Context XXI » Print » Jahrgang 2001 » Heft 1/2001
Roland Atzmüller

Arbeit muss sich wieder lohnen

This is what Mrs. Thatcher has called for. (Sir Keith Joseph, Politikberater der konservativen Regierung der 80er)

Das Gerede von der öffentlichen Verschuldung, der Finanzkrise des Staates und der Sanierung des Staatshaushaltes, das Gespenst der über regulierten Arbeitsmärkte und zu hohen Lohnnebenkosten verschleiert, dass neoliberaler Politik vor allem auf eine Reorganisation der Lohnarbeit und Arbeitsverhältnisse abzielt. Dies soll am Beispiel Großbritannien näher erläutert werden.

Etwas „has gone wrong“, Großbritannien war in der „Krise“, darüber herrschte Konsens in den Diskussionen der 70er Jahre. Zwar hatte das Land am fordistischen Boom teilhaben können und war der Lebensstandard der Bevölkerung angestiegen, doch GB war in Relation zu konkurrierenden Staaten zurückgeblieben.

No Future for England’s dreaming

Das Wirtschaftswachstum lag 50% unter dem OECD-Schnitt, die einstige Leitwährung des Weltmarktes musste 1967 und 1976, jeweils unter einer Labour-Regierung, abgewertet werden. Die Weltwirtschaftskrise Anfang der 70er traf die britische Ökonomie besonders hart und die Arbeitslosigkeit stieg rascher als in anderen Industriestaaten, da die Schwäche des britischen Kapitalismus, die traditionellen Industrien im Norden Englands schneller zusammenbrechen ließ. Weitläufige Verarmungsprozesse wurden daher in den sogenannten „inner cities“, in denen v.a. „ethnische“ Minderheiten und ArbeiterInnen schon in den 70ern sichtbar.

Die „British Disease“ konstituierte in den hegemonialen Auseinandersetzungen nicht nur die materiellen Bedingungen der verschieden sozialen Kräfte, sondern wurde selbst zum Inhalt dieser Auseinandersetzungen um die zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen.

Die von Labour angebotene „Lösung“ bestand Mitte der 70er in einem „Social Contract“ mit den Gewerkschaften. Labour bot den Unions wohlfahrts- und industriepolitischen Maßnahmen zur Sicherung des Lebensstandards und zum Ausbau der Beschäftigung im Austausch für eine sogenannte moderate und akkordierte Lohnpolitik. Korporatistische Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, die zuvor die konservative Regierung, die quasi-neoliberale Maßnahmen einführen wollte, zu einer Fortsetzung der keynesianischen Expansionspolitik gezwungen hatten, und reformistischer Ausbau des Wohlfahrtsstaates statt einer konfrontativen Strategie, sollten die „Krise“ lösen. Doch die Finanzprobleme Großbritanniens und die Entscheidung der Labourregierung einen Stützungskredit des Währungsfonds, der an die Umsetzung erster monetaristischer Maßnahmen zur Kontrolle der öffentlichen Ausgaben gebunden war, anzunehmen, ließ den Social Contract zusammenbrechen. Die Gewerkschaften konnten fortgesetzte Reallohneinbußen ihrer Mitglieder nicht mehr hinnehmen, eine Reihe von Streiks im sogenannten „Winter of Discontent“ 1978/79 war die Folge, Margaret Thatcher wurde 1979 Premier.

Es war ein Reihe konservativer Thinktanks, die eine neu-rechte „Geschichte“ der krisenhaften Entwicklung nach 1945 verbreiteten, welche auf einen „Bruch“ mit dem wohlfahrtsstaatlichen Orientierung und der den Gewerkschaften zugestandenen Rolle abzielten. In und durch dieses neue „Wahrheitsregimes“ über die „Krise“ erlangten bestimmte gesellschaftliche Gruppen (UnternehmerInnen und „middle England“) ein ihnen plausibel erscheinendes Bewusstsein ihrer Lage, wodurch sie diese in den alltäglichen Verhältnissen auskämpfen und damit ihre soziale Stellung rekonstituieren konnten.

Unter Margaret Thatcher wurde dieses Set neoliberalen und neokonservativen „Wissens“ zur Grundlage des „autoritär-populistischen“ Angriffs auf den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat und die britischen Gewerkschaften.

