FORVM » Themen » AkteurInnen der Kritik

Proletariat

Beiträge

Friedrich Abendroth • Benedikt Kautsky

Marxisten und Nichtmarxisten

(Fazit der FORVM-Diskussion)
Juni
1955

Mit den beiden nachfolgenden Beiträgen beenden wir unsere in Heft 15 begonnene Diskussion, die versucht hat, das Phänomen des Marxismus (und seines Schöpfers) auf seine Haltbarkeit im Zusammenhang mit der Demokratie und im Licht der seit Marx erfolgten Veränderungen zu untersuchen. Daß diese (...)

Otto Bauer

Wurstel Otto Bauer

November
1968

Aus dessen Werk „Zwischen zwei Weltkriegen?“, Bratislava 1936, S. 312 ff.

André Gorz

Mao in Italien

Prinzipielles zur Streikbewegung
Januar
1970

Der Erfolg eines Streiks läßt sich nicht an den unmittelbaren Vorteilen messen, die er bringt, sondern an der Macht, die die gemeinsame Aktion den kämpfenden Arbeitern gibt: Macht über die Organisation der Arbeit, über die qualitative und quantitative Bewertung der Funktionen im Arbeitsprozeß, über (...)

Wilhelm Burian (Übersetzung) • Richard Merton

Pop und Klassenkampf

Oktober
1970

1. Notwendigkeit einer Popästhetik Pop ist keine authentische ästhetische Kategorie. In der Nachfolge der Philosophie Platos und Croces sehen viele bürgerliche Kulturtheoretiker Kunst als eine „intuitiv-expressive Einheit“. Demgegenüber hat Della Volpe gezeigt, daß jede materialistische Ästhetik (...)

Willi Stelzhammer

Abschied von der Blödheit

Eine Selbstdarstellung
Januar
1971

Die nachfolgende Selbstdarstellung einer linken Gruppe in Wien scheint mir ein faszinierendes Zeichen der Zeit, ein Dokument, das kompletten Abdruck verdient. Es stammt aus der Zeitschrift „Nachrichten für Unzufriedene“, produziert von dieser Gruppe. Bestellungen an: Jakob Myttheis, Wien VI, (...)

Lucio Magri

Räte in Italien

Januar
1971

I. Antiquierte Räte? Eine neue theoretische Reflektion des Räte-Themas wurde gefordert: Dieser Vorschlag hat bei den traditionellen politischen Kräften Skandal verursacht; wir wurden sofort als scholastische Wiederentdecker historisch überholter Erfahrungen katalogisiert, als Extremisten, die zum (...)

Susi Petroni

Frauenkampf & Klassenkampf

März
1973

Die patriarchalische Form der Familie ist kein Produkt kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Ihr Ursprung liegt in vorangegangenen gesellschaftlichen Formationen. Sie ist eng verknüpft mit dem ersten Auftreten des Privateigentums (siehe F. Engels, Ursprung der Familie, des Privateigentums und (...)

Michel Bosquet • Fredo Krumnov • Jean Moreau

Unproduktive Fließbandarbeit

Gespräch
Mai
1973

(CFDT = Conféderation Française Democratique de Travail, ehemals christlicher nun linkssozialistischer Gewerkschaftsverband.) (CGT=Conféderation Générale de Travail, Gewerkschaftsverband der KPF.) Frage: Die CFDT hatte lange Zeit ernste Vorbehalte gegen das „Gemeinsame Programm“ der traditionellen (...)

Rudi Dutschke

Studenten am Ende, Arbeiter am Anfang

Ein Interview
Juli
1973

Rudi, die linken Studentengruppen sind zerstritten. Ist die Studentenbewegung am Ende? Nun wollen wir erst mal feststellen: Es hat niemals nur eine Studentenbewegung gegeben. Das muß erst mal klar aus der Ideologie ’rausgetrieben werden. Solange es eine antiimperialistische Bewegung gegeben hat, (...)

Heidi Pataki
Michael Scharang:

Charly Traktor

Januar
1974

Roman, Hermann Luchterhand Verlag, Darmstadt und Neuwied 1973, 140 Seiten, DM 16,80, öS 134,40 In den Diskussionen über Arbeiterliteratur besteht immer wieder der Konflikt zwischen den Gegnern und den Anhängern der Privatsphäre und ihrer literarischen Schilderung. Während die einen verlangen, daß (...)

