – durch die Inflationierung wird dieser Begriff bloß entwertet.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
2003
, Seite 4
Autor/inn/en:

Robert Foltin:

Robert Foltin ist Linguist und in autonomen Diskussionszusammenhängen in Wien aktiv.

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