Und diese Geschichte war nicht nur History sondern auch Story und hatte daher einen eigenen „plot“ mit Helden und Bösewichten. Die Guten, das waren die Entrepreneurs, Familien und der „freie Markt“, die jedoch von den Gewerkschaften, dem Wohlfahrtsstaat und „creeping socialism“ in ihrer Freiheit bedroht wurden. Rettung konnte daher nur eine „Market-Revolution“ und ihre Prophetin bringen.

The Old Testaments prophets did not say ‚Brother, I want a consensus‘. They said: ‚This is my faith. This is what I believe. If you believe it too, then come with me‘. (Margaret Thatcher, 1979)

Die Gewerkschaften und „the right to manage“

Für das neoliberale Projekt waren die Gewerkschaften nicht Teil der Lösung sondern Teil des Problems. Sie sind diese Schuld an Inflation und der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung, da ihre Macht wichtige wirtschaftliche Mechanismen außer Kraft setze. Gewerkschafter behaupten zwar, sie hätten den Lebensstandard der Arbeiter erhöht, tatsächlich aber seien sie das größte Hindernis für ein Ansteigen des Lebensstandards, da sie aufgrund ihrer Monopolposition am Arbeitsmarkt die Löhne ihrer Mitglieder auf Kosten der restlichen Lohnabhängigen steigern, Arbeitslosigkeit erzeugen und die Bewertung der Ware Arbeitskraft verzerren würden. „Prices or wages cannot be a matter of justice if the economic system is to function“. (Hayek, 1986) Nur der Markt wisse, wo Leute gebraucht würden.

Die britischen Gewerkschaften stützten bis Ende der 70er ihre Macht auf ein dezentrales System des sogenannten „voluntary collective bargaining“ mit den Unternehmern. Eine weitergehende Reglementierung dieses Systems durch den Staat oder die Gerichte wurde in der Regel von beiden Seiten abgelehnt, wobei aber nach 1945 staatliche Politik diese „good industrial relations“, die neben diversen Vermittlungsinstitutionen in der legalen Immunität der gewerkschaftlichen Praktiken bestanden, förderte.

Die durch diese Immunität garantierten Freiheiten stellten eine notwendige Bedingung der kollektiven Interessensvertretung dar. Aufgrund des voluntaristischen Charakters des britischen Systems, dass die Entwicklung eines stabilen Systems korporativer Verhandlungsmuster verhinderte, beruhte die Situation britischer Lohnabhängiger nämlich in weit geringerem Ausmaß als anderswo auf bspw. arbeitsrechtlichen (etwa in bezug auf Arbeitszeit etc.) Regelungen oder einer gesetzlichen Fixierung der kollektivvertraglich festgelegten Löhne aller in einem wirtschaftlichen Sektor Beschäftigten. Die britischen Gewerkschaften konnten ihren Einfluss daher nur durch relativ hohe Mitgliederzahlen und die Fähigkeit zur industrial action, um Unternehmer zur Anerkennung des Collective Bargaining zu zwingen, behaupten. Nach 1945 war eine zunehmend radikale Shop-Steward Bewegung auf Fabriksebene entstanden, welche ihre Macht im unmittelbaren Produktionsprozess oft durch Wild Cat Streiks festigte. In Zeiten von Vollbeschäftigung, steigenden Mitgliederzahlen und staatlicher Förderung des „collective bargaining“ gelang es der ArbeiterInnenbewegung so, die managerielle Kontrolle über den Arbeitsprozess einzuschränken — etwa in bezug auf Personalpolitik indem etwa nur eingestellt werden durfte, wer Gewerkschaftsmitglied war („Closed Shop“), Job Demarcation, also die Definition zu leistender Tätigkeiten u.ä..

Die industriellen Beziehungen auf der Ebene der Produktion wurden im liberal-kapitalistischen Modell britischer Prägung traditionell als „adversarial“ charakterisiert (vgl. Coates, 2000).