Herbert Brunner

Die kastrierte Gewerkschaft

Ein Lehrstück für Arbeiter und Unternehmer
September
1974

Der Hukla-Konzern ist ein kleiner Multi mit Möbelfabriken in Frankreich, Italien, Österreich, der Schweiz und Japan. Der Hauptbetrieb in Baden-Württemberg hat 4.000 Arbeiter, die österreichische Filiale rund hundert. Die Struktur: von den hundert Arbeitern sind alle Gewerkschaftsmitglieder, vier (...)

Ernest Mandel

Gegen den Lohnraub

Inflation und Klassenkampf
März
1975

Der Vorschlag einer „gleitenden Lohnskala“ erscheint auf den ersten Blick als „reformistisches Manöver“. Aber der trotzkistische Theoretiker Ernest Mandel, Wortführer der IV. Internationale, sieht darin nur den Ausgangspunkt einer militanten Arbeitsstrategie, die zu immer schärferen Konfrontationen (...)

Alexander Langer

Was tun gegen einen Putsch?

Portugal und Italien im Frühjahr 1975
April
1975

Seit dem Putsch in Chile von 2. September 1973 ist unter den Linken ein gewisser Fatalismus bezüglich der bürgerlichen Exekutive verbreitet. Unser italienischer Mitarbeiter Alexander Langer zeigt anhand von jüngsten Beispielen aus Portugal und Italien, daß und wie man einem reaktionären Putsch bzw. (...)

Alfredo Frade

Die Arbeiterräte entscheiden alles

Juli
1975

Das nachfolgende Interview haben wir am 2. Mai 1975 mit dern portugiesischen Trotzkistenfunktionär Afredo Frade anläßlich seines Besuches in Wien aufgenommen. Frade, Jahrgang 1951, Medizinstudent, gehört der LCI (Internationale Kommunistische Liga) an, die bei den Wahlen vom 25. April 1975 als (...)

Georg Hoffmann-Ostenhof • Raimund Löw

Sozialismus oder Barbarei

Für eine Neuorientierung der österreichischen Arbeiterbewegung
September
1975

Tätiger Optimismus Nationalratswahlen stürzen die Linke in Österreich immer wieder in ein Dilemma. Resignation, Unentschiedenheit, Jammern, Kleinmut und Pessimismus — alle Negativa des österreichischen Nationalcharakters machen sich breit. Man beklagt den „niedrigen Politisierungsgrad der Arbeiter“, (...)

Claudie Broyelle • Jacques Broyelle

Klassenkampf in China

Widerstreit zweier Linien in den Fabriken (I. Teil)
Oktober
1975

Der Kampf zwischen zwei Linien, zwischen Linken und Rechten in China, wird von der westlichen Presse immer als Machtkampf an der Spitze beschrieben. Das ist er zwar auch, aber dabei bleiben die sozialen Inhalte unberücksichtigt. Der französische Soziologe Jacques Broyelle und seine Frau Claudie (...)

Michael Siegert

Portugiesischer Oktober

Ein dialektisches Kalendarium
November
1975

MFA-Projekt vom 8./9. Juli: Staatskapitalismus, gemischte Wirtschaft oder Räte in Selbstverwaltung? In der Nacht vom 8. zum 9. Juli 1975 überschritt die Bewegung der Streitkräfte (MFA) den Rubikon zum Rätesozialismus: erstmals definierte die MFA-Generalversammlung, damals das oberste legale Organ (...)

focus-Kollektiv

Klassenverrat und Arbeiteraristokratie

Die Geschichte der Sozialpartnerschaft am Beispiel Schweiz
März
1976

Nicht daß der Hungernde stiehlt oder daß der Ausgebeutete streikt ist zu erklären, sondern warum die Mehrheit der Hungernden nicht stiehlt und die Mehrheit der Ausgebeuteten nicht streikt. Wilhelm Reich; Massenpsychologie des Faschismus, 1933 Der dreißigjährige Friede Seit Jahrzehnten ist die (...)

Helmut Konrad

Kein Putsch

Legendenkehraus zum Oktoberstreik 1950
Oktober
1977

Manche historischen Prozesse verdeutlichen anschaulicher als jede theoretische Erläuterung die Schwierigkeiten der positivistischen Forderung nach „objektiver‘‘ Geschichtsbetrachtung. Sie soll sich ausschließlich an den konkreten historischen Fakten orientieren, wird aber gerade dadurch dem (...)

