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Matthias Falter

Anspruch und Wirklichkeit

Elisabeth Kübler hat in ihrer Diplomarbeit die Maßnahmen von OSZE und EUMC zur Bekämpfung des Antisemitismus einer politikwissenschaftlichen Untersuchung unterzogen. Eine Rezension

Die Rede von einem „neuen Antisemitismus“ hat in den letzten Jahren breite Debatten sowohl innerhalb als auch außerhalb der scientific community losgetreten. [1] Die Zunahme an antisemitisch motivierten Übergriffen, das Auftreten explizit oder strukturell antisemitischer Motive und Codes in der „Antiglobalisierungsbewegung“ und der Friedensbewegung im Zuge der Proteste gegen den Irak-Krieg und der grundlegende Zusammenhang von Nahostkonflikt und Antisemitismus, der spätestens mit dem Beginn der Zweiten Intifada im September 2000 wieder deutlich geworden ist, haben die Aktualität und Virulenz antisemitischer Ressentiments aufgezeigt.

Deklamatorische Sonntagsreden gegen Antisemitismus sind seit 1945 fixer Bestandteil der europäischen politischen Kultur. Antisemitismus wird als Kontrapunkt Europas dargestellt und damit gleichzeitig die Tatsache verschwiegen, dass es genau jenes Europa war, in dem sich der christliche Antijudaismus in den modernen Antisemitismus und dessen Kulmination als eliminatorischer Antisemitismus in Auschwitz transformierte. Die Frage nach adäquaten Maßnahmen zur Bekämpfung antisemitischer Ressentiments wird allerdings meist nicht nur nicht beantwortet sondern oft auch nicht ernsthaft gestellt.

Elisabeth Kübler hat in ihrer mit dem Herbert-Steiner-Preis 2004 ausgezeichneten und nun auch in Buchform erschienenen Diplomarbeit eine vergleichende Untersuchung der Antisemitismus bekämpfenden Maßnahmen von OSZE und der von der EU 1997 eingerichteten Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) durchgeführt. Während die OSZE 2003 und 2004 einschlägige Konferenzen organisierte, geriet die vorher wenig bekannte EUMC vor allem wegen der offensichtlich politisch motivierten Nichtveröffentlichung einer Studie über Antisemitismus in Europa in den Blickpunkt. Aufgabe und Anspruch der Arbeit von Elisabeth Kübler ist die „kritische Analyse der gesamteuropäischen Bekämpfungsstrategien“ des Antisemitismus (S.11).

„Eine effektive Antisemitismusbekämpfungsarbeit bedarf einer profunden theoretischen und begrifflichen Absicherung“ (168). Genau jene Begriffsarbeit, die am Anfang jeglicher politikwissenschaftlichen Forschung stehen sollte, leistet Elisabeth Kübler in den ersten beiden Kapiteln, wobei vor allem letzteres durch die multidimensionale theoretische Annäherung an das Phänomen Antisemitismus und dessen Abgrenzung zu Rassismus und Xenophobie, einen fundierten Überblick bietet. So ist etwa, wie Elisabeth Kübler richtigerweise bemerkt, der Begriff des „neuen Antisemitismus“ schon problematisch, da er Kontinuität verschleiert, sich Struktur und Motive antisemitischer Stereotype jedoch nicht grundlegend geändert haben.

Auf diese theoretischen und begrifflichen Grundlagen aufbauend und gleichzeitig immer wieder darauf reflektierend analysiert und kritisiert die Autorin die Antisemitismusbekämpfungsmaßnahmen von OSZE und EUMC. So konstatiert Kübler jene paradoxe Situation, dass „zwar auf der theoretischen und ontologischen Ebene im Vorfeld zu den Konferenzen beziehungsweise Studien noch relativ wenig Differenzierungen vorgenommen wurden, die Resultate aber doch einen breiten Konsens zeigen, dass Antisemitismus nicht mit Rassismus und Xenophobie gleichgesetzt werden kann“ (S.168), Das begriffliche Defizit – bei der OSZE noch stärker vorhanden wie bei der EUMC – wird sowohl bei der (Nicht-)Definition von Antisemitismus als auch beim Ausarbeiten von Gegenstrategien deutlich.

Auch in puncto Selbstreflexion verortet Elisabeth Kübler insofern ein großes Defizit, „dass eine kritische Reflexion zum europäischen Integrationsprozess an sich bei den untersuchten Texten der OSZE und der EUMC ab keiner Stelle zu finden sind. Die Antisemitismusbekämpfungsmaßnahmen werden von einem Status quo des sich immer stärker vereinigenden Europas entwickelt“ (S.170).

Die conclusio der Autorin wird durch die aktuellen Entwicklungen bestätigt: Angesichts der Appeasement-Politik Europas gegenüber dem Islamismus, sei es nun in seiner etatistischen Ausprägung im Iran, in seiner semi-staatlichen Form in den Gebieten der Palästinensischen Autonomiebehörde oder als Terror-NGO im Fall der Hisbollah, wird jeglicher Anspruch auf ernsthafte Antisemitismusbekämpfung ad absurdum geführt.

[1Vgl. dazu Doron Rabinovici, Ulrich Speck und Nathan Sznaider [Hg.]: Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte, Frankfurt/Main, 2004, suhrkamp.

Elisabeth Kübler: Antisemitismusbekämpfung als gesamteuropäische Herausforderung. Eine vergleichende Analyse der Maßnahmen der OSZE und der EUMC, [Unipress Hochschulschriften Bd. 148], Wien, 2005, LIT-Verlag.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
2006
Autor/inn/en:

Matthias Falter:

Politikwissenschafter, Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit, von Juni 2005 bis 2006 Redaktionsmitglied von Context XXI.

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