Diese Spezifika der industriellen Beziehungen fanden in der marxistischen Labourprocess-Debate (vgl. Thompson 1989) in Großbritannien ihren Niederschlag, die v.a. das Kontrollproblem des Managements auf der Ebene der unmittelbare Produktion als zentrale Dimension des Klassenkampfes ansah. Dieses ergibt sich daraus, dass Unternehmer am Arbeitsmarkt zwar Arbeitskraft als Potential kaufen, deren Realisierung als lebendige Arbeit jedoch nicht garantiert ist. Die Frage, wie die ArbeiterInnen zum Arbeiten gebracht werden, liegt dem Kontrollproblem zugrunde und führt zur Spaltung des Arbeitsprozesses in ausführende und planende Tätigkeiten. Aus der Perspektive der „adversarial industrial relations“ im angelsächsischen Raum versucht das Management, das Wissen der Lohnabhängigen über ihre Arbeit zu enteignen, im Management zu konzentrieren, durch bürokratisch-rationale Verwissenschaftlichung transferierbar und damit den einzelnen Arbeiter ersetzbar zu machen. Das wissenschaftliche Management — Taylorismus — führt so zu einer systematischen Dequalifizierung und Entwertung der Arbeit der Lohnabhängigen, die auf einer potentiell unendlichen Zerlegung des Arbeitsprozesses beruht, welche als rational-bürokratische Arbeitsvorschriften, Fließbandtakt oder Zeitstudien etc. den Arbeitskräften aufgeherrscht werden.

Aufgrund des fiktiven Charakters der Ware Arbeitskraft handelt es sich trotz/wegen aller Versuche der Verwissenschaftlichung und bürokratisch-rationalen Steuerung der Arbeitsprozesse um ein gesellschaftliches Konflikt- und Machtverhältnis, in dem die aktive „compliance“, der Lohnabhängigen, die zwischen erzwungener Unterwerfung, Gehorsam oder aktive Zustimmung variieren kann, gesichert werden muss.

Hire and Fire, Dequalifizierung und repressive Maßnahmen zur Erhaltung der Disziplin, sowie im extremen Konfliktfall Einsatz staatlicher Gewalt erscheinen im britischen Kapitalismus als zentrale Managementstrategien zur Aufrechterhaltung der Produktion.

Für die Labourprocess-Debate wird die Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Arbeitsprozesse und der Produktivkräfte als gesellschaftlicher Verhältnisse Grundlage der kollektiven Organisierung der Lohnabhängigen auf der unmittelbaren Ebene der Produktion.

Dezentrales Collective bargaining wurde als Form der Interessensdurchsetzung der Beschäftigten gegenüber dem Management, in der aber die „adversarial“ Dimension erhalten blieb, angesehen. Die Entwicklung einer korporatistischen Organisation der industriellen Beziehungen kontinentaleuropäischer Prägung und ein weitergehender makroökonomischer Einfluss der Gewerkschaften scheitert.

Ein „cooperative approach was rejected because it felt to undermine the cherished ‚right to manage‘ (...) The result was twofold: space was left for workers to develop their own shop-floor practices, and the oscialltion between toughness and distancing from the shop floor promoted distrust of management which allowed workers (...) to build on these practices an institutional challenge to managerial authority.“ (Edwards et al 1998: 3)

In den politischen und wirtschaftlichen Bedingungen nach 1945 gelingt es daher den Unions Macht über die unmittelbaren Produktionsprozesse zu erlangen und die manageriellen Praktiken einzuschränken und zu reglementieren.

Die Rekonstruktion der Lohnarbeit und der Wohlfahrtsstaat

Neben der gewerkschaftlichen „Verantwortungslosigkeit“ ist es v.a. der nach 1945 geschaffene Wohlfahrtsstaat, welcher zum zweiten zentralen Element der neoliberalen Kritik wird. Und auch hier ist das Recht des Entrepreneurs am Markt zu agieren, Dreh- und Angelpunkt der Analyse. Hohe Steuern, die Regulierung der Arbeitsmärkte und eine Unterminierung des Arbeitsethos, durch großzügige eine marktkonforme Entwicklung der Löhne behindernde Welfare-Benefits, werden als Ursache der Wettbewerbsprobleme und mangelnden Dynamik des britischen Kapitalismus artikuliert. Was also als Deregulierung und Flexibiliserung der Märkte und Sanierung der Staatsfinanzen durch Einschränkung der Wohlfahrtsausgaben vorgestellt wurde, zielte direkt auf eine Reorganisation der kapitalistischen Arbeitsverhältnisse und macht die Dialektik bürgerlicher Wohlfahrtssysteme deutlich.

Diese sind Ergebnis des Drucks der ArbeiterInnenbewegung und gleichzeitig der Versuch einer den Verwertungsimperativen funktionalen Regulation und Kanalisation dieser Kämpfe, weswegen sie auch eine Niederlage weitergehender Projekte darstellen.