Gernot Wolfgruber

Niemandsland

Vom Handarbeiter zum Kopfarbeiter
März
1978

Irgendwann hatte Klein gemerkt, daß es nichts half, einfach nur immer wieder davonzurennen. Aufatmend aus einem Fabriktor zu gehen und sich einzubilden, es habe sich mit dem Kündigen die Welt verändert, als fange jetzt wirklich ein ganz anderes Leben an. Zwei Schritte vom Tor dachte er doch schon (...)

Heidi Pataki

Ohne Strümpfe, ohne Schuh

Adelheid Popps Arbeiterinnenleben
März
1978

Adelheid Popp: Jugend einer Arbeiterin. Herausgegeben und eingeleitet von Hans J. Schütz, Verlag J. H. W. Dietz’ Nachf. GmbH, Berlin 1977, 187 Seiten, DM 14, öS 107 Fromme Seelen Autobiographien sind heute reinster Anachronismus und zugleich die peinlichste Form von Literatur — macht sich darin (...)

Josef Dvorak

SP- & KP-Bauer

März
1980

Michael Genner: Mein Vater Laurenz Genner. Ein Sozialist im Dorf, Veröffentlichung des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung. Nachwort von Karl R. Stadler, Europaverlag, Wien 1979, 326 Seiten, DM 38, öS 270 Österreichische Zeitgeschichte, aus einem ungewöhnlichen (...)

Michael Siegert

Polnischer Weg für die Sowjetunion?

Kampf um freie Gewerkschaften in der UdSSR
September
1980

Auch in der Sowjetunion wird gestreikt. Die Versorgung ist dort noch schlechter als in Polen, nur ist die Information geringer. Heuer im Mai gab’s Streiks in Minsk sowie in den Autofabriken von Gorki und Togliattigrad. An letzterem Streik nahm eine Gruppe der freien Gewerkschaft „Smot“ teil (= (...)

Michael Siegert

Rätepolen

Augenzeuge der polnischen Auguststreiks
September
1980

„Marihijaha hilf!“ Gepfercht in den engen Korridor hinterm Portal Nr.2 der Leninwerft in Danzig, umweht von stickigem Atem und religiöser Inbrunst, nach einer Stunde Messe und einer Dreiviertelstunde Marienlitanei, ich wollte durch, aber das Tor war zu, und da geschah’s, die Arbeiter hatten sich im (...)

Eike Geisel • Jakob Moneta • Jakob Taut

Die Judenfalle

Hersch Mendel — wie ostjüdische Arbeiter Zionisten wurden
November
1980

Über Wege, Umwege und Sackgassen der jüdischen Arbeiterbewegung im Osten sprach der deutsche Journalist Eike Geisel mit zwei deutschen Juden, Jakob Moneta und Jakob Taut, die beide aus Polen stammen. Anlaß war das Erscheinen der Autobiographie eines Proletariers aus Warschau: Hersch Mendel: (...)

Mike Cooley

Mit der Hand gedacht

Arbeiter machen Antitechnik
November
1981

Wirtschaftskrise und Automatisierung der Büroarbeit bringen Ingenieure und Arbeiter zusammen. In England entstanden neue Modelle der Konstruktion, Planung und Selbstverwaltung in einer dahinsiechenden Industrie. Mike Cooley stand lange Zeit an der Spitze eines solchen Modells im englischen (...)

Peter Gutjahr

Die Rückkehr ins Zentrum der Welt

Ansichten eines Belehrten
März
1989

es ist nicht gut, wenn sklaven bücher lesen. bildung zerstört ihre instinkte und verwirrt ihren geist. glauben sie mir: sie sind im irrtum, sie täuschen sich — was ein sklave werden soll, das hat erziehung nötig. die ausbildung seiner fertigkeiten und die erziehung zu ordnung und moral. ein sklave (...)

Peter Fleissner • Wolfgang Hofkirchner

Reform oder Klassenkampf?

August
1989

Zwei linke Theoretiker unterschiedlicher Provenienz stellen gemeinsam die Gretchenfrage (s. S. 14) und beginnen demgemäß und erfrischend bei Adam und Eva, um gemeinsam zum Thema (zur These) zu kommen: „Katalysator Wissenschaft: Die Arbeiterbewegung vor neuem Handeln“. Zweifellos leben wir in einer (...)

