Zeitschriften » Context XXI » Print » Jahrgang 2000 » Heft 3-4/2000
Tina Leisch

Alltagspraxis statt Adorno

Das Rennen ist heute besonders spannend, brumbrum, nachdem drei der Postmodernen in der Haarnadelkurve aus der Bahn geflogen sind, sehen sie hier den unerwarteten Boxenstop einer heute eher enttäuschenden Werttheorie. Brumm, brumm. Werttheorie schafft es bis in die Endrunden, muß sich auf jeden Fall auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Poptheorie gefaßt machen. Hier, knapp hinter Adorno, sehen sie Poptheorie. Brum. Werttheorie oder Poptheorie, das sind die klaren Favoriten. Wobei man vielleicht Adorno nicht aus den Augen lassen sollte. Zwar ist er diesmal in einer Uralt-Theorie & Praxis-Kiste für das Team von Grigat an den Start gegangen, aber Adorno ist immer für eine Überraschung gut, brum ...

Schade, daß Autoren so oft lieber ihre Favoriten auf der Theoriecarrerabahn gegeneinander antreten lassen, als deren Begriffe als Werkzeug zu benützen, um die politische Situation zu bearbeiten. Die fade Dichotomie von Theorie und Praxis muß herhalten, einige Autoren (Grigats Artikel ist hier nur ein minderschlimmer Anlaßfall) in ihrer arroganten Überheblichkeit über die Geschichte zu bestätigen, ihnen ihre Position zu retten als Weltoberlehrer, die alles, was sonst denkt und/oder kämpft, an den Meßlatten ihrer Begriffe benoten. KurdInnen, völkisch und antisemitisch. Fünf. Setzen. Zapatistas, naiv, romantisch, nationalistisch. Fünf. Setzen. Widerstand gegen schwarz/blau nationalistisch, hedonistisch, historisch nicht aufgeklärt. Aufhören! Daheimbleiben! Lesen! Ein dürftiges Spiel zur Wahrung letzter Souveränitätspositionen für weiße, europäische, linke Männer, die ihnen in der Linken und von allen emanzipatorischen Seiten, von den MigrantInnen, Frauen, trikontinentalen Aufständen, anti(neo)kolonialistischen TheoretikerInnen bestritten werden. Theorie/Praxis. Als Dichotomie gedacht. Das ist nur aus der alten abendländischen Körper/Geist-Dichotomie und ihrer Körperfeindlichkeit heraus verständlich. Da gibt es dumpfes Tun (demonstrieren, Parolen grölen, tanzen) und helles Denken (Artikel und Bücher schreiben, Vorträge halten). Das ist der engstirnige Begriff von politischem Handeln der Marxisten des zwanzigsten Jahrhunderts.

Adorno selber hat schon die Unhaltbarkeit der Theorie/Praxis-Dichotomie erkannt, leider aber nicht einmal in eine Dialektik überführt, sondern nur durch Erklärung seines eigenen Theoretisierens zu ganz besonders toller Praxis weggemogelt. So sehr Denken Praxis ist, ist Tun Denken. Man kann mit Wörtern oder mit geworfenen Steinen denken, mit Dornenheckenpflanzungen, mit den großen Zehen und der Luft aus’m Arsch. Es ist ein edles Bild vom weißen Denker, der sich nobel der Praxis enthält, so lange die nicht rein und unschuldig ein den-Weg-ins-Paradies-Ebnen sein kann, sondern immer mit der Schlacke der historischen Ungerechtigkeiten, des privaten und des kollektiven Unbewußten der Sozietäten beschmutzt ist.

Das Bild ist aber verlogen. Selbst wenn der Denker eine Haushälterin hätte, die für ihn wäscht und kocht, selbst wenn er nur am Sofa dahinoblomowisierte, wäre das Praxis. Der einzige Weg, der Praxis zu entkommen, ist der Selbstmord.

Plakat der S.I., Paris 1968
Sammlung P.S. Callot, La Madeleine

Die Theorie-Praxis-Denkblockade von Adorno zu übernehmen, heißt auch, von der Kritik am Logozentrismus als Phallozentrismus und Eurozentrismus nicht einmal von Ferne gehört zu haben. Sich dem zu verweigern, daß es andere Formen des Sichverständigens gibt als das geschriebene und dozierte Wort; daß gerade Antikolonialismus und Antirassismus lächerliche Phrasen bleiben, wenn sie nicht als dissidente, emanzipatorische Alltagspraktiken und -projekte jetzt und hier von dissidenten Sozietäten realisiert werden.

Gerade der österreichischen Widerstandsbewegung, die sich antirassistisch nennt, aber von praktischer Solidarität mit denen, denen rassistische Gesetzgebung gleiche Rechte verweigert, fast nichts weiß, die zwar Kritik an der schwarzblauen Frauenpolitik übt, aber nicht einmal 1/3 Frauenquoten auf ihren RednerInnentribünen zustande bringt, ein „Zurück-ins-Adorno-Seminar“zu verordnen, statt ein „in-die-Gerichtssäle-der-Operation-Spring-Prozesse“, ist kontraproduktiv. Es verkennt die Mechanismen, über die emanzipatorische Konzepte gesellschaftlich wirksam, wenn nicht majoritär, ja hegemonial werden könnten. Wie? Jedenfalls nicht durch eine Ausweitung von „Kapital“-Arbeitskreisen.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juni
2000
Heft 3-4/2000, Seite 15
Autor/inn/en:

Tina Leisch:

Tina Leisch ist Film- und Textarbeiterin.

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