Im Wohlfahrtsstaat trägt die bürgerliche Gesellschaft der „Lebendigkeit“ der Arbeit und ihrer Nicht-Reduzierbarkeit auf eine warenförmigen Produktionsfaktor, dessen Reproduktion in nicht-kapitalistischen (Arbeits)verhältnissen erfolgt (etwa in den Geschlechterverhältnissen), Rechnung.

Dies verweist auf überschießende Momente der Lohnkämpfe welche nicht nur die Zeit in Lohnarbeit sondern auch außerhalb (Krankheit, Ausbildung, Alter) betreffen.

Im Wohlfahrtsstaat soll dieser potentiell System sprengende Widerspruch in einer den Verwertungsimperativen funktionalen Form, etwa durch die für Massenproduktion notwendige zyklenunabhängige Sicherung des Masseneinkommens, reguliert werden. Doch die Funktionalität dieser Systeme der sozialen Sicherung ist nicht garantiert, sondern selbst Medium und Inhalt sozialer Kämpfe, woraus sich die neoliberale Kritik erklärt. Die in vielen Systemen garantierte Sicherung eines gewissen Einkommens begrenzt die Bewegung der Löhne nach unten und verhindert, dass Lohnabhängige sich zu jedem Preis verkaufen müssen. Jenseits der unmittelbaren Intentionen der pro-wohlfahrtsstaatlichen PolitikerInnen — insbesondere der Sozialdemokratie — und der anvisierten Funktionalität dieser Systeme ermöglicht dies außerdem ein zumindest temporäre Trennung von Einkommen und Lohnarbeit und lässt den Lohnabhängigen die Option sich auf Dauer letzterer zu entziehen überhaupt erst bewusst werden.

Zur neoliberalen Kritik am Wohlfahrtsstaat gehört daher auch in Großbritannien die Jagd auf „Sozialschmarotzer“ und eine sogenannte Pensionskrise, angesichts längerer Pensionszeiten durch steigende Lebenserwartung und auch in GB vorhandener Trends zur Frühpensionierung.

Das Ziel ist eine sukzessive Delegitimierung von Wohlfahrt, da sie den Arbeitsethos unterminiere und zu moralischem Verfall führe.

Strategien

My policies are based not on some economic theory but on things I and millions like me were brought up with: an honest day’s work for an honest day’s pay; live within your means; put a nest egg by for a rainy day; pay your bills on time; support the police. (Margaret Thatcher)

Nach der demütigenden Niederlage, die die konservative Regierung gegen die Bergarbeiter, Anfang der 70er erlitten hatte, schien der Thatcher-Regierung eine Lösung des „union-problem“ als um und auf der Umsetzung ihres Projektes.

Sie warf daher die Gewerkschaften von Anfang an aus staatliche Institutionen hinaus und verweigerte praktisch jeden direkten Kontakt. Die durch die Austeritätspolitik bewusst vetiefte Rezession führte zum Kollaps der Industrie und damit jener Sektoren in denen die Gewerkschaften besonders mächtig waren. Die Explosion der Arbeitslosenrate und die Aufgabe der Vollbeschäftigungspolitik tat ein Übriges. Obwohl das Vorgehen der Regierung durchaus pragmatisch war, ließ die Regierung an ihrer Entschlossenheit nie Zweifel aufkommen. D.h. sie war zur offenen Konfrontation mit den Gewerkschaften, die sich lange Zeit den Maßnahmen der Regierung zu widersetzen versuchten, bereit.

Eine Reihe von Gesetzen, die direkt auf die Organisationen und Strategien der ArbeiterInnenbewegung abzielten, wurde zum zentralen Mittel des Angriffs auf die Gewerkschaften und der „Dekollektivierung“ der industriellen Beziehungen. Diese sollten das „Verantwortungsbewusstsein“ der Gewerkschaften in ihren Praktiken (Lohnforderungen, Streiks...) erzwingen, den „einfachen und anständigen“ Gewerkschaftsmitgliedern Schutz vor „Närreteien“ radikaler AktivistInnen bieten, was als Demokratisierung bezeichnet wurde und das Rechte der Beschäftigten nicht gewerkschaftlich organisiert zu sein, stärken.

Zu den ersten Maßnahmen gehörte die Aufhebung der Immunität gewerkschaftlicher Praktiken, die, folgen sie nicht den Gesetzen, nun auf Schadenersatz, der aus dem Eigentum der Gewerkschaften zu zahlen ist, klagbar sind. Jegliche Form von industrial action muss an eine komplizierte und kostspielige Abstimmungsprozedur mit zahlreichen Fristen und dergleichen gebunden werden, was den bürokratischen Aufwand erhöht und den Unternehmern ermöglicht sich adäquat vorzubereiten.