Peter Gutjahr

Von Fröschen und von Skorpionen

Vier Dialoge und eine Zugabe
Oktober
2022

1.Dialog Egokrücken Alfred und Slobo in einem Wiener Gemeindebau. Alfred, am Schreibtisch vor seinem Computer, spielt Schach, Slobo, mit einer Tasse Tee aus der Küche kommend setzt sich auf die Couch. Slobo: „Alfred, dein Wasserhahn tropft.“ Alfred: „Erzähl mir etwas Neues.“ Slobo: „Ich hab da (...)

Proletariat bei Wikipedia

Der vierte Stand“ (1901) von Giuseppe Pellizza da Volpedo zählt zu den bekanntesten Darstellungen des modernen Proletariats.

Das Proletariat (von lateinisch proles ‚die Nachkommenschaft‘) bezeichnete im antiken Rom die gesellschaftliche Schicht der besitzlosen lohnabhängigen, aber nicht versklavten Bürger im Stadtstaat, die nicht steuer- und wehrpflichtig waren. Aus dem Lateinischen übernommen, taucht der Begriff im 19. Jahrhundert zuerst in England, später auch in anderen europäischen Ländern auf, wird jedoch erst seit der Französischen Revolution zögernd als Bezeichnung konkret auf den damaligen Vierten Stand (richtiger: auf die unterständischen, keinem der drei Stände angehörigen Schichten) bezogen. Um 1820 spricht Henri de Saint-Simon zum ersten Mal von der Klasse der Proletarier. Seit 1830 wird der Begriff zur Bezeichnung der pauperisierten Unterschichten verwendet, die als Gefahr für die soziale und politische Stabilität angesehen werden. Dies tut z. B. Lorenz von Stein, der die Gefahr im Bedürfnis der eigentums- und bildungslosen Proletarier sieht, „nicht ganz ohne jene Güter zu bleiben, die der Persönlichkeit erst ihren Wert verleihen.“[1] Etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts findet der Begriff vorzugsweise Anwendung auf die infolge der Industriellen Revolution entstandene Industriearbeiterschaft. Nach Karl Marx sind Proletarier doppelt freie Lohnarbeiter, Menschen, die nichts anderes besitzen als ihre Arbeitskraft, die also allein durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft ihren überwiegenden Lebensunterhalt erzielen können.

Aus der marxistischen Weltsicht stehen sie in einer kapitalistischen Gesellschaft im unversöhnlichen Gegensatz zur besitzenden Klasse, der Bourgeoisie.

Während in der Soziologie heute von dem neuen Proletariat gesprochen wird, kommt im alltäglichen Sprachgebrauch der Begriff Proletariat selbst kaum mehr vor. Allerdings sind in der einfachen Umgangssprache die davon abgeleiteten Begriffe „Prolet“ bzw. „Proll“ als Schimpfwörter bzw. diskriminierende Bezeichnungen gebräuchlich. Dahinter verbergen sich klischeeartige abwertende Zuschreibungen. Der Begriff „Prolet“ und insbesondere der Begriff „Proll“ sind vergleichsweise unscharf und entfernen sich in der Benutzung teilweise erheblich von der Bezeichnung einer gesellschaftlichen Gruppe im soziologischen Sinne (Schicht, Klasse, Milieu); sie assoziieren (anstelle ökonomischer Ungleichheit) meist eher kulturelle Wertungen, einerseits im Sinne von derb, vulgär, nicht kultiviert, ungebildet oder sogar barbarisch oder kulturlos, manchmal auch in Abgrenzung zu intellektuell, andererseits im Sinne von protzig, bzw. mit derben, wenig raffinierten Modegegenständen oder Verhaltensweisen prahlend.

Etymologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Heimkehrende Schnitter von Jakob Becker: Blick eines romantischen Malers auf das Landproletariat im 19. Jahrhundert

Der deutsche Begriff Proletariat stammt vom lateinischen Begriff proletarius. Der ursprünglichen Wortbedeutung folgend bedeutet proletarius „die Nachkommenschaft betreffend“. Abgeleitet davon erschließt sich die heutige Wortbedeutung: Das Proletariat ist die Bevölkerungsgruppe, die „den Staat nur mit ihrer Nachkommenschaft trägt und nicht mit ihrem Vermögen.“[2]

Das Proletariat im alten Rom[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während der Ausbreitungsphase des Imperium Romanum wurden Sklaven als Kriegsbeute in Massen nach Rom gebracht und auf Großgrundbesitzungen als Landarbeiter eingesetzt. Da diese großen landwirtschaftlichen Betriebe wesentlich effizienter produzierten als das Kleinbauerntum, verlor dieses seine Existenzgrundlage. Kleinbauern zogen in die Hauptstadt, wo sie als landlose, aber dennoch freie römische Bürger neben den adligen Patriziern und den nichtadligen Plebejern (vor allem Bauern und Handwerker) lebten. Da sie außer ihrem Stimmrecht nichts mehr besaßen, verkauften die Proles dieses gegen Lebensmittel an die reiche Oberschicht.

Das Arbeiterproletariat der Industriellen Revolution[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gemälde „Eisenwalzwerk“ (1872–1875) von Adolph Menzel, im Stil des Realismus

Genau wie das antike Proletariat handelte es sich auch beim Proletariat der Zeit der Industriellen Revolution um Menschen, die ihre bäuerlichen oder kleingewerblichen Existenzen aufgeben mussten und in die Städte zogen. Grund war die Industrialisierung, beginnend mit der Textilindustrie. Das oft mit Heimarbeit verbundene Verlagssystem stellte eine Vorform der Industrialisierung dar. Mit deren wesentlich effizienterer Produktionsweise konnte das kleine Handwerk nicht mehr mithalten. Auf der anderen Seite benötigten die neu entstehenden Fabriken Arbeitskräfte, so dass mehr und mehr die vormaligen Handwerker und Bauern unter Aufgabe ihres Landbesitzes oder ihrer Werkstatt in die Städte gingen und zu Industriearbeitern, zum industriellen Proletariat wurden. Diese Entstehungsgeschichte des Kapitalismus wird im 24. Kapitel des Hauptwerks von Karl Marx Das Kapital geschildert und analysiert, meist am Beispiel Englands, wo Ackerland in Schafweide umgewandelt wurde, um die Wollmanufakturen oder dampfgetriebene Webstühle, die bereits für den Weltmarkt produzierten, mit Rohstoff zu beliefern. Die vertriebenen Bauern, teils auch Handwerker wurden durch brutale Polizeimaßnahmen und Landstreichergesetze mit der Zeit in die entstehenden Fabriken gezwungen.

Sie wurden dort in einer bis dahin unbekannten Weise ausgebeutet, die tägliche Arbeitszeit betrug bis zu 18 Stunden. Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen gab es nicht. In Kohlebergwerken wurde die billigere Frauenarbeit und Kinderarbeit üblich. Diese Missstände führten nach langen Verboten und Kämpfen letztlich zur Gründung von Gewerkschaften und zur Entstehung der Arbeiterbewegung wie des Marxismus.