Alle Formen von Solidaritätsstreiks (secondary picketing), die in den 70ern eine wichtige Strategie zur Ausdehnung des collective bargaining darstellten, wurden illegalisiert, die Zahl der Streikposten auf 6 reduziert, der Closed Shop abgeschafft.

Doch die legistischen Vorschriften reichten nicht aus. Der Sieg über die Bergarbeiter 1984/85, die über ein Jahr für die Erhaltung der Minen gekämpft hatten, wurde zur symbolischen Demütigung der Gewerkschaften und Triumph des Thatcherismus über jegliche realistische Alternative von links. „This Lady is not for turning.“ (Margaret Thatcher)

Die Reorganisierung des Wohlfahrtssystems zielte auf jene Tendenzen, die unter dem Stichwort Sicherung des Lebensstandards durch kollektiv finanzierte Leistungen, den Zusammenhang von Arbeit und Einkommen aufzulösen schienen und die beliebige Nutzung von Arbeitskraft unterminierten. Sozialpolitik wird daher auf die Verhinderung absoluter Armut und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Individuen beschränkt.

Diese Restrukturierung konzentrierte sich daher auf all jene Benefits und Rechte, die über ihre Bindung an die Einkommen mit den Lohnkämpfen verbunden waren. Zu den ersten Maßnahmen der Thatcher-Regierung zählten, die Anpassung der Pensionen und Benefits nicht mehr an die Lohnentwicklung sondern an die Inflationsrate zu binden und sukzessive Sozialversicherungsleistungen vom Einkommen zu entkoppeln und „flat-rate-benefits“ einzuführen. Die Auszahlung von Unemployment-benefits, Krankengeld und maternity payments wurde privatisiert und Aufgabe der Unternehmer, die dies jedoch von den staatlichen Sozialversicherung zurückverlangen können — mensch kann sich vorstellen, dass dies den unmittelbaren Druck auf Lohnabhängige erhöht, da die Betriebe natürlich diesen organisatorischen Mehraufwand reduzieren wollen.

Mitte der 80er versuchte die Tory-Regierung das staatliche, Einkommens gebundene Pensionsystem (SERPS) abzuschaffen. Dies gelang nicht, doch wurden die Anspruchsrechte massiv eingeschränkt und die Pensionssicherung auf die Schaffung von individuellen Kapitalanteilen durch die Einzahlung in Pensionsfonds forciert. Besonders deutlich wurde der armutspolitische Charakter der neoliberalen Sozialpolitik in der Forcierung von „means tests“ Benefits — die britische Version der Treffsicherheit -, also die Auszahlung von Leistungen nach Feststellung, ob überhaupt Bedürftigkeit vorliegt, damit nur „deserving poor“ in den Genuss der „flat rate“ Benefits (etwas mehr als 60£ Mitte der 90er) kommen können. Mit der Einführung der sogenannten Job Seekers Allowance, wurde Mitte der 90er de facto die staatliche Akzeptanz von Arbeitslosigkeit abgeschafft und Finanzleistungen an aktive, von den Arbeitsämtern kontrollierte Arbeitssuche gebunden.

Leistungen des Wohlfahrtsstaates werden kommerzialisiert, privatisiert oder quasi-marktförmig restrukturiert und fokussieren zunehmend auf Wettbewerbsfähigkeit. Beanspruchte der Wohlfahrtsstaat wirtschaftliche Prozesse so zu verändern, dass Reproduktion und soziale Sicherung der Lohnabhängigen möglich wurden, zielt neoliberale Politik auf die Veränderung der Arbeitskräfte und deren Anpassung an den Markt und bindet Transferleistungen an Arbeitswilligkeit und die Bereitschaft an Umschulungen teilzunehmen. Welfare wird von Workfare abgelöst, welche auf folgenden Charakteristika beruht:

  • increasing market selectivity in access to welfare and labour markete programs
  • reductions in the levels of welfare support and scope of eligibility criteria
  • the applications of different forms of compulsion (or ‘incentives’) to participate in education and training, make work or low wage employment
  • ever tighter policing of benefits and surveillance of welfare recipients
  • the imposition of increasingly stringent work requirements
  • the privatisation and deregulation of job training. (Peck 1996: 187)