Proletariat nach Marx[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Proletariat ist nach der Definition von Karl Marx eine neue Klasse, die mit der Entwicklung der Industriellen Revolution entstanden ist. Während es vorher im Wesentlichen relativ freie Handwerker und leibeigene oder Pachtbauern gab, die über Produktionsmittel wie Werkzeuge und Agrarland verfügten, entstand mit dem Proletariat eine neue Klasse, die nicht mehr über Produktionsmittel oder nicht mehr über gesellschaftlich konkurrenzfähige Produktionsmittel (z. B. Weber) verfügte, die aber – im Gegensatz zu leibeigenen Bauern – frei über ihre Arbeitskraft verfügten. Am Beispiel England beschreibt Marx, wie die Einführung der maschinellen Webstühle den Bedarf an Wolle und die Preise für Wolle steigerte und zur Umwandlung des an Bauern verpachteten Ackerlands in Schafsweiden für die Steigerung der Wollproduktion stattfand. Die vom Bauernhof vertriebenen und so hungrig im ganzen Land herumgetriebenen Bauern konnten nur dort überleben, wo die entstehenden Manufakturen oder Fabriken diese neue Klasse von abhängigen Proletariern gebrauchen konnte. Die Besonderheit dieser neuen Klasse und ihre Definition besteht nach Marx im „doppelt freien Arbeiter“ – frei von Produktionsmitteln, die ihm ermöglichten, sich selbst zu versorgen und frei, ihren einzigen Besitz, sich selbst bzw. genauer ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Die Definition des Proletariats umfasste zu Marx’ Lebenszeit überwiegend Fabrikarbeiter, schließt aber prinzipiell alle ein, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich oder überwiegend nur durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft verdienen können. Damit sind auch die heutigen größeren Gruppen von Arbeitskräften wie Angestellte, Beamte (sind nach Marx keine Proletarier, da diese der Rechnung des Staates und nicht des Kapitals unterworfen sind, z. B. Lehrer: ein Lehrer in einer Privatschule ist Proletarier, in einer staatlichen Schule hingegen nicht, obwohl er dieselbe Tätigkeit ausübt), ja sogar angestellte Betriebsleiter, die Funktionen von Kapitalisten ausführen, per Definition Proletarier und zumindest heute die mit Abstand größte Klasse. Marx ging davon aus, dass wegen der zunehmenden Oligopolisierung und Globalisierung des Kapitalismus und seiner immanenten Krisenbehaftetheit insbesondere der tendenzielle Fall der Profitrate in gravierenden Krisen die Selbstbefreiung des Proletariats mit sich bringen werde und zu einer klassenlosen Gesellschaft führe. Karl Heinz Roth spricht, im Zuge einer Neuprojektierung revolutionärer Praxis von der (neuen) Proletarität.

Definition des Proletariats nach Immanuel Wallerstein[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachdem Wallerstein die Bourgeoisie dadurch charakterisiert, dass sie über Mehrwerte verfügt, die sie nicht selbst erwirtschaftet hat und in der Lage ist, diese in Kapitalgüter zu investieren, ergibt sich daraus für das Proletariat, dass es aus jenen besteht, die Teile des von ihnen erwirtschafteten Mehrwertes an andere abgeben. Der Erhalt von Lohnzahlungen ist an sich kein Merkmal des Proletariats. Denn der Produzent schafft den Wert, den er nicht im Gesamten behält, sondern in Teilen oder im Ganzen an jemand anderen gibt, wofür er wiederum abhängig von der Art der Arbeit nichts oder Güter oder eben einen Lohn erhält. Somit ergibt sich im Kapitalismus eine strukturelle Polarität zwischen der Bourgeoisie auf der einen und dem Proletariat auf der anderen Seite.

Den Prozess der Proletarisierung charakterisiert Wallerstein durch die Verbreitung der Lohnarbeit im Laufe der historischen Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft. Erklärt wird diese dadurch, dass die dem Kapitalismus innewohnende Notwendigkeit der Expansion regelmäßig Engpässe aufgrund mangelnder globaler Nachfrage zu überwinden hat, und eine Möglichkeit zur Überwindung solcher Engpässe stellt die Verbreitung von Lohnarbeit dar. Denn dadurch erhöht sich der Anteil des Mehrwertes, den der Produzent behält und über den er folglich zum Konsum verfügt. Entsprechend erhöht sich somit auch die globale Nachfrage. Stetige Expansion gelingt also nur durch Löhne, da diese Nachfrage erzeugen.

Die Lohnarbeit ist zudem von politischer Bedeutung. Denn mit steigendem Lohnniveau weiten sich auch die formellen Rechte der Proletarier und damit verbunden auch ihr Klassenbewusstsein aus. Dies geschieht jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt, und zwar, bis der Proletarier faktisch zu einem Bourgeois wird.[3]

Konkurrierende Begriffe zum Begriff „Proletariat“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Begriffe „Proletariat“ und „Arbeiterklasse“ werden besonders stark im marxistischen Kontext verwendet und assoziieren Ausbeutungsrealitäten sowie Emanzipationsbestrebungen (durch Reform oder Revolution). Der Klassenbegriff grenzt sich dabei von Anfang an scharf ab gegen den Begriff des sozialen Standes. Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Klassenbegriff auch in Konkurrenz zum Begriff Schicht sowie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in Ergänzung und/oder Konkurrenz zum Begriff des sozialen Milieus zu sehen. Bezogen auf das Proletariat sind die konkurrierenden – wenn auch nicht deckungsgleichen – Begriffe Vierter Stand, Unterschicht und Arbeitermilieu. Dabei wird z. T. zwischen traditionellem und traditionslosem Arbeitermilieu unterschieden. Bei Gerhard Schulze treten an deren Stelle Harmoniemilieu und Unterhaltungsmilieu, also Milieus, die stärker über Freizeitgestaltung und gewählten Lebensstil charakterisiert werden. Seit wenigen Jahren taucht in der Diskussion auch der Begriff der Neuen Unterschicht auf, der nun eher aus dem linken Lager eingebracht wird.

Statt „Proletarier“ verwendete man im 19. Jahrhundert auch den weniger negativ besetzten Ausdruck „Fabrikarbeiter“.[4] In den 1950er Jahren gab es auch Ansätze, die die Klassengegensätze gänzlich als veraltet betrachteten. Sie sprachen von der Nivellierten Mittelstandsgesellschaft. Dagegen hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Diskussion unter dem Begriff Prekariat neu begonnen.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Götz Briefs: Das gewerbliche Proletariat. In: Grundriss der Sozialökonomik. IX. Abteilung: Das soziale System des Kapitalismus. 1. Teil, Tübingen 1926, S. 142–240.
  • Werner Conze: Vom 'Pöbel' zum 'Proletariat'. Sozialgeschichtliche Voraussetzungen für den Sozialismus in Deutschland. In: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Moderne deutsche Sozialgeschichte. Köln 1973.
  • Peter Decker, Konrad Hecker: Das Proletariat. Politisch emanzipiert – Sozial diszipliniert – Global ausgenutzt – Nationalistisch verdorben – Die große Karriere der lohnarbeitenden Klasse kommt an ihr gerechtes Ende. GegenStandpunkt Verlag, München 2002, ISBN 3-929211-05-X.
  • Marianne Feuersenger (Hrsg.): Gibt es noch ein Proletariat? Mit Beiträgen von Hans Paul Bahrdt, Walter Dirks, Walter Maria Guggenheimer, Paul Jostock, Burkart Lutz und Heinz Theo Risse. Dokumentation einer Sendereihe des Bayerischen Rundfunks. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1962.
  • Chris Harman: Workers of the World – Die Arbeiterklasse im 21. Jahrhundert. Übersetzung aus dem Englischen von Thomas Walter. Edition aurora, Frankfurt am Main, ISBN 3-934536-08-5.
  • Karl Heinz Roth: Die neuen Klassenverhältnisse und die Perspektive der Linken – Schwächen und Stärken eines überfälligen Diskussionsvorschlags. In: Karl Heinz Roth (Hrsg.): Die Wiederkehr der Proletarität. Dokumentation der Debatte. Köln 1994.
  • Leo Schidrowitz (Hrsg.): Sittengeschichte des Proletariats: Der Weg vom Leibes- zum Maschinensklaven. Die sittliche Stellung und Haltung des Proletariats. Verlag für Kulturforschung, Wien/Leipzig.
  • Edward P. Thompson: Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse. 2 Bände, Frankfurt am Main 1987. Original: The Making of the English Working Class (1963, Neudruck als Penguin Book 1980).
  • Michael Vester: Die Entstehung des Proletariats als Lernprozeß. Die Entstehung antikapitalistischer Theorie und Praxis in England 1792–1848. Frankfurt am Main 1970.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Proletariat – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Werner Conze: Proletariat, Proletarier. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 7, 1989, Sp. 1458.
  2. wikt:proletarius
  3. Immanuel Wallerstein: Der Klassenkonflikt in der kapitalistischen Weltwirtschaft. In: Etienne Balibar, Immanuel Wallerstein: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten. Hamburg 1998, S. 141–153.
  4. Dieter Schäfer: Aspekte der Wirtschaftsgeschichte Würzburgs vom Ausgang des Alten Reichs bis zur Gegenwart. Probleme, Projekte, Entwicklungen, Märkte, Betriebe, Firmen, Niederlassungen, Beschäftigung, Unternehmer und die Rolle der Stadt in zwei Jahrhunderten. In: Ulrich Wagner (Hrsg.): Geschichte der Stadt Würzburg. 4 Bände, Band I-III/2, Theiss, Stuttgart 2001–2007; III/1–2: Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert. Band 2, 2007, ISBN 978-3-8062-1478-9, S. 1321 f., Anm. 75.

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