Ergebnisse

The condition precedent to high wages and high salaries is hard work. (Margaret Thatcher)

1999 arbeiteten in Großbritannien fast ein Viertel aller berufstätigen Männer und fast 50% aller berufstätigen Frauen in prekären und atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Anfang der 80er lag der Anteil für Männer noch bei etwas mehr als 6% und für Frauen aufgrund des traditionell hohen Anteils an Teilzeitbeschäftigten bei knapp über 40%. Etwa ein Viertel aller berufstätigen Männer und mehr als 30% aller berufstätigen Frauen waren Mitte der 90er in nicht-sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Sie erwerben daher keinen Anrecht auf Unemployment-Benefits, Krankengeld, staatliche Pension, Maternity payments etc. und sind im Falle von Arbeitslosigkeit/-unfähigkeit auf Income Support (etwa Sozialhilfe, damals etwas mehr als 60£/Woche) angewiesen.

1998, vor der „Einführung“ der 48h Stundenwoche durch die Unterzeichnung der Sozialcharta der EU durch die Neue Labour-Regierung, arbeiteten etwa 30% aller erwerbstätigen Männer mehr als 50h/Woche, bei Frauen lag diese Rate immerhin bei 10%. Fast 85% aller Männer und fast 60% aller Frauen arbeiteten mehr als 40h/Woche.

Bevor die Sozial Charta auch ein Recht auf „großzügige“ 3 Wochen bezahlten Urlaub garantierte, hatten fast 15% aller Vollzeit- und 60% aller Teilzeitkräfte weniger als 3 Wochen Urlaubsanspruch.

Seit 1979 ist die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder von 13,3 Millionen auf etwas mehr als 7 Millionen zurückgegangen. Gab es Ende der 70er Jahre jährlich durchschnittlich mehr als 2000 Streiks an denen insgesamt oft mehrere Millionen ArbeiterInnen beteiligt waren betrug die Zahl 1998 166 Streiks an denen 93000 Beschäftigte teilnahmen. Ende der 90er sind nur noch knapp ein Drittel aller Beschäftigten in kollektivvertragliche Lohnregelungen eingebunden (inkl. öffentlicher Dienst). Kollektivvertragliche Regelungen der Löhne erfassen im privaten Dienstleistungssektor weniger als 20% aller Beschäftigten.

1997/98 lebten 14 Millionen Briten, 4,5 Millionen davon Kinder (1/3 aller Kinder in GB) unterhalb der Armutsgrenze (weniger als 50% des durchschnittlichen Einkommens). Mehr als 1/3 aller sogenannten „non-whites“ gehören zum untersten Einkommenszehntel (fast 60% aller Personen pakistanischer/banghladesher und mehr als 40% aller Personen west-indischer Herkunft) (alle Angaben: Harvey und Atzmüller 2000).

We have discovered a new strength and a new pride. We have fostered a new spirit of enterprise. We have risen to new challenges at home and abroad. Once again our economy is strong. Our industries are flourishing. Unemployment is falling. (...) Together we are building One nation of free, prosperous and responsivble families and people. A Conservative dream is at last becoming reality. (Margaret Thatcher, 1987)

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Literatur

  • Coates, David und J. Hillaird: (1986) The Economic Decline of Modern Britain. The Debate between Left and Right. Wheatsheaf.
  • Coates, David: (2000) Models of Capitalism — Growth and Stagnation in the Modern Era. Cambridge.
  • Edwards, Paul et al: (1998): Great Britain: From partial collectivism to neo-liberalism to where? in: Ferner, Anthony und Richard Hyman: Changing Industrial Relations in Europe, Massachussett, 1-54.
  • Harvey Mark und Roland Atzmüller: (2000) UK Report on Labour Markets, Social Security, the Pension System, Trade Unions and VET in the UK. Bericht für das TSER-Projet La construction sociale de l’emploi/The social constructio of employment. Ms.
  • Leys, Colin: (1989) Politics in Britain. From Labourism to Thatcherism. Revised Edition. London/New York.
  • Peck, Jamie: (1996) Work-Place. The Social Regulation of Labour Markets. New York/London
  • Thompson, Paul: (1989) The nature of work : an introduction to debates on the labour process. Basingstoke.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
März
2001
, Seite 25
Autor/inn/en:

Roland Atzmüller:

Politikwissenschafter, lebt in Wien, von November 2001 bis November 2002 Redaktionsmitglied von Context XXI.

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